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Kautz ist einer von vielen: Er leistet "gemeinnützige Arbeit", nachdem er zuvor von der Stadt Darmstadt Sozialhilfe
bezogen hatte. Nichts besonderes also auf den ersten Blick. Schließlich ist es ja nicht nur in Südhessen längst Mode geworden, Menschen in Not, die aus
den verschiedensten Gründen zu "Langzeitarbeitslosen" geworden sind, als billige kommunale Arbeitskräfte quasi zwangszurekrutieren. Als
Tätigkeitsprofil assoziiert man dazu gemeinhin Laub rechende und Unkraut jätende Kolonnen in städtischen Grünanlagen. Und so überrascht
es denn auch nicht, dass Fred Kautz seinen zunächst auf ein Jahr befristeten Billigjob vergütet nach BAT VIb beim Darmstädter
Gartenamt anzutreten hatte.
Überraschend allerdings war die Aufgabenstellung zitiert aus dem von der
Friedhofsabteilung des Gartenamts verfertigten Tätigkeitsprofil: "Erstellung einer Denkmalstopografie, nach folgenden Kriterien geordnet: Erfassung und
Katalogisierung von Grabstätten unter Berücksichtigung und Bewertung nach berühmten Persönlichkeiten (z.B. aus Politik, Kunst, Geschichte,
Ärzte) sowie nach Kunstgeschichte, Symbolik und Heraldik … Zusammenfassung von Unterlagen aus Archiven, Sammlungen, Büchern, etc."
Da traf es sich günstig, dass der vom Sozialamt zum Discountpreis vermittelte Helfer Kautz ganz
zufällig von Beruf Historiker ist: Den schickt der Himmel, dachte da wohl der seinerzeitige Leiter der städtischen Friedhofsabteilung, der es schon länger
der Stadt Frankfurt gleichtun wollte, die just mit einem historisierenden Prachtband über die Friedhöfe der Mainmetropole mächtig Eindruck geschunden
hatte. Ein ähnliches Werk über den geschichtsträchtigen Darmstädter Alten Friedhof (nur besser, natürlich), und als Autor einer, dem man
nicht mehr zu zahlen braucht als einem Hilfsheizer im Krematorium das wärs doch.
Alles lief denn auch ziemlich gut (zumindest für die ehrgeizige Darmstädter
Friedhofsbehörde): Kautz war billig, Kautz war gut, also wurde sein befristeter Arbeitsvertrag glatt um ein weiteres Jahr verlängert. Beides zusammen allerdings
das dreiste Lohndumping und die wissenschaftliche Qualität der geleisteten Arbeit lieferte den Stoff für den Zoff. Denn die Grabungen in der
Geschichte der Ehrengräber nebst der in ihnen beigesetzten ehrenwerten Darmstädter förderten nicht nur Erbauliches zutage.
Auf dem Alten Friedhof liegen in städtischen Ehrengräbern nämlich nicht nur in der Wolle gefärbte Pioniere der deutschen
Demokratie wie Heinrich von Gagern oder Friedrich Ludwig Weidig, sondern auch zumindest stark angebräunte Honoratioren. Kautz kratzte ein wenig am Lack, und
der war schnell ab: Da ein Nazi, der als kommissarischer Leiter einer Musikschule jüdische Choreografen und Dirigenten gefeuert hatte, dort ein General, der in der
Harzburger Front mit Hitler paktiert hatte. Und schließlich die hochreputierliche Darmstädter Industriellenwitwe, die in heftiger Verbindung zu
völkischen Vorzeigekünstlern stand und dem Reichsführer SS gern immer mal wieder mit stattlichen Beträgen für die Stiftung
"Ahnenerbe" aushalf.
Das behagte den Darmstädter Friedhofsverantwortlichen so sehr, als wenn der Gottseibeiuns zum
Zapfenstreich gebeten hätte: So hatte man sich die Aufbereitung und eben nicht Aufarbeitung der Darmstädter Friedhofshistorie nicht
vorgestellt. Und dann wurde der Kerl auch noch frech und rief den Personalrat der Stadt an: Der befand, die Tätigkeit des unpassenden Sozialhelfers sei aufgrund der
Merkmale seiner Arbeit und aufgrund seiner Qualifikation eindeutig nach BAT II einzuordnen. Er empfahl Fred Kautz, ein Gesuch um Höhereinstufung auf dem
Dienstweg einzureichen.
Das Ergebnis: Nach einer mehr als dreivierteljährigen Hängepartie teilte die Stadt Darmstadt ihrem Hilfshistoriker mit, seinem Gesuch könne nicht
stattgegeben werden, weil er unter dem Sonderprogramm "Hilfe für Langzeitarbeitslose" beschäftigt sei und infolgedessen keinen Anspruch auf
angemessene Vergütung habe. Das reichte der "rot-grünen" Stadtspitze aber noch nicht: Der demütige
Sozialhilfeempfänger, von dem man sich gern so preiswert wie bestellt ganze Folianten hätte voll schreiben lassen, war frech geworden, das roch nach Rache.
Klar, dass man den Unbequemen gern lieber heute als morgen würde los werden wollen. Und so kam es: "Das Gartenamt", so die stellvertretende
Personalratsvorsitzende in einem Schreiben an Kautz, "ist nicht mehr bereit, deinen Vertrag in welcher Form auch immer zu verlängern."
Damit wird ein Mensch zum dritten, vierten, fünften Mal weg getreten, der einerseits hoch
qualifiziert ist, sich andererseits ständig quer stellt mit einem Buch über die peinlich ausgebliebene Debatte der deutschen Historikerschaft über
ihre eigene Rolle während des Dritten Reichs und ihr Verhalten danach, und mit unangepasster, gleichwohl hochqualifizierter Gedenkarbeit im Umgang mit den
Ehrengräbern der Darmstädter Friedhöfe.
Wie engagiert gehen wir mit solchen Schicksalen um? Wie nahe geht uns das, wo es doch soviel mit uns
selbst und mit unserer elementaren Aufgabenstellung als Gewerkschafter zu tun hat? Fred Kautz dazu: "All diese Ungereimtheiten: hochqualifizierte Arbeit für
Niedrigstlohn, die Erwartung, dass ich forsche, aber nichts Beunruhigendes herausfinde, und schließlich die Nichtübernahme in ein festes
Arbeitsverhältnis nicht etwa, weil ich schlechte Arbeit leiste, sondern zu gute gäben Stoff her für öffentliche
Auseinandersetzung."
Wohl wahr: Wer die Spitze des Eisbergs nicht erkennt, säuft ab. Mit Mann und Maus.