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Manche Situationen sind paradox: Die Linke hat die Bundestagswahlen gewonnen, obwohl sie sie verloren hat. Wie ist das zu erklären?
Zum Schluss ist es doch noch ein sehr politischer Wahlkampf geworden, wie es ihn schon lange nicht mehr
gegeben hat. Mit einer Öffnung zu linken Positionen in den Fragen Krieg und Ursache für die Hochwasserkatastrophe hat Schröder in letzter Minute das Tor
für linke Wählerschichten aufgemacht doch diese sind nicht zur SPD, sondern zu den Grünen gerannt. Noch im Juni zweifelten viele daran, dass der
nächste Außenminister wieder Fischer heißen würde; drei Monate später haben die Grünen 800000 Stimmen mehr eingeheimst, als sie 1998
hatten (womit sie von 6,7% auf 8,6% zugelegt haben). Die SPD hat von ihrem Kurswechsel auf linkere Positionen in den Fragen Krieg und Ökologie nur indirekt über
die Stärkung ihres Koalitionspartners profitiert, der ihr damit wieder an die Regierung verhilft.
Mit dem Verlust von fast 1,7 Millionen Stimmen ist die SPD die große Verliererin der Wahl.
Das Gespann Stoiber/Merkel hingegen hat auf Spitzenebene darauf verzichtet, in die Fußstapfen von
Berlusconi und Chirac zu treten und den Wahlkampf mit den Themen Ausländerfeindlichkeit und Kriminalität zu besetzen. Es hat sich darauf konzentriert, in den
Wunden herumzustochern, die die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Regierung Schröder gerissen (oder zumindest nicht geschlossen) hat. Damit hat es der CSU ihren
größten Wahlerfolg beschert, und auch die CDU konnte sich in diesem Glanz sonnen und ein unverdientes Comeback erzielen. Die Vermutung ist nicht abwegig:
Ohne den Möllemann-Effekt, der die FDP gedämpft hat, hätte es "Rot-Grün" nicht geschafft.
Das Thema Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise ist in Deutschland nach wie vor wahlentscheidend; das gilt auch dann, wenn eine Verkettung von Zufällen scheinbar
etwas anderes nahelegt. Auf diesem Feld aber hat die Linke nichts zu bieten, das ist die bitterste Erkenntnis, die man aus diesen Wahlen ziehen muss. Hier hat der Kanzler keine
Wende nach links gemacht, im Gegenteil: Die Hartz-Vorschläge sind nicht nur bei den 4 Millionen Arbeitslosen, sondern auch weit in die Reihen der Gewerkschaften hinein
auf Empörung gestoßen. Und die PDS hat es nicht einmal vermocht, dazu eine offizielle Stellungnahme abzugeben, geschweige denn, dass sie die Steilvorlage
für einen furiosen öffentlichen Auftritt gegen die Unmenschlichkeit neoliberaler Politik genutzt hätte. Sie hätte sich damit zum Sprachrohr einer breiten
gewerkschaftlichen Opposition machen können sie hat es nicht getan und so zu erkennen gegeben, dass sie darin ihre Rolle nicht sieht.
Das Hauptargument, was von ihrem Wahlkampf hängen geblieben ist, war ein taktisches: PDS wählen, um Stoiber zu verhindern. Für eine 5%-Partei ganz
schön vermessen; da macht manch einer blitzschnell das Gegenkalkül auf: Jede Stimme für diese Partei kann verschenkt sein. Das taktische Eigengewicht geht
schnell baden, wenn keine Identität sichtbar wird. Die ist in dem Versuch der 90er Jahre, sich zum Juniorpartner der SPD zu mausern, verloren gegangen. Geblieben ist der
Wunsch "anzukommen" in den Gefilden der Macht. Damit kann man weder eine greifbare Oppositionsstimmung, noch die unter Linken wachsende
Nichtwählerstimmung auffangen. Die 40000 überwiegend jungen Menschen, die am 14.9. in Köln gegen "Schroiber" demonstrierten haben, haben
von der PDS kein Angebot bekommen.
