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Am 14.Juni dieses Jahres starb in Berkeley, Kalifornien, im Alter von 65 Jahren die afro-amerikanische Schriftstellerein,
Essayistin und Bürgerrechtlerin June Jordan. June Jordan hat in über 30 Jahren mehr als zwei Dutzend Bücher veröffentlicht, für
die sie eine Reihe von angesehenen literarischen Preisen und Auszeichnungen erhielt. Im Herbst soll eine neue Essay-Sammlung unter dem Titel Some of Us Did
Not Die erscheinen. In der US-amerikanischen Linken hat sich June Jordan durch ihre Artikel in Magazinen wie The Nation und ihre regelmäßigen
Kolumnen in The Progressive einen Namen gemacht. International ist sie durch ihr Engagement für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal und die Rechte
der Palästinenser bekannt geworden.
Aufgewachsen ist June Jordan im New York der 30er und 40er Jahre, zunächst in
Harlem, später in Brooklyn, dem etwas "besseren" Viertel. Ihre Eltern, der Vater Postangestellter, der in Nachtschichten Briefe sortieren
musste, die Mutter Krankenschwester, waren Einwanderer aus Pana und Jamaika. Die Beziehung zum Vater, der ihr offen zeigte, dass ihm ein Sohn lieber
gewesen wäre, war äußerst problematisch.
In ihren Kindheitserinnerungen Soldier: a Poets Childhood beschreibt Jordan Szenen
dramatischer häuslicher Gewalt, die die Schriftstellerin Jahrzehnte später mit den Erfahrungen, die ihr Vater als farbiger Einwanderer in einer
rassistischen Gesellschaft machte, zu erklären versuchte. "Ich kann nur mutmaßen, dass mein Vater einer gewaltigen Erniedrigung und auch
Angst widerstehen musste. Ich denke, mein Vater hatte Angst, dass es ihm nicht gelingen würde, mich vor dem Scheitern zu bewahren. Ich denke, das war
die Wurzel seiner Angst. Er wusste nicht, wie er dem Scheitern seines einzigen Kindes in diesem neuen Land vorbeugen konnte", sagte sie im Oktober
2000 in einem Interview.
Andererseits aber war es gerade der Vater, der ihr, wenngleich mit höchst
autoritären Methoden, die Liebe zur Literatur und zum Klang der Wörter vermittelte. Die Bibel, Shakespeare, Edgar Allen Poe und der afro-
amerikanische Schriftsteller Paul Laurence Dunbar standen auf der Lektüreliste, die June Jordan als Kind zu bewältigen hatte.
Die Mutter übernahm demgegenüber eine klassische Frauenrolle, an der sie
schließlich zerbrach: Mitte der 60er Jahre nahm sie sich das Leben. In einem Essay von 1981 ("Many Rivers To Cross") schrieb Jordan:
"Ich habe über die Frage nachgedacht, ob meine Mutter eine gute Frau war, und ich habe das verneint, denn ich vermag nicht zu sehen, warum es
eine gute Sache ist, wenn du aufgibst oder wenn du mit denen zusammenarbeitest, die dich hassen oder wenn du putzt und bügelst und flickst und ohne
Ende besänftigend bist zum Wohle derer, die es lieben, wie du dich Tag für Tag leise selbst umbringst."
Nach einer Highschool- und Collegeausbildung in einer fast rein weißen Umgebung
heiratete June Jordan 1955 einen weißen Mitstudenten, 1958 wird ihr Sohn Christopher geboren, die Ehe 1965 wieder geschieden. Eine der Ursachen
für diese Trennung war Jordans immer ernsthafter werdendes Engagement für die Ziele der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. 1964
lernte sie Malcolm X kennen, kurze Zeit später schließt sie sich den Freedom Riders an, einer Bewegung, die durch zivilen Ungehorsam die vor
allem in den Südstaaten gesetzlich verankerte Rassentrennung in öffentlichen Gebäuden, Schulen, Cafés oder auch bei der Benutzung
von Bussen bekämpfte.
"Wir fuhren irgendwohin nach New Jersey und wollten einen Kaffee trinken gehen, aber
man bediente uns nicht. Wir warteten also, und ich schlief am Tresen ein. Das nächste was ich mitbekam, war ein großer weißer Typ in einer
Marine-Uniform, der mich aufweckte und mir sagte, ich solle aufstehen und ihm meinen Stuhl überlassen. Ich drehte mich einfach um und machte
‚bumm mit meinem Ellbogen … Unsere Leute kamen, um mit mir zu reden, und ich dachte, dieses Gewaltlosigkeitsding ist nichts für mich. Die
Wut, die ich fühlte, hat mich nie verlassen. Ich dachte immer daran, wenn mein Sohn das getan hätte, wäre er umgebracht worden."
1969 veröffentlichte Jordan ihr erstes Buch, Who Look at Me, eine Sammlung poetischer
Fragmente über afro-amerikanisches Leben im weißen Amerika, ein Jahr später gab sie Soulscript, eine Anthologie afro-amerikanischer Lyrik
heraus. 1971 erschien Jordans erster Prosaband, His Own Where. Ab diesem Zeitpunkt legte Jordan alle zwei bis vier Jahre einen neuen Gedicht- oder Essayband
vor, 1995 sogar das Libretto für eine Oper angesiedelt im Los Angeles der 90er Jahre.
Zugleich lehrte Jordan an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten, zuletzt als
Professorin für afro-amerikanische Studien in Berkeley. Die Themen von Jordans Texten sind der offene wie subtile Rassismus der amerikanischen
Gesellschaft, der Kampf gegen Homophobie und sexuelle Unterdrückung, die Suche nach einer eigenen Sprache der Minderheiten und die Anklage gegen
die Verbrechen des US-Imperialismus, sei es in Vietnam, Mittelamerika oder Palästina.
Den Nahostkonflikt bezeichnete Jordan sogar als den "moralischen Lackmustest meines
Lebens". 1996 reiste sie in den Libanon, denn, so schrieb sie in ihrer Kolumne im Progressive, "ich glaube, dass arabische Völker und
arabische Amerikaner den niedrigsten, den schmählichsten Platz im rassistischen Denken Amerikas einnehmen". Aus dieser Zeit stammt auch das
Gedicht "Libanon, Libanon", dessen letzte Zeilen lauten: "Der Zwölfjährige, der laut singt | die anderen Kinder zu beruhigen |
entsetzt vom Morden. | Hier entdecke ich | die Bescheidenheit | das Wunder des Leidens | ohne aufzugeben | das Wunder des Leidens | ohne Niederlage."
June Jordans Lyrik und Essayistik sind bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Es wird Zeit,
dass sich ein engagierter Verlag findet, der dies ändert und zumindest eine Auswahl aus dem Werk dieser großartigen Autorin veröffentlicht.
Harald Etzbach