SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 16

Kleider machen Leute — kaputt

Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie

Viele Kleidungsstücke des täglichen Gebrauchs, insbesondere Sportbekleidung, gehen über deutsche Ladentische, nachdem sie eine lange Reise zurückgelegt haben. Etwa zwei Drittel wird in Osteuropa, Mittelamerika und Asien unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen von Frauen genäht. Insbesondere arbeitsintensive Schritte der Herstellung wie das Zusammennähen von Hemden werden in eigens abgegrenzte Industriegebiete dieser Regionen ausgelagert.
Die Freihandelsenklaven nennen sich "Freie Produktionszonen". In ihnen finden sich Fabriken, die ausschließlich für den Weltmarkt produzieren, sog. Weltmarktfabriken, die in Lateinamerika kurz "Maquilas" genannt werden. Diese Produktionszonen zeichnen sich durch eine Infrastruktur aus, die einen hohen Grad an Mobilität gewährleistet. Die Weltmarktfabriken werden von Zulieferfirmen errichtet, über die die arbeitsintensiven Produktionsschritte "sauber" abgewickelt werden.
Verändern sich die Produktionsbedingungen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen der jeweiligen Regierung oder durch die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeitenden, ist es möglich, den gesamten Produktionsprozess in kürzester Zeit in eine andere Zone eines anderen Landes zu verlagern.
In diesen Enklaven haben die Unternehmen die Möglichkeit, importierte Materialien zu verarbeiten und anschließend zu exportieren, ohne dafür Zölle und Steuern zu zahlen oder sich an die einfachsten Arbeitsvorschriften oder Tarifverträge halten zu müssen.
Um "scheues" Kapital zu ködern, stellen die Entwicklungsländer darüber hinaus in den Sondergebieten eine kostenlose Infrastruktur zur Verfügung. Neben Straßen, Wasser- und Elektroversorgung werden Betriebsgebäude zu minimalen Mieten und primitive Unterkünfte für die Beschäftigten geboten, hinzu kommen die obligatorischen Einzäunungen und Wachmannschaften für das quasi exterritoriale Gebiet.
Heute gibt es rund 500 Produktionszonen; nach Angaben des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften arbeiten weltweit darin fast 4,5 Millionen Menschen, nicht mitgerechnet die 14—40 Millionen Chinesinnen, die in den Sonderwirtschaftszonen, in den sog. offenen Grenz- und Provinzstädten, in den Touristenzonen, Freihäfen und zollfreien Zonen malochen.
In den Weltmarktfabriken zahlen die Arbeiterinnen einen hohen Preis für die Kleidung, die uns zum Verkauf angeboten wird. Sie werden geschlagen, belästigt und zu Überstunden gezwungen — oft für einen Stundenlohn von nur 70 Cent. In der Regel sind 70—90% der Beschäftigten junge Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren. Ihr monatlicher Verdienst liegt bei etwa 110 Euro. (Der Lohnkostenanteil an einem 100 Euro teurem Sportschuh beträgt 0,4% = 40 Cent.)
Das ist ein Lohn, der die Existenz nicht sichert und die Näherinnen zu unbezahlten Überstunden zwingt. Ausreichender Gesundheitsschutz ist in den Fabriken nicht gegeben. Wenn die Frauen krank werden, müssen sie mit Lohnausfall und bei Schwangerschaft mit Kündigung rechnen.
In Südostasien beschweren sich viele Frauen über die Größe der Maschinen, die von kleinwüchsigen Asiatinnen nur schwer zu bedienen sind. Schutzbrillen und -masken, Arbeitshandschuhe und -schürzen sind Mangelware.
Da ökonomische Kriterien den Standort der Wirtschaftsenklaven im jeweiligen Entwicklungsland bestimmen und soziale Aspekte fast keine Berücksichtigung finden, liegen die Produktionszonen häufig fernab der Wohngebiete. Das hat zur Folge, dass die Arbeiterinnen oft in oder in der Nähe der Zonen kaserniert werden oder lange Fahr- bzw. Gehzeiten in Kauf nehmen müssen. In einigen Fällen wie bspw. in Dubai dürfen sie das Gelände nicht verlassen, in anderen herrscht ab 22 Uhr Sperrstunde.
Die Kampagne "Saubere Kleidung" existiert seit 1990 und ist ein internationaler Zusammenschluss von Menschenrechts- und Frauenorganisationen, Gruppen aus Kirchen und Gewerkschaften. Ihr Ziel ist es, soziale Mindeststandards in der Kleidungsproduktion durchzusetzen. Die Produkte der Weltmarktfirmen sollen nicht boykottiert, sondern die Firmen durch öffentlichen Druck gezwungen werden, einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen (die Näherinnen fordern dies nachdrücklich).
Damit verpflichtet sich ein Unternehmen, den Arbeiterinnen die elementaren Rechte zuzugestehen, die die ILO (Internationale Arbeitsorganisation) formuliert: Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit, Vereinigungsfreiheit, das Recht Gewerkschaften zu gründen und Tarifverhandlungen zu führen, Zahlung von existenzsichernden Löhnen, Arbeitszeitbegrenzung, Gesundheits- und Sicherheitsschutz.
Einige Konzerne mussten erfahren, daß sie ihr mit Werbemilliarden teuer erkauftes Image riskieren, wenn das Öffentlichmachen skandalöser Arbeitsrechtsverletzungen KundInnen verunsichert und unter Umständen sogar vom Kauf abhält. Sie verfügen deshalb mittlerweile ebenso wie der Weltverband der Sportartikelindustrie über einen "freiwilligen" Kodex, der die Standards der ILO als Grundlage benennt. Dieser sieht allerdings keinerlei unabhängige Kontrollen, unter Beteiligung lokaler Akteure, über die Umsetzung des Kodex vor und fordert nur die Zahlung eines "Mindestlohns", der in der Regel nicht ausreicht, um die Grundbedürfnisse der Arbeiterinnen zu befriedigen.
Damit die Kodizes nicht nur dem Image dienen, sondern für spürbare Verbesserungen in den Weltmarktfabriken sorgen, braucht es auch weiterhin die Unterstützung durch die Konsumenten. Welche Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit es gibt, insbesondere für fantasievolle Aktionen, darüber informieren
www.saubere.kleidung.de
www.ci-romero.de/saubere-kleidung oder
www.attac-netzwerk.de/oldenburg.

Willi Lüpkes

Willi Lüpkes ist Mitglied von Attac Oldenburg und arbeitet dort in der AG WTO/Welthandel. Kontakt: Hilke Schulz, Fon (0441) 16383.




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