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Winfried Wolf, Bundestagsabgeordneter für die PDS seit 1994, ist einer der wenigen echten Volksvertreter. Vor Jahren hat er einen
Botschafter wegen dessen rassistischer Äußerungen zu Fall gebracht. Am 23.5.2002 forderte er mit Ulla Jelpke und Heidi Lippmann per Transparent, USA-
Präsident und Bundeskanzler sollten ihre Kriege stoppen was PDS-Fraktionschef Claus zum Entschuldigungskotau vor Bush veranlasste. Außer
Abgeordneter und Agitator ist Wolf ein marxistischer Wissenschaftler, auch auf dem Gebiet des Verkehrswesens. Allen drei Funktionen verdanken wir eine Broschüre*,
die kostenlos über sein Berliner Bundestagsbüro bezogen werden kann.
Den geschönten Bilanzen von Bahnpräsident Mehdorn und Minister Bodewig über
Resultate der "Bahnreform", eines Spezialfalls von Privatisierung, stellt der Verfasser seine eigene Bilanz gegenüber. Demnach wurde keine der 1993/94
verkündeten Zielsetzungen erfüllt, haben sich nach 70 Milliarden Mark auf den Staat überschriebenen Bundesbahnschulden neue, den Steuerzahler schwer
belastende Kosten angehäuft, und das, obwohl Zehntausende Mitarbeiter entlassen und wesentliche Dienstleistungen gestrichen wurden. Der Transport verlagerte sich
weiter auf Straße und Luft.
Wolf führt das traurige Ergebnis auf "sieben Todsünden des Herrn M." zurück,
Fehler, die dieser, seine Amtsvorgänger, das Management der Bahn und mehrere Verkehrsminister begangen haben. Erste Sünde ist eine Verkehrsplanwirtschaft,
die Flugzeug, Lkw und Pkw begünstigt, die Eisenbahn aber benachteiligt. Allein diese trägt auch für ihren Verkehrsweg Verantwortung, bekommt
Mineralöl- und Mehrwertsteuer voll aufgebrummt. Das Schienennetz wird um 500 km jährlich verringert, das Straßennetz um bis zu 1000 km erweitert.
Zweite Todsünde ist die Konzentration auf Haupt- bei gleichzeitiger Vernachlässigung und
Ausgliederung besonders von Nebenstrecken. Infolge nicht renovierter Schienenwege wurde schon das Sonneberger Netz in Thüringen stillgelegt. Ergebnis einer
massiven Reduktion des Interregioangebots ist, dass Magdeburg und Rostock, Ostfriesland, der Schwarzwald und Oberschwaben vom Fernverkehr abgekoppelt wurden.
Die kostspielige Konzentration auf Hochgeschwindigkeitsstrecken wird von der einseitigen Orientierung auf
Geschäftsreisende begleitet, während Millionen einfacher Kunden mit schlechteren Fahrbedingungen und oft höheren Fahrpreisen sekkiert werden. Das stellt
nach Wolf die dritte Todsünde dar. Die vierte liegt in der Ausgestaltung wichtiger Hauptbahnhöfe zu Konsumtempeln, während an der Strecke massenhaft
Bahnhofsgebäude und Schalter geschlossen werden.
Die fünfte ist ein lohndrückerischer Umgang der Bahnbonzen mit ihren Untergebenen. Mehdorn
hat sich dem "Focus" zufolge das dreifache Gehalt seines Vorgängers anderthalb Mill. Euro im Jahr bewilligt, was er in dieser Höhe
allerdings bestreitet. Zugleich wirkte er erfolgreich darauf hin, dass sich die Zahl der Bahnangestellten 19942001 von 365000 auf 214371 verminderte. Inzwischen sind
120000 anvisiert. Die Folgen: erhöhter Stress, häufige Unpünktlichkeit auf Nebenstrecken und eine lebensbedrohliche Senkung der Sicherheitsstandards.
Als sechste Sünde kommt der Abbau von Service, Kundennähe und Benutzerfreundlichkeit
hinzu. Das reicht von der Einstellung wichtiger Zugverbindungen, von Nachtzügen, Speise- und Postwagen über die der Gepäckbeförderung im Zug
bis zur Schließung von Toiletten, damit keine Reinigungskosten entstehen, und zu fortdauernder Behindertenfeindlichkeit. Mitte Dezember 2002 soll ein
unübersichtliches, für viele teureres Preissystem namens PEP eingeführt werden.
Die siebte Todsünde rührt aus der Kumulation der vorangegangen her. Sie haben alle damit zu
tun, dass M., seine Amtsvorgänger und Spitzenmanager meist vom Luftverkehr und von der Autoindustrie kommen. Durch Zerreißen des Bahnstreckennetzes,
Eindämmen der Transportleistungen und Verprellen zahlloser Kunden werden die konkurrierenden Verkehrsunternehmen gefördert. Gleichzeitig soll die Zerlegung
der Bahn in Filetstücke dem Gang zur Börse dienen. Sich ohne Rücksicht auf Verluste ganz dem Profit und der Spekulation zu widmen, ist nur der
Propagandaphrase nach neu.
Diesen und anderen Tatsachen entsprechend fällt Wolfs Urteil über das Management der
Deutschen Bahn vernichtend aus. Die Todsünden M.s konfrontiert er mit einem genau entgegengesetzten Programm von sieben Geboten und verdeutlicht am Beispiel der
Schweiz, dass es auch hierzulande realisierbar wäre, wenn genügend gesellschaftliche Kräfte es erzwingen.
Zweierlei möchte ich der Rezension hinzufügen. Erstens den Hinweis, dass auch der
Autozugverkehr der Deutschen Bahn fahrgastunfreundlich ist. Zweitens ein von Wolf hier vergessenes Faktum: Das Abdrängen von der Schiene auf die Straße und
in die Luft führt dort ebenfalls zu Stau und Katastrophen. Der Hang zu immer mehr Profit und Dividende ist allenthalben menschenfeindlich, wenngleich z.T. in
unterschiedlichem Maß.
Manfred Behrend