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Das Thema "Bildung" steht bei der neuen (alten) Bundesregierung nach eigenem Bekunden ganz oben auf der Agenda. Der
bildungspolitische Schock der Pisa-Studien steckt Rot-Grün noch tief in den Knochen.
Ein probates Mittel, dieser Misere zu begegnen, scheint gefunden: Ganztagsschulen sollen hier Abhilfe schaffen.
4 Milliarden Euro stellt der Koalitionsvertrag für den Ausbau dieser Schulform in Aussicht.
Übermäßige Euphorie scheint vorerst aber nicht angebracht. Bisher verläuft ein tiefer
Graben zwischen den CDU-regierten Ländern, die eher auf das Billigmodell "Ganztagsbetreuung" setzen, und den restlichen Bundesländern.
Die Ganztagsbetreuung existiert bisher lediglich an Grundschulen mit ungesicherten und schlecht bezahlten
Kräften, für die die Eltern auch noch zahlen müssen. Eine Ganztagsschule verlangt hingegen ein ausgefeiltes pädagogisches Konzept, bei dem der
Unterrichtstag so rhythmisiert ist, dass er sich den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen anpasst. Die Mindestanforderungen müssen daher lauten:
sinnvolle Verzahnung des Unterrichtvormittags mit dem Nachmittagsangebot,
Sicherung der personellen Ausstattung mit festem qualifiziertem Personal,
Erarbeitung eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts durch Lehrer und
Sozialpädagogen,
Bereitstellung ausreichender Räume mit entsprechender Ausstattung, die ein notwendiges
Differenzierungsangebot ermöglichen.
Es bleibt folglich abzuwarten, wie die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern aussieht. Die
Bundesregierung wird darauf zu achten haben, dass die Bundesländer nicht nur die Gelder einstecken, sondern einen bedarfsgerechten Ausbau mit entsprechenden
pädagogischen, personellen und schulbaulichen Standards garantieren.
Den Pisa-Ergebnissen zufolge scheinen die CDU-Länder bisher mit ihrer Bildungspolitik auf der richtigen Linie zu liegen. Schon vor der offiziellen Bekanntgabe der
nationalen Erhebung sickerte durch, dass Bayern und Baden-Württemberg als unionsregierte Länder die Liste der 14 Bundesländer anführen, dann folgen
Sachsen und Rheinland-Pfalz, NRW als bevölkerungsreichstes Bundesland liegt im Mittelfeld, Bremen am Ende der Skala (Berlin und Hamburg schieden bis auf die
Vergleiche bei der gymnasialen Bildung aus).
Die konservativen Forderungen ließen in der Folge nicht lange auf sich warten: Leistung statt
Kuschelpädagogik, Zentralabitur für alle Bundesländer, Eliteförderung, Leistungsvergleiche am Ende der Sekundarstufe I.
Doch wenn wir die Ergebnisse weniger oberflächlich betrachten, ergibt sich ein viel differenzierteres Bild,
denn sie hängen weniger von der politischen Farbe der einzelnen Landesregierung ab als vielmehr von den ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen
sowie der räumlichen Verteilung der Bevölkerung.
Wir müssen also für die einzelnen Bundesländer fragen: Wie steht es mit der
Breitenförderung? Wie ist der Bildungsstandard im gymnasialen Bereich? Wie hoch sind die Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund? Welche
Maßnahmen sind für die Risikogruppen geplant? Wie lauten die Schlussfolgerungen?
Richtig ist, dass den Bayern die Breitenförderung besser gelingt, aber bei ihnen findet andererseits die
höchste Selektion für das Gymnasium statt, entsprechend breit gestreut ist die Zusammensetzung an den Haupt- und Realschulen. Mit diesen heterogenen Lerngruppen
lassen sich bessere Ergebnisse erzielen als mit einer "Restschülerschaft", wie sie sich bspw. in NRW an den Hauptschulen wiederfindet.
Allerdings weist Bayern die geringste Abiturientenquote aller Bundesländer aus. In Bayern hängt die
Chance, ein Gymnasium zu besuchen, stärker als in jedem anderen Bundesland von der sozialen Herkunft ab, auch bei gleichen kognitiven Leistungen. Zum Vergleich: in
Hamburg erreichen über 49,6% die Hochschulreife und in NRW 44%, Bayern hat mit nur 28,7% den niedrigsten Wert.
Bei allen Bundesländern zeigt sich, dass nichtdeutsche Jugendliche bei höheren
Bildungsabschlüssen signifikant schlechter abschneiden als deutsche Jugendliche. Der Anteil von ausländischen Schulabgängern ohne Abschluss ist in NRW
am geringsten, gefolgt von Bremen und dem Saarland, Bayern liegt hier an 7.Stelle.
Werden nur die Ergebnisse der Gymnasiasten verglichen, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Trotz strenger
Selektion sind Bayerns Gymnasiasten in der Spitze nicht besser als andere, d.h. auch da, wo mehr Jugendliche zum Gymnasium zugelassen werden, drückt es zwar den
statistischen Mittelwert, wirkt sich aber nicht nachteilig auf die Leistungsspitze aus.
