SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 11

Fiat am Ende

Italien

Die Kleinstadt Termini Imerese in der Provinz Palermo ist im Oktober zu einem Ort avanciert, an dem sich die industrielle Zukunft Italiens entscheidet. Termini Imerese, Sitz des sizilianischen Fiat-Werks, steht auf der Abschussliste eines landesweiten "Umstrukturierungsplans" des Konzerns, der die Zukunft der italienischen Automobilproduktion in Frage stellt.
Am 9.Oktober blieb die Stadt stehen — geschlossen wegen Streik. 25000 Menschen — Arbeiter, Angestellte, Manager und Beamte, Geschäftsleute, Junge, Frauen mit Kindern, Bankangestellte, Lkw-Fahrer — sie alle versammeln sich zu einer gemeinsamen Demonstration von Protest und Verzweiflung, an der Spitze der Bürgermeister, der Erzbischof und der Präsident der Region Sizilien.
Seit den letzten Wahlen, die Berlusconis Partei Forza Italia mit über 60% haushoch gewonnen hat, sind alle politischen Vertretungen in der Hand der Rechten bis extremen Rechten.
Aber das tut jetzt kaum noch was zur Sache: Die 1900 Fiat-Beschäftigten sollen auf Kurzarbeit Null gesetzt werden — eine Warteschleife in die Arbeitslosigkeit. 600 wurden bereits vor einem Jahr "ausgegliedert", weitere 1000 und mehr aus Zulieferbetrieben und Werkstätten verlieren mit dem Werk ihre Existenz.
An den 3500 "Überschüssigen", wie die Firmenleitung sie zynisch nennt, hängen Familien — man kann getrost von 14000 Menschen ausgehen — und eine ganze Ökonomie: der Hafen, die Eisenbahn, die E-Werke, Schulen, das Transportgewerbe…
Das Werk ist seither besetzt. Der Bürgermeister der Stadt ist in den Hungerstreik getreten; er hat seine 82 Kollegen in den Gemeinden der Provinz dazu gebracht, einen Protestbrief an die Regierungen in Palermo und Rom zu unterschreiben.
Als ein paar Tage später Fausto Bertinotti in Termini über die Geschichte von Fiat und die Machenschaften der Familie Agnelli spricht, begrüßt er ihn mit den Worten: "Bürger, Freunde, Arbeiter. Und warum nicht, Genossen. Zu euch spricht der Bürgermeister von Termini Imerese, der heute der Bürgermeister von Rifondazione Comunista ist. Es ist mir ganz egal. Heute bin ich Bürgermeister von Fausto Bertinotti, dem ich danke, dass er hierhergekommen ist, um an der Seite der Arbeiter dieser Stadt zu kämpfen."
Fiat Imerese ist die größte Fabrik der Insel und das was von den hochtrabenden Industralisierungsplänen der 70er und 80er Jahre übrig geblieben ist, die aus der Cassa del Mezzogiorno finanziert wurden. Sie wäre die letzte in einer langen Reihe von Betriebsschließungen, die den kurzen Traum vom Anschluss an den industrialisierten Norden unter sich begraben haben: Bergwerke, Werften, Petrochemie, Luftfahrttechnik, Telekommunikation, rollendes Material…
Alle Industriebetriebe, die in den letzten 30 Jahren in Sizilien angesiedelt wurden, haben mit der Zeit dichtgemacht. Wenn jetzt auch noch Fiat schließt, wäre die Bevölkerung wieder da, wo sie vor 30 Jahren war. "Dann müssten wir wieder auswandern…"
Vielleicht stehen die Chancen diesmal doch besser. Die Worte des Gouverneurs von Piemont hängen wie ein Damoklesschwert über der Stadt: "Termini Imerese muß geschlossen werden, damit Turin gerettet werden kann." Doch gegen diesen Satz hat sich ein Sturm der Entrüstung erhoben. Denn Termini liegt nicht mehr "in Afrika" (wie die Norditaliener Sizilien abschätzig nennen), sondern ist zum Symbol für Italien geworden.

Sturm der Entrüstung

Fiat will landesweit 8100 Beschäftigte entlassen, zusätzlich zu den 3300, die schon im Juli vor die Tür gesetzt worden sind — mit Zustimmung der regierungsfreundlichen Gewerkschaften CISL und UIL. So gut wie alle sieben Fiat-Werke sind davon betroffen, und im Norden soll auch das letzte Werk von Alfa Romeo in Arese, einem Vorort von Mailand, geschlossen werden. In den 80er Jahren waren hier 15000 Menschen beschäftigt, bevor Craxi das Unternehmen an Fiat verschenkte, mitsamt Grundstück, für das die Firma jetzt 500 Millionen Euro haben will.
Heute arbeiten auf dem Gelände 4000 Beschäftigte in über 23 Firmen; 2500 davon für Alfa. "Mailand liegt auf der imaginären Grenze zwischen der Großindustrie des Nordwestens, die immer weniger wird, und den molekularen Ein-Mann-Betrieben [Ich-AGs] des Nordostens, die sich ausbreiten. Alfa war der industrielle Grenzposten auf dieser Linie.
Fällt Alfa, breitet sich der Nordosten überall aus", schreibt der Verantwortliche für Industriepolitik von Rifondazione Comunista in deren Tageszeitung Liberazione (15.10.). "Dann fällt auch Mailand, inzwischen Hauptstadt eines Landes, das in die Regionalliga abgerutscht ist; deren Vorzeigeunternehmer Falck und Pirelli zu Immobilienhändlern geworden sind. Mailand im Ausverkauf. Nein! Stoppen wir sie in Arese!"

