SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 21

Abgrundtief

Hundstage, Österreich 2001, Regie: Ulrich Seidl, im Kino bereits angelaufen.

Im verzerrenden Bild der Fernsehwerbung werden die heißen Tage mit überquellender Lebensfreude assoziiert. Aber die Hundstage am Rand von Wien, im Niemandsland zwischen Autobahnzubringern, Einkaufsmärkten und Einfamilienhaussiedlungen sind anders: Alles, was Platz verbraucht und daher die Luftzufuhr einengt, wird bekämpft, eine mehr auf der Welt ist schon um eine zuviel…
Herr Hruby ist Vertreter für Alarmanlagen. Doch statt interessierter Kunden ruft ihn permanent seine Frau an, die ihn in seiner ruhelosen Pflicht stört und verkennt, dass er lieber mit der schutzbedürftigen Allgemeinheit zusammen lebt, denn mit ihr. Immerhin, er soll Autos zerkratzenden Vandalen auf die Spur kommen, die schwer zu fassen sind.
Der Ing. Walter hat sein Lebetag Treu und Redlichkeit geübt, nun verlangt er von seinen Nachbarn, dass sie ihn nicht durch Streit in seiner Ruhe stören, von den Verkäufern in den umliegenden Supermärkten, dass sie seine Reklamationen, die er penibel vorbereitet, geduldig ertragen. Die Frau, die ihn besucht, muss anziehen, was seine verstorbene Gattin getragen hat, und darf ihm zuhören, denn er weiß über Gott und die Welt Bescheid…
Da ist eine Lehrerin in mittleren Jahren, deren Liebster der ketterltragende Zuhältertyp Wickerl ist. Abends lädt er einen Freund zur Fleischbeschau ein, die Frau wird präsentiert und systematisch gedemütigt. Tags darauf reut es den eingeladenen Fleischbeschauer, er will der Frau Revanche verschaffen. Dem Wickerl wird die Puffn entgegengehalten, jetzt muss er niederknien und leiden. Die Frau freilich begreift, dass ihr das nichts hilft, denn ausbrechen, etwas ändern, kann sie längst nicht mehr.
Anna ist Autostopperin und offenbar nicht klar bei Verstand. Kaum hat sie einer oder eine in den Wagen gebeten, beginnt sie ihr Mundwerk wie ein Maschinengewehr zu betätigen. Wer sonst außer ihr kann schon die Chartlist der beliebtesten Supermärkte ebenso aufsagen wie jene der populärsten Fernsehmoderatoren, erfreut die Autofahrerinnen mit Gesangseinlagen, die nicht enden wollen, und erinnert sie an ihr Alter…
Anna kramt während der Fahrt in den Taschen derjenigen, die sie mitnehmen, kommentiert den Inhalt, schreckt auch nicht davor zurück, Geldbörsen zu durchwühlen, ohne räuberische Absicht, bloß, um sich ein Bild machen zu können. Anna sucht die Nähe derer, die Distanz zum Prinzip erhoben haben, sie sitzt ihnen im Fond des Wagens geradezu im Nacken.
Herr Hruby erinnert sich an sie und hat endlich die ideale Schuldige gefunden. Glücklich folgt Anna seiner Einladung ins Haus, nicht ahnend, dass er sie kurz darauf der Wut der Anrainer aussetzen wird, denen er erzählt hat, sie sei für die Kratzer an ihren Autos verantwortlich…
In Hundstage von Ulrich Seidl wird geredet, doch nicht zum oder zur Anderen, geschwiegen, doch nicht aus stillschweigendem Einverständnis. Nur eine ist lebendig in dieser Galerie der österreichischen Untoten: Anna, die "Verrückte", die ins Sichtbare gewendete Verkörperung von Ängsten und Zwängen in dieser Gesellschaft. Wenn sie unausgesetzt mit Werbeslogans oder sinnlosen Charts, wie jenen der beliebtesten Einkaufsmärkte nervt, ist der "subtile", an das Unterbewusstsein appellierende Konsumterror nach außen gekehrt.
Und ihr ungenierter Verweis auf das Verfallsdatum der Schönheit, verbunden mit der noch impertinenteren Frage, ob sich denn noch irgendetwas in Sachen Sexualität abspiele, ist lediglich der Zerrspiegel der an Schönheit, Jugend und Erfolg orientierten gesellschaftlichen Normen. Wenn Anna während einer Fahrt mit einem weiblichen Christenmenschen "Großer Gott, wir loben dich!" singt und eine Kamerafahrt entlang der Einkaufsstraßen und Großmärkte am Stadtrand diesen Choral bebildert, wird offensichtlich, wo Gott wohnt…
Hinabtauchend in die Abgründe der (österreichischen) Bosheit, erweist sich der Stadtrand als Pandämonium, in dem Seidls Protagonisten, vom Regisseur mit horvathscher Genauigkeit gezeichnet, ihr Unwesen treiben.

Kurt Hofmann


LeserInnenbrief@soz-plus.de
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