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Es gibt kein anderes Thema, bei dem in den letzten dreißig Jahren der Widerspruch zwischen der zerstörerischen
Realität der auf den privaten Profit ausgerichteten Marktwirtschaft und der nach rationalen, menschlichen und moralischen Ermessen eigentlich
notwendigen weltweiten kollektiv-demokratischen Planwirtschaft so offenkundig wurde, wie das der globalen Umweltzerstörung.
Wenige Tage vor dem neuen "Erdgipfel" in Johannesburg waren die Zeitungen
wieder voll von den üblichen Selbstenthüllungen: "Die Wirtschaft der Zukunft kann nicht mit den gegenwärtigen Produktions- und
Verbrauchsmustern aufrecht erhalten werden", schreibt ausgerechnet die Weltbank in ihrem Umweltreport und geißelt "verfehlte Politik"
und "schwache Regierungen" als verantwortlich für zerstörte Umweltressourcen, Flüchtlingselend, Hunger und Wassernot. Ein
"radikales globales Umdenken" wäre nötig und weltweites "Wassermanagement" und Agrarpolitik. Sozialismus oder
Barbarei aus ungewohnter Ecke.
In dieses Schema der verfehlten Politik und schwachen Regierung fügt sich auch die von
SPD und Grünen geführte Bundesregierung ein. Die Herren Schröder und Trittin, Eichel und Fischer nebst ihrer Frauenriege wähnten
sich vier Jahre an der Macht, aber sie waren nur an der Regierung.
Die Ausgangskonstellation verlockte dabei zu einem großen Irrtum: SPD und
Grüne waren die ersten, die einen amtierenden Bundeskanzler durch reguläre Wahl ablösten.
Sie waren getragen vom weit verbreiteten Wunsch der Bevölkerung nach einer neuen
Politik nicht gerade massiven Mobilisierungen, aber immerhin so etwas wie einer moralischen Desertion der Massen von ihrer alten Kohl-Regierung.
Mit nur kleinsten Anstrengungen (nämlich dem Bruch der damaligen
Länderkoalitionen zugunsten von Regierungen mit den Grünen und der PDS) hätte die SPD für klare Mehrheitsverhältnisse auch
im Bundesrat sorgen können. Und schließlich regierten in fünfzehn EU-Ländern Parteien, die sich noch immer im Rahmen der
Sozialistischen Internationale treffen.
Man könnte also zur falschen Annahme verleitet werden, SPD und Grüne wollten
ernsthaft eine die Umweltzerstörung begrenzende Politik anfangen und wären danach an größeren Kräften gescheitert. Doch die
alte reformistische Formel "Wir wollten ja viel mehr, aber wir konnten es nicht durchsetzen" gilt zum Ende des 20.Jahrhunderts nicht mehr. SPD und
Grüne wollten genau die Politik, die sie gemacht haben. Nicht sie wurden gebremst, sondern sie waren die Bremser. Die "rot-grüne
Reformpolitik" macht also keine Probleme, sie ist das Problem.
Jahrelang hatten die Grünen, munitioniert von diversen Wissenschaftlern, für eine
drastische Verteuerung der fossilen Energien geworben. Ihre forsche Parteitagsparole von "Fünf Mark für den Liter Benzin" hatte sie
nach einer wüsten Kampagne der Boulevardpresse schwer unter Druck gebracht, so dass sie schließlich noch bei "30 Pfennig mehr je Liter pro
Jahr" als Wahlforderung verblieben.
Kurz nach Regierungsantritt begann das Powerplay der Auto-, Öl- und Kohleindustrie, und SPD und Grüne fanden zu der devoten Haltung, die zum
Markenzeichen der ganzen Regierungszeit werden sollte. Die Ökosteuer wurde eine schlichte indirekte Steuer, für die vor allem die Masse der
einfachen Verbraucher aufkommt. Gleichzeitig wurde mit dem Geld die Rentenkasse gestützt, damit der Rentenbeitrag (die berühmten
"Lohnnebenkosten") stabilisiert werden konnte.
Da die Lohnnebenkosten in Wahrheit auch nur im Voraus einbehaltener Lohn sind, bedeutet
die Senkung des Unternehmeranteils also eine Lohnsenkung für Arbeiter und Angestellte. Wer den Schaden anrichtet, die Plünderung der
Verbrauchergeldbörsen und die Senkung der Löhne, braucht sich über den Spott nicht zu beschweren: Die Ökosteuer gab
prächtige Munition für populistische Kampagnen der Opposition, der Autoverbände und der Bild-Zeitung.
Bei der Ökosteuer kam der zweite Wesenszug der rot-grünen Regierung zum ersten
Mal zum Zuge, die Despotenrolle des Kanzlers. "Sechs Pfennig sind genug", diktierte er in die Mikrofone, und die um ganz andere Zahlen
verhandelnden gewählten Politiker kuschten. Die Erhöhung der Strom-, Gas-, Heizöl- und Benzinpreise traf am wenigsten die eigentlichen
Energieverschwender: für Landwirtschaft und produzierendes Gewerbe gab es Ausnahmeregelungen oder 80% Ermäßigung. Kohle,
Flugbenzin und Atombrennstoff wurden erst gar nicht mit einbezogen.
