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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 14

Vivendi Universal

Aufstieg und Fall eines Privatisierungsgewinnlers

Manche Beobachter hielten ihn seit längerem für größenwahnsinnig. Die beliebte politsatirische Puppensendung Les Guignols de l‘info hatte ihm den Spitznamen J6M gegeben — für "Jean-Marie Messier, moi-même maître du monde", weil der Buchstabe "m" sechsmal darin vorkommt: "Jean-Marie Messier selbst, Herr der Welt". Doch den Betreffenden schien das nicht zu schockieren oder peinlich zu berühren. Im Gegenteil: Er überschrieb seine Autobiografie J6M.com, zeitgeistgemäß Anklänge an das Internet erweckend.
Zwei Jahre ist das her. Nunmehr hat das konservative französische Wochenmagazin Le Point ihn auf der Titelseite seiner Ausgabe vom 5.Juli dieses Jahres — der ersten nach dem erzwungenen Rücktritt von Jean-Marie Messier an der Spitze des Vivendi-Konzerns — umgetauft in den "Mann, der 72 Milliarden Euro kostete". Auf diese Höhe wird der Schuldenberg geschätzt, den der französisch-amerikanische Mischkonzern Vivendi Universal (VU) unter seiner Leitung aufgetürmt hat.
Messier selbst hatte noch wenige Wochen zuvor in der Öffentlichkeit stolz erklärt, er habe im Jahr 2001 allein 5,1 Millionen Euro an Direktorengehalt eingestrichen — eine Steigerung um 62% gegenüber dem Vorjahr — zuzüglich 13 Millionen Euro durch den Verkauf von Vorzugsaktien seines Unternehmens. Im selben Jahr hatte VU 13,6 Milliarden Euro Verluste geschrieben.
Die Unternehmensgeschichte von Vivendi ist in erster Linie die eines Privatisierungsgewinnlers. Die ehemalige Compagnie Générale des Eaux (CGE — Allgemeine Wassergesellschaft), wie der Konzern bis 1994 noch hieß, war im 19.Jahrhundert entstanden, um die Bewohner des Großraums Lyon mit Wasser zu versorgen — als privater Anbieter, der öffentliche Dienstleistungen in einer Art Lizenzsystem übernahm. In Lyon selbst wurde die öffentliche Wasserversorgung im Jahr 1885 kommunalisiert, aber in den umliegenden Städten und Gemeinden expandierte der private Anbieter ungestört weiter.
Mit dem solchermaßen über Jahrzehnte hinweg akkumulierten Kapital wurde die CGE zum gewichtigen ökonomischen und politischen Akteur im Raum Lyon sowie zum Hauptsponsor der dortigen politischen Klasse. Im Jahr 1986 kaufte der Konzern sich die Konzession zur Wasserversorgung der Stadt Lyon zurück. Anfang der 90er Jahre kamen eine Reihe schwerwiegender, illegaler Parteispendenaffären in der Region ans Tageslicht, in deren Mittelpunkt die CGE stand und in die etwa die Politiker Alain Carrignon und Michel Noir verstrickt waren. Zur gleichen Zeit wurde übrigens ein ähnlich strukturierter Konzern, die Lyonnaise des Eaux (die spätere Suez-Gruppe) — die ursprünglich als konkurrierendes Wasserversorgungsunternehmen im Großraum Lyon begründet worden war — in Paris und Umland aktiv. Auch hier wurden wichtige Netzwerke der Korruption zwischen dem privaten Anbieter öffentlicher Dienstleistungen und der politischen Klasse geknüpft, namentlich unter dem Oberbürgermeister der Hauptstadt Jacques Chirac (von 1977 bis 1995). Heute amtiert übrigens der ehemalige Direktor der Lyonnaise des Eaux bzw. des Suez-Konzerns, Jérôme Monod, nachdem er aufs unternehmerische Altenteil gegangen ist, offiziell als Berater von Staatspräsident Chirac.
Als Balladur nach dem Wahlsieg der Konservativen 1993 für zwei Jahre Premierminister wurde, wusste Messier — der zwischendurch bei der Geschäftsbank Lazard reüssiert hatte — den Regierungschef hinter sich, wenn er an der Schnittstelle zwischen Politik und Ökonomie zu Einfluss kommen wollte. Später allerdings unterstützte Messier auch den sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin. Insbesondere gefiel Messier dessen Versuch, mittels der 35-Stunden-Reform der Jahre 1997 bis 2000 einen "sozialpartnerschaftlichen" Deal zwischen dem modernisierungs- und kompromisswilligen Teil des Kapitals und den "modernen" Teilen der Gewerkschaften und der Linken einzufädeln. Dessen Gegenstand lautete: Einführung der 35-Stunden-Woche bzw. einer ihr entsprechenden Jahres-Arbeitszeit von 1600 Stunden jährlich, im Austausch gegen die Hinnahme je nach den Bedürfnissen der Arbeitgeber flexibler Arbeitszeiten. Der Rest sollte auf der Mikroebene der einzelnen Betriebe ausgehandelt werden — so wollte es der sozialdemokratische Gesetzgeber —, woraus eine Form von Balkanisierung der arbeitspolitischen Landschaft erfolgte.
Aufgrund der politischen Sympathien Jean-Marie Messiers war es denn auch der amtierende Präsident Jacques Chirac, der maßgeblich zu seinem "Abschuss" an der Spitze von Vivendi beigetragen hat, unter tatkräftiger Mithilfe seines Beraters Jérôme Monod, der über zahlreiche Kontakte in der Geschäftswelt verfügt. Chirac hatte bei der Präsidentschaftswahl 1995 mit Edouard Balladur als innerrechtem Rivalen und dem Sozialdemokraten Jospin zugleich konkurriert, bei der Wahl im Frühjahr 2002 erneut mit Jospin. Mit allen beiden Politikern verbunden gewesen zu sein, das konnte Chirac Messier nicht vergeben.
Ende Juni dieses Jahres kam es zur Operation "Absägen von Generaldirektor Messier", an der von Chirac-nahen Aufsichtsratsmitgliedern bei Vivendi u.a. Claude Bébéar vom Versicherungsgiganten Axa beteiligt war.