Die PDS hat die Wahlen im Osten verloren. Dietmar Wittich analysiert ihre Niederlage (600000 Stimmen
weniger) im Neuen Deutschland (25.9.) folgendermaßen:
"Die PDS verliert vor allem dort, wo sie bisher besonders stark war, in den früheren Bezirks- und
Kreisstädten der DDR. Das trifft zu für die Wahlkreise Halle, Magdeburg und Altmark sowie für Bad Dobran-Güstrow, Schwerin und Rostock. Das ist
aber auch dort zu registrieren, wo die PDS in der Opposition ist, in Chemnitz, Jena-Weimar, Dresden, Gera, Gotha, Potsdam und Erfurt. Die PDS verliert also in der Kernsubstanz
ihrer Wählerschaft. Es sind vor allem die ehemalige Dienstklasse der DDR, ihr Nachwuchs und ihr Umfeld, die sich von der PDS zu verabschieden beginnen. Das Umfeld
der Nachfolgepartei bricht damit weg, und das wahrscheinlich endgültig. Neue Wählergruppen, die die PDS erreichen kann und die für linke Politik gewonnen
werden können, vermag sie bisher nicht stabil an sich zu binden. Es war ein langer Abschied von der Nachfolgepartei, aber nun ist er unumgänglich."
An dieser Analyse sollte man ansetzen, wenn von Schlussfolgerungen die Rede ist. Denn sie hat gegenüber
anderen Erklärungen, die für die Wahlniederlage herangezogen werden, den Vorteil, dass sie die Fehler nicht nur in der Wahltaktik der Partei sucht, sondern auch in
ihrer sozialen Basis. Wittich schreibt auch: "Aus Analysen ist bekannt, dass eine Mehrheit in der Wählerschaft der PDS wünscht, dass die PDS sich an
Regierungen beteiligt, wenn sich die Chance dazu bietet." Und sie ist enttäuscht, wenn nicht mehr dabei herauskommt, als die Fortsetzung der alten Politik im neuen
Gewand.
Wenn es aber so ist, dass die "ehemalige Dienstklasse der DDR, ihr Nachwuchs und Umfeld" den
staatstragenden Kern der PDS ausmacht, und diese Dienstklasse sich von der PDS zu verabschieden beginnt, dann sollte sich auch die PDS von dieser Dienstklasse verabschieden
und sich eine neue soziale Basis suchen. Das ist eine Aufgabe, die nicht nur entschiedenen Willen, sondern auch langen Atem erfordert eine Generationenfrage.
Die PDS steht nicht als einzige vor der Aufgabe, als Linke in diesem Land soziale Wurzeln zu schlagen; diese Bürde teilt sie mit vielen kleineren Gruppen. Bisher traf
dies für sie nur in Westdeutschland zu, jetzt auch in Ostdeutschland. Gabi Zimmer sagt dazu: "Bei der Jugend im Osten gibt es so etwas wie eine neue Ost-
Identität, die nicht mehr viel mit der DDR zu tun hat. Ich bezweifle, dass wir uns die kulturell schon erschlossen haben."
Die PDS konnte sich bislang vormachen, mit ihrer Massenbasis der Dreh- und Angelpunkt für eine
Neuformierung der sozialistischen Linken in der BRD zu sein. Von dieser Illusion müssen sich jetzt vor allem die Linken in der Partei verabschieden. Mit der Präsenz
im Bundestag verliert die Partei ihre katalysierende Kraft und das voraussichtlich dauerhaft.
Gerhard Zwerenz hat Recht, wenn er vor der Gefahr des Abgleitens ins Sektierertum warnt. Der beste Weg, dem
entgegenzuarbeiten, ist, jenseits der Organisationsstärken und Traditionen gemeinsam einen offenen Dialog zu beginnen, was Neuformierung der sozialistischen Linken
bedeutet und wie all diejenigen, die an diesem Ziel arbeiten wollen, dies gemeinsam realisieren können. Mindestens im Westen wird auch auf Wahlebene mehr
Bündnispolitik angesagt sein und es wird hilfreich sein, diesen Dialog in den europäischen Kontext zu stellen, wo er insbesondere im Rahmen der europäischen
antikapitalistischen Linken weiter ist als in Deutschland. Vielleicht kann ja eine Kandidatur der "sozialen Opposition" zu den nächsten Europawahlen diesem
Bemühen einen Ausdruck verleihen.
Aber man wird sich auch von der Vorstellung verabschieden müssen, ohne eine starke soziale Bewegung
und das heißt vor allem ohne eine sichtbare gewerkschaftliche Opposition, die diesen Namen verdient könne man parteipolitisch dauerhafte Erfolge
erzielen. Die Beförderung und Stärkung der außerparlamentarischen, insbesondere der (inner-)gewerkschaftlichen Opposition ist die Grundlage; ohne die ist
alles andere nichts. Und das ist nicht nur eine Herausforderung an die PDS, sondern auch an die gewerkschaftliche und soziale Linke.