SoZ Sozialistische Zeitung |
Hermann, du warst Gastdelegierter auf dem Parteitag in Gera. War es eine Versammlung der
Totgesagten oder ein neuer Aufbruch?
Hermann Dierkes: Wer der PDS wohlgesonnen ist und Interesse an der Weiterexistenz einer pluralistischen, demokratisch-sozialistischen Partei hat, konnte von
Verlauf und Ergebnis nur positiv überrascht sein. Wer sie von innen weiter sozialdemokratisieren oder gar "überflüssig" machen will, wurde
schwer enttäuscht. Für mich war der Parteitag ein Schritt zu einem veränderten Selbstverständnis der PDS. Wir haben eine Weichenstellung in
Richtung mehr Bewegungs- als Parlamentspartei, zu stärkerer Akzentuierung linker Positionen und stärkerer gesamtdeutscher Ausrichtung. Ich spreche bewusst
von Schritt in die richtige Richtung, weil der Erfolg keineswegs garantiert ist. Wie tragfähig das Ergebnis von Gera ist, wird sich in den nächsten Monaten
erweisen. Es ist aber wieder Salz in der Suppe.
Wie erklärst du die Niederlage der sog. Reformer um Dietmar Bartsch?
Die große Mehrheit der Delegierten zähle ich politisch zum Spektrum der politischen Reformer. Die PDS ist und versteht sich als fortschrittliche
Reformpartei. Entschiedene Antikapitalisten und zwar solche mit konzeptioneller Substanz stellen bisher leider eine Minderheit dar. Insofern ist das Label,
das der Richtung um Bartsch aufgeklebt wird, einfach falsch. Parteiprogramm, Organisationsstrukturen, Arbeitsweise usw. müssen in der Tat reformiert werden. Das
sehen fast alle so. Aber in welche Richtung?
Die unerklärte Strömung, vor allem im Parteiapparat um Bundesgeschäftsführer
Bartsch, um die Vertreter der "Regierungsorientierung um jeden Preis", um sozialdemokratisierte Kommunalpolitiker usw. wollen eine weitgehende An- und
Einpassung in die bürgerliche "Parteiendemokratie". Sie wollen programmatisch alles beseitigen, was dem im Weg steht, und nähren so die
Glaubwürdigkeitskrise. Sie waren außerstande, die schweren Wahlniederlagen überzeugend zu erklären. Sie standen als die größten
Verlierer da und wie Geschäftsführer Bartsch als Hauptverantwortliche für die Niederlage. Sie hatten keine überzeugenden
Argumente.
Werden sie jetzt eine eigene Struktur bilden, werden Petra Pau und Gesine Lötzsch nicht mit dem Vorstand zusammenarbeiten und was ist vom
anhaltenen Gerücht einer drohenden Abspaltung zu halten?
Das ist noch offen. Nach ihrer Abstimmungsniederlage haben sie in Gera eine Auszeit genommen, um sich zu beraten. Dort gab es bereits Stimmen zwischen
Resignation und organisiertem Opponieren. Äußerungen bekannter Vertreter der Minderheit in den Medien gehen in ähnliche Richtung. In der Luft liegen
aber auch eine De-facto-Boykotthaltung gegenüber dem Parteivorstand und eine weitere Missachtung von Beschlüssen. Die Führungsgruppe um Gabi
Zimmer wäre schlecht beraten, dies einfach laufen zu lassen.
Gabriele Zimmer galt bisher nicht als ausgewiesene Vertreterin des linken Flügels. Wie ist die Position, der sie sich durchgesetzt hat,
einzuschätzen? Ihr Leitantrag enthielt ja keine Absage an die bestehenden Koalitionen?
In der Tat, sie hat den profillosen und gefährlichen Kurs der letzten Jahre mit zu verantworten. Zu dieser Verantwortung hat sie sich ja auch bekannt. Sie hat
sogar sehr kritikwürdige Themen wie die "Vaterlandsdebatte" mit angeschoben. Die beschlossene politische Geschäftsgrundlage enthält aber
viel Richtiges und eine neue Orientierung. Die PDS ist keine revolutionäre Partei und will mehrheitlich auch keine sein. Kritischer Reformkurs auf der Basis eines
nicht an Parteien wie SPD und Grüne ausgerichteten, sondern gesellschaftlichen "Mitte-unten-Bündnisses" lautet die generelle Linie seit
Gera.
Der Koalitionskurs in Berlin und Meckpomm wurde deutlich kritisiert, aber es wurde kein Beschluss
gefasst, mit der SPD neu zu verhandeln, geschweige die Koalitionen zu beenden. Ein klarer Beschluss wäre ein Ultimatum gewesen mit der wahrscheinlichen Folge
einer Spaltung oder zumindest Abspaltung. Bei einigen mag das Harmoniebedürfnis überwogen haben. So bleibt eine schwerwiegende Unklarheit, die im
Rahmen der anstehenden Programmdebatte beendet werden muss.
Dorothee Menzner ist in den Vorstand gewählt worden, Sarah Wagenknecht ist wieder im Vorstand, Winfried Wolf erzielte einen Achtungserfolg, kam
jedoch nicht hinein. Kann man von einer "Öffnung nach links" sprechen?
Der Parteivorstand wurde personell weitgehend erneuert und der Bundesgeschäftsführer auch, ebenso ist der "West-Ost-Link" gestärkt
worden. Zu den parlamentarischen Erfahrungen etwa eines Peter Porsch aus Sachsen bringen andere wichtige Erfahrungen aus sozialen Bewegungen ein, wie Dorothee
Menzner aus der Antiatombewegung. Überhaupt sind neue Frauen dabei, die das Zeug haben, sich weiter zu profilieren. Welche Qualität der Parteivorstand als
handelndes Kollektiv hat, muss sich erst zeigen. Die Herausforderung ist jedenfalls immens. Um Sarah Wagenknecht schwebt für mich zu sehr die Aura der linken
Grundsatzphilosophin. Nicht nur ich vermisse bei ihr den Praxisbezug.
Winfried Wolf Ergänzungsantrag zum Leitantrag von Gabriele Zimmer erhielt etwa ein Viertel der Stimmen. Die Kommunistische Plattform hat von
Anfang an den Zimmer-Antrag unterstützt. Was ist los mit der PDS-Linken?
Die Linken auf dem linken Flügel der Partei waren nach meinem Eindruck nicht gut vorbereitet. Es gab zwar ein Vortreffen, aber ein Initiativantrag wurde erst in
letzter Minute vorgelegt und war praktisch nicht mehr veränderbar. Genau genommen war es ein eigenständiger Antrag und weniger eine
"Ergänzung". Das zeigt sich schon daran, dass er von den Antragstellern mit der Maßgabe eingebracht wurde, ihn als eigenständigen Antrag
zu behandeln, wenn der Antrag von Zimmer u.a. keine Mehrheit erlangen würde. Aber sie haben doch noch gut taktiert. In Gera gab es keine Alternative, als sich dem
Lager von Zimmer zuzuordnen und in solidarischer Form Schwächen und Versäumnisse aufzuzeigen. Das ist im Großen und Ganzen gelungen. Zur
Umsetzung der beschlossenen Orientierung und zur Vorbereitung der Programmdebatte wäre es allerdings unverzeihlich, wenn die Linke der Linken nicht endlich
eine Meinungsströmung organisiert, um sich stärker einzubringen.