Aufstieg in Zeiten der Spekulation

1994 also gelang Messier, mit der Unterstützung durch Premierminister Balladur im Rücken, an die Spitze des künftigen Vivendi-Konzerns. Zu Beginn führte er eine Säuberungsaktion bezüglich der grassierenden Korruption durch, die allzu sehr überhand genommen hatte. Sein Plan aber war, mit dem bisherigen Versorgungsunternehmen auch auf anderen Gebieten, etwa im Unterhaltungs-, Multimedia- und im anwachsenden Internetgeschäft, aktiv zu werden.
Wie besinnungslos kaufte er alles an Unternehmen zusammen, was ihm auf diesen Sektoren in die Fänge geriet: den französischen Privatfernsehsender Canal+, das Presseimperium Havas, den Mobiltelefonriesen Cegetel/SFR und Telefongesellschaften in Marokko, Ägypten, Kenya sowie Ungarn. Und 1998 übernahm er — im Rahmen einer Fusion — die Kontrolle über den US-amerikanischen Unterhaltungsgiganten Universal, der im Musik-, Film- und Kabelfernsehbereich aktiv ist.
Daneben kaufte Vivendi Wasserversorgungsunternehmen von Berlin über Rumänien bis nach Bolivien auf. Messier setzte auf die "Konversion" der verschiedenen Medienzweige und strebte danach, von den "Inhalten" (Video, Musik etc.) über die Kanäle (Internet oder TV) bis zum Abonnement die gesamte Branche zu beherrschen, um in naher Zukunft — mit fortschreitender Technik — seinen Kunden alles auf einem einzigen Empfangsgerät anzubieten.
Finanziert wurde Messiers Kaufrausch durch die spekulative Blase, die sich im Jahr 2000 an den internationalen Börsen rund um das Internet und die "New Economy" gebildet hatte. Doch diese platzte unversehens zum Jahreswechsel 2000/2001. Schon im darauf folgenden Jahr ging der VU-Generaldirektor dazu über, die Unternehmensbilanzen zu frisieren, indem er bspw. Schulden in außerbilanzliche Posten umwandelte.

Tiefer Fall

Doch als entsprechende Gerüchte an der Börse ruchbar wurden, war es alsbald vorbei mit der Herrlichkeit des vermeintlichen "Genies" Messier. Von Anfang 2001 bis zum 30.Juni dieses Jahres hat die VU-Akte 73% an Wert eingebüßt. Und als in den ersten Julitagen neue Details zum Vorschein kamen, befand sich der Titel an den Börsen bereits im freien Fall und verlor bis zu 23% an einem einzigen Tag an Wert.
Am 2.Juli 2002 wurde Messier fotografiert, wie er mit Tränen in den Augen den Firmensitz verließ. Doch ehemalige Untergebene, Angestellte des Vivendi-Konzerns, standen Spalier für ihn und applaudierten, nachdem Messier ihnen zuvor in einer schmalzreichen Rede gedankt und viel Glück gewünscht hatte.
Nicht alle der weltweit 380000 abhängig Beschäftigten des multinationalen Unternehmens (davon 160000 in Frankreich) dürften allerdings diese Geisteshaltung teilen. Rund die Hälfte von ihnen haben ordentlich Geld verloren, weil sie in Aktien ihres "eigenen" Unternehmens investiert oder sich einen Teil ihres Lohns in Form von Gesellschaftsanteilen hatten auszahlen lassen.
Manche von ihnen sind buchstäblich ruiniert, da ihnen nun zugleich der Job und das angelegte Vermögen flöten zu gehen drohen. Auch unter den Kleinaktionären war, anlässlich der letzten Hauptversammlung Ende April im Pariser Veranstaltungssaal Zénith, ein Proteststurm gegen Messier losgebrochen. Den brauchen solche Sorgen nicht zu kratzen: Er handelte anlässlich seines Abgangs 18 Millionen Euro an Abfindungszahlungen heraus.
Im Herbst wird sich nun entscheiden, ob bzw. wie der Multikonzern zerlegt werden wird, und wie viele Arbeitsplätze erhalten bleiben werden. Dann wird sich ebenfalls entscheiden müssen, wer — zu welchen Bedingungen! — dann bspw. die Wasserversorgung jener französischen Kommunen übernimmt, die noch immer von Vivendi versorgt werden. Fest steht, dass kein Abnehmer die Versorgung aus reiner Selbstlosigkeit übernehmen dürfte.
Am 14.August hat nun der neue Präsident-Generaldirektor von Vivendi Universal in der Nachfolge Messiers, Jean-René Fourtou, die Geschäftszahlen von VU für das erste Halbjahr 2002 präsentiert. In den drei Tagen danach verlor die VU-Aktie erneut massiv an Boden und purzelte um 45% ihres Werts nach unten. Am darauf folgenden Wochenende wurde die Aktie bei 9,30 Euro gehandelt — im Frühjahr 2000 hatte sie auch schon mal 140 Euro gekostet.
Fourtou konnte die Börse daraufhin beruhigen, indem er verkündete, die Banken hätten ihm weitere 3 Milliarden Euro Kredit zur Verfügung gestellt, und indem er zugleich eine erste Welle des Verkaufs bisheriger Konzernbestandteile ankündigte. Am 19.August gewann der Titel so 22,5% an Wert zurück.

Bernhard Schmid (Paris)


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