SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 7

PDS-Öffnung nach links?

Interview mit Hermann Dierkes

Hermann, du warst Gastdelegierter auf dem Parteitag in Gera. War es eine Versammlung der Totgesagten oder ein neuer Aufbruch?
Hermann Dierkes: Wer der PDS wohlgesonnen ist und Interesse an der Weiterexistenz einer pluralistischen, demokratisch-sozialistischen Partei hat, konnte von Verlauf und Ergebnis nur positiv überrascht sein. Wer sie von innen weiter sozialdemokratisieren oder gar "überflüssig" machen will, wurde schwer enttäuscht. Für mich war der Parteitag ein Schritt zu einem veränderten Selbstverständnis der PDS. Wir haben eine Weichenstellung in Richtung mehr Bewegungs- als Parlamentspartei, zu stärkerer Akzentuierung linker Positionen und stärkerer gesamtdeutscher Ausrichtung. Ich spreche bewusst von Schritt in die richtige Richtung, weil der Erfolg keineswegs garantiert ist. Wie tragfähig das Ergebnis von Gera ist, wird sich in den nächsten Monaten erweisen. Es ist aber wieder Salz in der Suppe.

Wie erklärst du die Niederlage der sog. Reformer um Dietmar Bartsch?
Die große Mehrheit der Delegierten zähle ich politisch zum Spektrum der politischen Reformer. Die PDS ist und versteht sich als fortschrittliche Reformpartei. Entschiedene Antikapitalisten — und zwar solche mit konzeptioneller Substanz — stellen bisher leider eine Minderheit dar. Insofern ist das Label, das der Richtung um Bartsch aufgeklebt wird, einfach falsch. Parteiprogramm, Organisationsstrukturen, Arbeitsweise usw. müssen in der Tat reformiert werden. Das sehen fast alle so. Aber in welche Richtung?
Die unerklärte Strömung, vor allem im Parteiapparat um Bundesgeschäftsführer Bartsch, um die Vertreter der "Regierungsorientierung um jeden Preis", um sozialdemokratisierte Kommunalpolitiker usw. wollen eine weitgehende An- und Einpassung in die bürgerliche "Parteiendemokratie". Sie wollen programmatisch alles beseitigen, was dem im Weg steht, und nähren so die Glaubwürdigkeitskrise. Sie waren außerstande, die schweren Wahlniederlagen überzeugend zu erklären. Sie standen als die größten Verlierer da und — wie Geschäftsführer Bartsch — als Hauptverantwortliche für die Niederlage. Sie hatten keine überzeugenden Argumente.

Werden sie jetzt eine eigene Struktur bilden, werden Petra Pau und Gesine Lötzsch nicht mit dem Vorstand zusammenarbeiten und was ist vom anhaltenen Gerücht einer drohenden Abspaltung zu halten?
Das ist noch offen. Nach ihrer Abstimmungsniederlage haben sie in Gera eine Auszeit genommen, um sich zu beraten. Dort gab es bereits Stimmen zwischen Resignation und organisiertem Opponieren. Äußerungen bekannter Vertreter der Minderheit in den Medien gehen in ähnliche Richtung. In der Luft liegen aber auch eine De-facto-Boykotthaltung gegenüber dem Parteivorstand und eine weitere Missachtung von Beschlüssen. Die Führungsgruppe um Gabi Zimmer wäre schlecht beraten, dies einfach laufen zu lassen.

Gabriele Zimmer galt bisher nicht als ausgewiesene Vertreterin des linken Flügels. Wie ist die Position, der sie sich durchgesetzt hat, einzuschätzen? Ihr Leitantrag enthielt ja keine Absage an die bestehenden Koalitionen?

In der Tat, sie hat den profillosen und gefährlichen Kurs der letzten Jahre mit zu verantworten. Zu dieser Verantwortung hat sie sich ja auch bekannt. Sie hat sogar sehr kritikwürdige Themen wie die "Vaterlandsdebatte" mit angeschoben. Die beschlossene politische Geschäftsgrundlage enthält aber viel Richtiges und eine neue Orientierung. Die PDS ist keine revolutionäre Partei und will mehrheitlich auch keine sein. Kritischer Reformkurs auf der Basis eines — nicht an Parteien wie SPD und Grüne ausgerichteten, sondern gesellschaftlichen "Mitte-unten-Bündnisses" lautet die generelle Linie seit Gera.
Der Koalitionskurs in Berlin und Meckpomm wurde deutlich kritisiert, aber es wurde kein Beschluss gefasst, mit der SPD neu zu verhandeln, geschweige die Koalitionen zu beenden. Ein klarer Beschluss wäre ein Ultimatum gewesen mit der wahrscheinlichen Folge einer Spaltung oder zumindest Abspaltung. Bei einigen mag das Harmoniebedürfnis überwogen haben. So bleibt eine schwerwiegende Unklarheit, die im Rahmen der anstehenden Programmdebatte beendet werden muss.

Dorothee Menzner ist in den Vorstand gewählt worden, Sarah Wagenknecht ist wieder im Vorstand, Winfried Wolf erzielte einen Achtungserfolg, kam jedoch nicht hinein. Kann man von einer "Öffnung nach links" sprechen?
Der Parteivorstand wurde personell weitgehend erneuert und der Bundesgeschäftsführer auch, ebenso ist der "West-Ost-Link" gestärkt worden. Zu den parlamentarischen Erfahrungen etwa eines Peter Porsch aus Sachsen bringen andere wichtige Erfahrungen aus sozialen Bewegungen ein, wie Dorothee Menzner aus der Antiatombewegung. Überhaupt sind neue Frauen dabei, die das Zeug haben, sich weiter zu profilieren. Welche Qualität der Parteivorstand als handelndes Kollektiv hat, muss sich erst zeigen. Die Herausforderung ist jedenfalls immens. Um Sarah Wagenknecht schwebt für mich zu sehr die Aura der linken Grundsatzphilosophin. Nicht nur ich vermisse bei ihr den Praxisbezug.

Winfried Wolf Ergänzungsantrag zum Leitantrag von Gabriele Zimmer erhielt etwa ein Viertel der Stimmen. Die Kommunistische Plattform hat von Anfang an den Zimmer-Antrag unterstützt. Was ist los mit der PDS-Linken?
Die Linken auf dem linken Flügel der Partei waren nach meinem Eindruck nicht gut vorbereitet. Es gab zwar ein Vortreffen, aber ein Initiativantrag wurde erst in letzter Minute vorgelegt und war praktisch nicht mehr veränderbar. Genau genommen war es ein eigenständiger Antrag und weniger eine "Ergänzung". Das zeigt sich schon daran, dass er von den Antragstellern mit der Maßgabe eingebracht wurde, ihn als eigenständigen Antrag zu behandeln, wenn der Antrag von Zimmer u.a. keine Mehrheit erlangen würde. Aber sie haben doch noch gut taktiert. In Gera gab es keine Alternative, als sich dem Lager von Zimmer zuzuordnen und in solidarischer Form Schwächen und Versäumnisse aufzuzeigen. Das ist im Großen und Ganzen gelungen. Zur Umsetzung der beschlossenen Orientierung und zur Vorbereitung der Programmdebatte wäre es allerdings unverzeihlich, wenn die Linke der Linken nicht endlich eine Meinungsströmung organisiert, um sich stärker einzubringen.

Hermann Dierkes ist seit drei Jahren Fraktionsvorsitzender der PDS/Offenen Liste im Duisburger Stadtrat. Das Interview für die SoZ führte Manuel Kellner.



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