Die fünf angestrebten Steuererhöhungsstufen bis 2003 werden außerdem
wahrscheinlich auch nicht zu Ende geführt, von einer Fortsetzung ganz zu schweigen. Der "Umsteuerungseffekt" durch die Steuer ist deshalb
auch verschwindend gering.
Wird bedacht, dass die Grünen einst als Partei des Atomausstiegs angetreten waren und dass selbst die SPD in Zeiten der massiven Anti-Atombewegung
den "Ausstieg in zehn Jahren" beschlossen hatte, ist das Atomausstiegsgesetz ein Offenbarungseid.
Herausgekommen ist eine vertragliche Absicherung der Restlaufzeit aller Reaktoren. 32 Jahre
Laufzeit bzw. eine garantierte Mindestmenge an Strom wurden dabei eingeräumt. Selbst für das von SPD, Grünen und Anti-AKW-Bewegung
erbittert umkämpfte und letztlich verhinderte AKW Mühlheim-Kärlich wurden noch fiktive Produktionsleistungen zugebilligt, die andere
Atomanlagen jetzt produzieren. Die Wiederaufbereitung wurde bis 2005 genehmigt und die Atommülltransporte wieder aufgenommen. Den einzelnen
AKWs erlaubte die Regierung den Bau von Zwischenlagern, damit sie auch wirklich die volle Betriebszeit einsatzbereit bleiben. Für die Endlagerung des
Atommülls gab es eine typisch sozialdemokratische Lösung: die Erkundung in Gorleben läuft weiter, aber das Ende bleibt offen.
Dieser sog. "Atomkonsens" war zugleich das Paradebeispiel der Schröder-
Politik: unter Missachtung des Parlaments und Ausschaltung der politisch gewählten Kräfte wurde ein geschäftliches Abkommen
abgeschlossen. Den Grünen blieb es vorbehalten, die wieder auflebenden Proteste der Atomkraftgegner und der Castor-Demonstranten zu zähmen,
notfalls mit Polizeikräften unter grüner Einsatzleitung. Der Preis dafür war ähnlich hoch wie beim Thema Kriegspolitik: die
Grünen verzeichnen katastrophale Einbrüche vor allem bei Jungwählern und verlieren Tausende Mitglieder. Die Genugtuung der
Industrievertreter war in den Pressekonferenzen physisch spürbar.
Die regelmäßig auftretenden Umweltskandale und Katastrophen sind nur Alarmzeichen des nicht haltbaren Normalzustandes. Sie sind aber auch
immer wieder Gelegenheit, das dann aufbrausende öffentliche Bewusstsein zu radikalisieren und zu politisieren. Gelegenheiten also, bei denen die
Menschen politisch zum Umdenken erzogen werden könnten.
Rot-Grün hat all diese Gelegenheiten erwartungsgemäß verstreichen lassen.
Vom BSE-Skandal, über die Maul- und Klauenseuche, den Nitrofen-Skandal bis zur Flutkatastrophe dieser Tage gab es das übliche Ritual: Ruhe
bewahren! Ein paar moralisierende Öffentlichkeitsauftritte und dann kuschen vor der Lobby von Agroindustrie, Chemieunternehmen und Auto- und
Baukonzernen. Krisenmanagement as usual und sonst nichts.
Und immer wieder der Kanzler als Bremser: bei der Altautoverordnung, die er nach einem
Anruf von seinem alten Opernfreund und VW-Chef Piech stoppt. Oder beim Chemikaliengesetz der EU, das der deutschen Chemieindustrie auf den Magen
schlug. Und zuletzt beim Verbraucherinformationsgesetz der EU, wo der Kanzler höchst selbst dafür sorgte, dass die Bürger keine
Auskünfte von den Unternehmen verlangen dürfen.
Dennoch wird heute die Umweltpolitik in den Medien als das einzig erfolgreiche Politikfeld
der rot-grünen Regierung bilanziert und der Umweltminister Trittin darf sich der dialektischen Kniffligkeit erfreuen, der unbeliebteste ("der letzte
Linke") aber erfolgreichste Minister in Schröders Riege zu sein.
Dazu beigetragen haben ein paar marktwirtschaftskonforme Förderprogramme: das
Energieeinsparungsgesetz, das 100000-Dächer-Programm zur Förderung der Solarenergie, die Erneuerbare Energie Verordnung, die zum Boom in
der Windkraftwerksindustrie führte. Aber auch das neue Naturschutzgesetz, die Rettung von Naturschutzarealen in den neuen Ostländern und die
Verbesserung im Tierschutz (Hennenhaltung, Tierschutz als Verfassungsziel) gehören dazu. Und natürlich die Reduzierung der Treibhausgase um
18%, was zwar in erster Linie auf die Stilllegung der DDR-Industrien zurückzuführen ist, aber Deutschlands Beitrag zum Kyoto-Abkommen
(Reduzierung um 25% bis 2005) prächtig aussehen lässt.
Ob Trittin seinen aktuellen Kampf um das Pfand auf Getränkedosen allerdings gewinnen
wird, ist noch offen. Sollte auch der nächste Kanzler Schröder heißen, so wetten wir um ein Sechserpack Aldibier, dass er vor den Herren der
Einzelhandelskonzerne noch kuschen wird und jenseits aller Koalitionsabsprachen und Parlamentsentscheidungen in die Mikros verkündet: mit mir nicht.
Thies Gleiss