SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2002, Seite 8

Zapfenstreich

am Alten Friedhof

Der nachstehende Artikel wurde ursprünglich im Auftrag von Ver.di Südhessen geschrieben. Er sollte in der Zeitung des Personalrats der Stadt Darmstadt erscheinen. Die stellvertretende Personalratsvorsitzende dort hatte jedoch "grundsätzliche Bedenken" gegen die Veröffentlichung. So wanderte er zu Ver.di Publik, der Mitgliederzeitung von Ver.di, die von sich behauptet, "Solidarität in neuem Format" zu üben. Aber soviel Solidarität war denn doch nicht gemeint, der Artikel blitzte erneut ab. Seinen Weg in die SoZ hat er gefunden, weil der Betroffene, von dem hier die Rede ist, sich an die PDS gewandt hat.

Kautz ist einer von vielen: Er leistet "gemeinnützige Arbeit", nachdem er zuvor von der Stadt Darmstadt Sozialhilfe bezogen hatte. Nichts besonderes also auf den ersten Blick. Schließlich ist es ja nicht nur in Südhessen längst Mode geworden, Menschen in Not, die aus den verschiedensten Gründen zu "Langzeitarbeitslosen" geworden sind, als billige kommunale Arbeitskräfte quasi zwangszurekrutieren. Als Tätigkeitsprofil assoziiert man dazu gemeinhin Laub rechende und Unkraut jätende Kolonnen in städtischen Grünanlagen. Und so überrascht es denn auch nicht, dass Fred Kautz seinen zunächst auf ein Jahr befristeten Billigjob — vergütet nach BAT VIb — beim Darmstädter Gartenamt anzutreten hatte.
Überraschend allerdings war die Aufgabenstellung — zitiert aus dem von der Friedhofsabteilung des Gartenamts verfertigten Tätigkeitsprofil: "Erstellung einer Denkmalstopografie, nach folgenden Kriterien geordnet: Erfassung und Katalogisierung von Grabstätten unter Berücksichtigung und Bewertung nach berühmten Persönlichkeiten (z.B. aus Politik, Kunst, Geschichte, Ärzte) sowie nach Kunstgeschichte, Symbolik und Heraldik … Zusammenfassung von Unterlagen aus Archiven, Sammlungen, Büchern, etc."
Da traf es sich günstig, dass der vom Sozialamt zum Discountpreis vermittelte Helfer Kautz ganz zufällig von Beruf Historiker ist: Den schickt der Himmel, dachte da wohl der seinerzeitige Leiter der städtischen Friedhofsabteilung, der es schon länger der Stadt Frankfurt gleichtun wollte, die just mit einem historisierenden Prachtband über die Friedhöfe der Mainmetropole mächtig Eindruck geschunden hatte. Ein ähnliches Werk über den geschichtsträchtigen Darmstädter Alten Friedhof (nur besser, natürlich), und als Autor einer, dem man nicht mehr zu zahlen braucht als einem Hilfsheizer im Krematorium — das wär‘s doch.
Alles lief denn auch ziemlich gut (zumindest für die ehrgeizige Darmstädter Friedhofsbehörde): Kautz war billig, Kautz war gut, also wurde sein befristeter Arbeitsvertrag glatt um ein weiteres Jahr verlängert. Beides zusammen allerdings — das dreiste Lohndumping und die wissenschaftliche Qualität der geleisteten Arbeit — lieferte den Stoff für den Zoff. Denn die Grabungen in der Geschichte der Ehrengräber nebst der in ihnen beigesetzten ehrenwerten Darmstädter förderten nicht nur Erbauliches zutage.

Tote soll man ruhen lassen

Auf dem Alten Friedhof liegen — in städtischen Ehrengräbern — nämlich nicht nur in der Wolle gefärbte Pioniere der deutschen Demokratie wie Heinrich von Gagern oder Friedrich Ludwig Weidig, sondern auch zumindest stark angebräunte Honoratioren. Kautz kratzte ein wenig am Lack, und der war schnell ab: Da ein Nazi, der als kommissarischer Leiter einer Musikschule jüdische Choreografen und Dirigenten gefeuert hatte, dort ein General, der in der Harzburger Front mit Hitler paktiert hatte. Und schließlich die hochreputierliche Darmstädter Industriellenwitwe, die in heftiger Verbindung zu völkischen Vorzeigekünstlern stand und dem Reichsführer SS gern immer mal wieder mit stattlichen Beträgen für die Stiftung "Ahnenerbe" aushalf.
Das behagte den Darmstädter Friedhofsverantwortlichen so sehr, als wenn der Gottseibeiuns zum Zapfenstreich gebeten hätte: So hatte man sich die Aufbereitung — und eben nicht Aufarbeitung — der Darmstädter Friedhofshistorie nicht vorgestellt. Und dann wurde der Kerl auch noch frech und rief den Personalrat der Stadt an: Der befand, die Tätigkeit des unpassenden Sozialhelfers sei aufgrund der Merkmale seiner Arbeit und aufgrund seiner Qualifikation eindeutig nach BAT II einzuordnen. Er empfahl Fred Kautz, ein Gesuch um Höhereinstufung auf dem Dienstweg einzureichen.

Nicht genehm

Das Ergebnis: Nach einer mehr als dreivierteljährigen Hängepartie teilte die Stadt Darmstadt ihrem Hilfshistoriker mit, seinem Gesuch könne nicht stattgegeben werden, weil er unter dem Sonderprogramm "Hilfe für Langzeitarbeitslose" beschäftigt sei und infolgedessen keinen Anspruch auf angemessene Vergütung habe. Das reichte der — "rot-grünen" — Stadtspitze aber noch nicht: Der demütige Sozialhilfeempfänger, von dem man sich gern so preiswert wie bestellt ganze Folianten hätte voll schreiben lassen, war frech geworden, das roch nach Rache. Klar, dass man den Unbequemen gern lieber heute als morgen würde los werden wollen. Und so kam es: "Das Gartenamt", so die stellvertretende Personalratsvorsitzende in einem Schreiben an Kautz, "ist nicht mehr bereit, deinen Vertrag in welcher Form auch immer zu verlängern."
Damit wird ein Mensch zum dritten, vierten, fünften Mal weg getreten, der einerseits hoch qualifiziert ist, sich andererseits ständig quer stellt — mit einem Buch über die peinlich ausgebliebene Debatte der deutschen Historikerschaft über ihre eigene Rolle während des Dritten Reichs und ihr Verhalten danach, und mit unangepasster, gleichwohl hochqualifizierter Gedenkarbeit im Umgang mit den Ehrengräbern der Darmstädter Friedhöfe.
Wie engagiert gehen wir mit solchen Schicksalen um? Wie nahe geht uns das, wo es doch soviel mit uns selbst und mit unserer elementaren Aufgabenstellung als Gewerkschafter zu tun hat? Fred Kautz dazu: "All diese Ungereimtheiten: hochqualifizierte Arbeit für Niedrigstlohn, die Erwartung, dass ich forsche, aber nichts Beunruhigendes herausfinde, und schließlich die Nichtübernahme in ein festes Arbeitsverhältnis — nicht etwa, weil ich schlechte Arbeit leiste, sondern zu gute — gäben Stoff her für öffentliche Auseinandersetzung."
Wohl wahr: Wer die Spitze des Eisbergs nicht erkennt, säuft ab. Mit Mann und Maus.


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