Anders ausgedrückt: Die Spitzenschüler werden auch durch eine breitere Mitte in ihrem Lernen nicht
eingeschränkt, sie erreichen keine signifikant besseren Leistungen in homogeneren Lerngruppen, wie sie bspw. in Bayern vorherrschen. Das tut den bayrischen
Konservativen weh, haben doch gerade sie die Förderung der Elite auf ihre Fahnen geschrieben.
Die Förderung von Kindern mit einem Migrationshintergrund gelingt in Deutschland überhaupt nicht
gut. Bei allen Bundesländern zeigt sich, dass nichtdeutsche Jugendliche bei höheren Bildungsabschlüssen signifikant schlechter abschneiden als deutsche
Jugendliche.
Der Anteil von ausländischen Schulabgängern ohne Abschluss in einem Ausbildungsjahrgang ist in
NRW mit 12,1% am geringsten, gefolgt von Bremen und dem Saarland, Bayern liegt hier mit 23% an 7.Stelle, Schlusslicht ist Berlin mit 31%. Die Chance, ein Gymnasium zu
besuchen, hängt in Bayern stärker als in jedem anderen Bundesland von der sozialen Herkunft ab. So besuchen in Bayern 66% der Migrantenkinder eine Hauptschule,
in Hessen sind es dagegen nur 31%.
Das Leistungsniveau der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler liegt in Bayern und
Baden-Württemberg zwar deutlich vor einigen Flächenstaaten wie NRW. Wenn allerdings die 15-Jährigen ohne Migrationshintergrund herausgefiltert werden,
liegt NRW an 3.Stelle. Sachsen, sonst im Spitzenbereich, fällt auf den 6.Platz zurück.
Das bedeutet, dass die Existenz großer Migrantengruppen in einem Bundesland nicht zu Lasten der
deutschen Jugendlichen geht. Das ist das überraschende am Ergebnis von Pisa-E und straft diejenigen der Lüge, die immer wieder behaupten, Heterogenität
gehe zulasten von Qualität.
Traurig ist nur, dass die Kinder der Zuwanderer in ihrer Mehrheit bildungsmäßig das Schlusslicht
bilden. Und das, obwohl 70% von ihnen vom Kindergarten bis zum Ende der Pflichtschulzeit durchgehend Bildungseinrichtungen in der BRD besucht haben. Alleine das deutsche
Schulsystem hat solche Disparitäten zu verantworten.
Alle Bundesländer haben eine gemeinsame Grundschule (46 Jahre), danach schicken sie ihre Schüler zur selektiven Unterrichtung nach Leistung in die
verschiedenen Schularten aufgeteilt. Bayern und Baden-Württemberg haben als einzige Bundesländer noch das klassische Dreiklassenschulsystem, bei den anderen
gibt es Mischformen der einzelnen Schularten. Eine Sekundarschule gibt es in allen Ländern: das Gymnasium.
Obwohl Pisa und Pisa-E deutlich belegen, dass mit einer längeren, gemeinsamen Erziehung bessere
Ergebnisse erzielt werden, sträuben sich alle Kultusministerien hartnäckig, dieser Tatsache ins Auge zu blicken. Eines eint sie alle: Wie kann das Aufkommen einer
erneuten Debatte über Schulstrukturen verhindert werden?
Der Glaubenssatz aus Bayern lautet: "Die begabungsgerechte und passgenaue Differenzierung muss
über die ganze Schulzeit beibehalten werden." Das ist nicht nur ignorant und ideologisch, es verkennt auch die Tatsache, dass Bayern mit seinen wenigen Abiturienten
weitere aus anderen Bundesländern "importieren" muss, um den eigenen Bedarf zu decken.
Aber nicht nur Bayern, auch die anderen Länder werden in den nächsten Jahren einen steigenden
Bedarf an höherwertigen Abschlüssen haben. Deshalb ist es eine vordringliche Aufgabe, durch eine Verbreiterung der Bildungsbeteiligung die Abiturientenquote zu
erhöhen und eine größere Zahl an Jugendlichen zu weiterführenden Bildungsabschlüssen zu führen.
Stattdessen fühlen sich alle Schulpolitiker "auf dem richtigen Weg", und lieber zaubern sie die
abenteuerlichsten schulischen Reformideen aus dem Hut, vermeiden es aber tunlichst, über Geld zu reden.
Wir sollten uns nicht die Richtung der Bildungsdiskussion diktieren lassen, konservative Schulpolitik muss als
das gesehen werden, was sie ist: Die Verhinderung einer angemessenen Ausbildung junger Menschen.
Wir fordern eine Lehr- und Lernkultur in einem gemeinsamen Schulsystem, die allen Jugendlichen den ihnen
angemessenen, individuellen Lernweg ermöglicht. Das verlangt eine deutlich verbesserte Bildungsfinanzierung.
Im Auge behalten müssen wir auch den Elementarbereich, für den Bildungsauftrag neu formuliert
werden muss. Hier sind finanzielle und personelle Investitionen notwendig sowie eine Bildungspflicht im Vorschulalter bei gleichzeitiger Abschaffung der
Kindergartengebühren.
Larissa Peiffer-Rüssmann