Zwischen Hammer und Amboss

Zusammen mit Zulieferern und Dienstleistern stehen also insgesamt 40000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Hier helfen keine Sozialpläne mehr, hier hilft nur eine politische Entscheidung: Gibt es für die italienische Automobilindustrie, eine neue industrielle Perspektive oder nicht?
Fiat hat in der Nachkriegszeit seine industriepolitischen Pläne eng mit staatlicher Industriepolitik verknüpft, die es natürlich auch beeinflusst hat. In den 50er Jahren schmiedete die Regierung ein Dreiecks-Abkommen zwischen der Sowjetunion, die Erdöl lieferte, der Staatsholding ENI, die das Erdöl abnahm, und Fiat, das in Togliattigrad eine Automobilfabrik errichtete und mit dem Deal über eine unabhängige Erdöllieferung verfügte.
In den 70er Jahren stieg Libyen mit einem bedeutenden Aktienpaket ein; aber Fiat trennte sich bereits 1984 vom libyschen Partner — das Pentagon hatte dem Konzern die Aufträge für den "Krieg der Sterne" verweigert. Es begann eine Finanzkrise, die Fiat unter den Einfluss von Mediobanca brachte. Fiat begann, sich zu verschulden und Staatsgelder zu kassieren — in den letzten 20 Jahren 145 Milliarden Euro. Statt in neue Autotechnologien floss das Geld in Dividenden und Luxusabfindungen für Topmanager. Bei den neuen Modellen setzte Fiat auf Design, verlor aber den Anschluss an das Ökoauto.
Die Krise von Fiat ist natürlich Teil der weitweiten Automobilkrise, aber während deren Markt um 4% geschrumpft ist, hat Fiat 20% verloren. Im Dezember 2001 folgte eine Kapitalerhöhung von über 6 Milliarden Euro und der Verkauf von 20% der Automobilaktien an GM. Im Jahr 2004 hat Fiat die Option, die restlichen 80% ebenfalls an GM zu verkaufen.
So wie die Dinge stehen, werden die Würfel jedoch viel früher fallen — so oder so. Die Verschuldung des Konzerns ist stetig gestiegen; vor sechs Monaten musste Fiat den Offenbarungseid leisten, auf dem Schuldenkonto standen 3,3 Mrd. Euro. Die Gläubigerbanken übernahmen das Regiment und forderten, die Schulden seien binnen Jahresfrist abzutragen. Fiat reagierte mit dem beschriebenen "Umstrukturierungsplan".
Dieser sieht aber nur eine Sanierung der Finanzen auf Kosten der Beschäftigten vor, er enthält kein neues industriepolitisches Konzept. Agnelli versucht nur, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen.
GM hingegen hat klargestellt, dass es Fiat nur dann übernehmen wird, wenn der Konzern zuvor die Drecksarbeit der Massenentlassungen geleistet hat. Unterdessen fällt der Aktienwert, das Gesellschafterkapital entwertet sich, die internationale Finanzpresse spekuliert über den Verkauf lukrativer Tochtergesellschaften zu Schleuderpreisen.
Bei der Ratingagentur Moody‘s ist Fiat längst in der B-Klasse gelandet. Die Regierung schaut zu und liebäugelt mit einer "internationalen" Lösung, sprich: dem Verkauf an GM, das den Preis dafür immer höher schrauben kann.
Der US-Konzern ist aber nicht an der Autoproduktion interessiert, sondern nur an der Vertriebsstruktur. Es kursieren auch Gerüchte, Fiat solle der deutschen GM-Tochter Opel zugeschlagen werden. Das Geflecht an technologischem Knowhow und Produktionsstrukturen, würde mit einer Übernahme durch GM zerschlagen werden.
Italien droht, zum Argentinien Europas zu werden. Dies erklärt die Breite des Widerstands und die Tragweite der Lösungen, die insbesondere von der Linken vorgetragen werden.
"Dieses Unternehmen", sagt Gigi Malabarba, der für Rifondazione Comunista im Senat sitzt, "haben wir oft gekauft. Die Fabrik gehört nicht mehr Agnelli, sie gehört denen, die darin arbeiten. Und wenn die Unternehmenspolitik des Managements so kläglich gescheitert ist, ist es nur rechtens, es wieder unter öffentliche Kontrolle zu nehmen."
Rifondazione Comunista hat in der Kammer einen Änderungsantrag zum Haushaltsplan eingebracht: Es soll ein Fonds "für den Erwerb des Fiat-Eigentums" eingerichtet werden. Laufzeit: ab dem 1.1.2003, Ausstattung: 1 Euro.

Angela Klein


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