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Luis Inácio da Silva, genannt Lula, ist nicht Salvador Allende, nicht jener Präsident der chilenischen Volksfront,
während der sich eine Vielzahl von Organen der Gegenmacht, poder popular, bildeten, sondern Sohn eines Kaffeepflückers, der als Staatspräsident den
Chef der Liberalen Partei und Textilmagnaten José Alencar zu seinem Stellvertreter macht. Die CIA arbeitet nicht an seinem Sturz, vielmehr beschwichtigt ein
Vertreter der US-Notenbank die Geschäftswelt: "Habt Vertrauen, es gibt nichts zu befürchten von einer Wahl, in der die Brasilianer sich für einen
Präsidenten entscheiden, der mehr als andere an die soziale Gerechtigkeit glaubt. Wir müssen Brasilien eine Chance geben."
Eine Chance für wen? Die Hoffnungen im Volk auf sofortige Verbesserungen sind enorm, gerade bei
den Ärmsten der Armen: auf eine sofortige Agrarreform, auf drastische Senkung der Arbeitslosigkeit durch Arbeitsbeschaffungsprogramme, auf Beseitigung der
Kinderarbeit auf den Straßen der Metropolen und der Sklaverei auf den Latifundien im Nordosten. Und wirtschaftlich gesehen hat das zehntgrößte
Industrieland der Welt alle Möglichkeiten, diese Hoffnungen zu erfüllen.
Brasilien, das ist die Hoffnung Lateinamerikas auf ein Ende der Schuldknechtschaft, die heute IWF und
ALCA heißt, die Hoffnung, endlich herauszutreten aus 500 Jahren Kolonialismus und eine eigene Entwicklung zu wagen. An diese Hoffnung klammern sich die
Bevölkerungen in Argentinien und Uruguay, Bolivien und Venezuela, Kolumbien, Kuba und viele andere…
Der Wahlsieg Lulas hat eine neue Seite aufgeschlagen. Die Losung des Weltsozialforums: "Eine
andere Welt ist möglich", erfährt eine dramatische Aktualisierung. Jetzt wird sich zeigen, ob die Losung Wirklichkeit werden kann, gesellschaftliche
Veränderungen in Gang zu setzen sind. Das hängt auch davon ab, ob wir in der Lage sind, den Kampf ins Hinterland zu tragen und eine Wiederholung der
chilenischen Tragödie zu verhindern. Es wäre ein Begräbnis auch für uns.