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Bruce Springsteens neues Album, The Rising, ist ebenso aufwendig vermarktet worden wie sein 1984er Album Born in the USA und hat einen ebenso
großen kommerziellen Erfolg erzielt.
Der heftige Angriff von Born in the USA auf den Reaganschen Nationalismus wurde bekanntlich von Reagan und
Millionen anderen als Unterstützung missverstanden. Springsteen war davon angewidert und ging zu eindeutig radikalen Arbeiten über ohne die
Hintergrundchöre, die die Industrie erforderlich hielt, um die Massen anzusprechen. (Er leistete auch regelmäßig anonyme Spenden an streikende Gewerkschaften und
andere progressive Anliegen.) Seine Aufrichtigkeit ist nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Schließlich ist dies ein Mann, der kontinuierlich an der Seite seines proletarischen
Publikums stand, während er Annäherungsversuche von Reagan, Clinton und, nach kurzem Flirt, Hollywood zurückwies.
Die Weigerung der Kritiker, unter die Oberfläche von Springsteens Arbeit zu sehen, sollte uns nicht allzu sehr
überraschen. Sie ist unvermeidlich in einer Ära, in der kurzfristige Profite in einem Ausmaß zum Fetisch wurden, dass jede über Soundbites und Klischees
hinausgehende Reise zur vertanenen Zeit erklärt wurde. Zu fordern, dass ein Künstler mit einer umfassenderen Vision von Humanität auf Nuancen verzichtet, um
Fehlinterpretationen zu vermeiden, bedeutet, dass man uns auffordert, wie unsere Feinde zu werden, um sie zu ihren Bedingungen zu bekämpfen. Dies macht Niederlagen
unvermeidlich.
Der größte Teil der westlichen Mainstream-Medien hat The Rising, ein Album, dass die alltäglichen
Kämpfe gewöhnlicher Menschen ernst nimmt, mit Begeisterung aufgenommen. Viele Journalisten haben dieses Album aber ebenso gründlich missverstanden wie
Reagan Born in the USA. Selbst das flüchtigste Zuhören lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass The Rising kein aufrüttelnder patriotischer Tribut an jenen
"Geist der Unverwüstlichkeit" ist, der als ein einzigartig amerikanisches Resultat der Härten des "freien Unternehmertums" interpretiert wird.
The Rising ist eine Hymne an die Menschheit. Es beinhaltet eine tiefe und oftmals spirituelle Ehrfurcht sowohl für
die Opfer des angeblichen Al-Qaida-Anschlags vom 11.September und ihrer Familien, als auch eine Reihe arabischer Charaktere, inklusive eines (palästinensischen)
Selbstmordattentäters. Es ist sein Vermögen zur Ehrfurcht, die Springsteen befähigt, einen derart tiefen Respekt für das Leben gewöhnlicher, vergessener
und verachteter Menschen auszudrücken und auszulösen.
Springsteens Arbeit hat stets das ohne Glanz gelebte Leben geachtet. Doch selbst Songs wie "Factory" (1978)
über Massenentlassungen und Betriebsschließungen gingen nicht über die Tragödie hinaus und wiesen nicht auf einen identifizierbaren Feind. In seinen
jüngeren Arbeiten beginnt sich dies zu ändern, und in "Youngstown" (1995) war er, mit durchschlagender Wirkung, in der Lage zu sagen: Them big boys
did what Hitler couldnt do.
Aber es gibt keine Feinde in The Rising. Es fällt kein Wort über den US-Imperialismus oder Al-Qaedas
Antwort. Es gibt keinen Aufruf zum kollektiven Engagement mit jenen Kräften, die Profit und Macht vor das Leben stellen. Es gibt schlicht ein tragisches Gefühl, eine tiefe
Ehrfurcht vor dem Wert allen menschlichen Lebens und eine Sehnsucht nach Erlösung. The Rising sagt viel von dem, was in Amerika gesagt werden muss, aber es sagt nicht alles.
Es ist dennoch nicht ohne Politik. Ein palästinensischer Selbstmordattentäter gehört zu den
ultimativen Feinden in George Bushs Welt. Somit ist Springsteens gleichrangig verteilte Ehrfurcht für das Leben eines New Yorker Feuerwehrmanns und eines
palästinensischen Selbstmordattentäters eine radikale Stellungnahme. Bei Auftritten spielt Springsteen seine Hymne auf die Feuerwehrleute, die im World Trade Center
starben, unmittelbar vor "American Skin (41 Shots)", seiner Ode an einen senegalesischen Einwanderer, der von der New Yorker Polizei ermordet wurde.
Dieser Titel führte zu öffentlichen Beschimpfungen und gelegentlich war Springsteen sogar gezwungen,
einem buhenden Publikum Respekt abzufordern.
Springsteens Bereitschaft, sein Massenpublikum nicht nur zu inspirieren, sondern gelegentlich auch herauszufordern, ist
eine bemerkenswerte Leistung. Sie beruht auf seinem musikalischen wie poetischen Genie und seiner Weigerung, sich aus dem breiteren "Wir" in eine selbstgerechte
Avantgarde zurückzuziehen, die die real existierende Menschheit verachtet.
Doch The Rising ist nicht Springsteens bestes Album. Während es einige großartige Momente wie
"Paradise" hat, wirkt es bisweilen ein wenig überstürzt und textlich konstruiert ("Worlds Apart").
Es gibt jedoch eine Textstelle auf The Rising darüber, dass man sich aus Liebe zum Narren macht, und es gibt
Zeiten, da muss man dies auch für die Gerechtigkeit tun. Es ist besser, einen Song eilig herauszubringen, der einen dringend notwendigen Punkt berührt, als auf das perfekte
Lied (oder den perfekten Artikel oder Streik) zu warten und den Zeitpunkt zu verpassen. Die Geschichte stellt Anforderungen. Und die Gerechtigkeit ist nicht so geduldig wie die Kunst.
The Rising verwendet eine amerikanische Tragödie, um Ehrfurcht vor amerikanischem Leben zu entwickeln und
dehnt dabei diese Ehrfurcht auf arabisches Leben aus. Das Album verbreitet diese Ideen über den Äther, und einige werden zuhören. Das zählt. Aber wer nach
einem perfekt gemachten Springsteen-Album Ausschau hält, ist besser beraten, sein Geld für Platten wie Nebraska und The Ghost of Tom Joad oder das jüngste Live-
Album mit seinen großartigen Versionen von "The River", "Youngstown" und "American Skin (41 Shots)" auszugeben.
Richard Pithouse