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Die Fiat-Krise und der damit drohende Deindustrialisierungsprozess im siebtgrößten Industrieland der Welt wirft
ein grelles Schlaglicht auf die Unfähigkeit des Kapitalismus, komme er nun in Gestalt von Fiat oder von GM daher, unter Bedingungen verschärfter
globaler Konkurrenz seine Reproduktionsbasis zu erhalten. Der grenzenlose Markt eröffnet nur zu Beginn neue Märkte und
Akkumulationsmöglichkeiten; am Ende bedeutet er für schwächere Kapitalien eine absolute Grenze. Auf der Suche nach
Möglichkeiten, selbst unmittelbare Tagesprobleme zu lösen, muss deshalb der Rahmen der globalen Konkurrenz als solcher in Frage gestellt
werden. Rifondazione Comunista hat als erste die Forderung nach staatlicher Übernahme von Fiat in die Debatte geworfen mit einigem Erfolg.
Die Idee, dass der Staat einspringen soll, gewinnt Anhänger. Die Regierung
sträubt sich noch, aber der Gouverneur der Zentralbank, Antonio Fazio, hat verlauten lassen: "Das wäre keine Sünde." Der EU-
Wettbewerbskommissar Mario Monti, sonst gern ein unerschütterlicher Verfechter des Freihandels, sekundiert: "Die Kommission ist neutral
zwischen öffentlichem und privatem Eigentum; sie hat keine Vorurteile." Ach, und was ist mit dem Privatisierungsdogma? Neben der Praxis des
Neoliberalismus gerät nun offenkundig auch seine Lehre unter die Räder. Kommissionspräsident Prodi entschuldigt sich: "Italien kann
nicht ohne Industrie gelassen werden."
Aber wofür soll der Staat das Geld der Steuerzahler ausgeben? Immer wieder geistert das
Beispiel Renault und Volkswagen durch die Presse, zwei Autofirmen mit mehrheitlich staatlicher Beteiligung. Dabei wird vergessen, dass diese Firmen nicht
weniger dem globalen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und ihn nicht weniger drastisch an die Belegschaften weitergeben. Renault hat gerade einen
Umstrukturierungsplan hinter sich; VW erwägt, das Seat-Werk von Katalonien nach Osteuropa zu verlagern.
Stellt sich also die Frage: Gibt es eine Automobiltechnologie, die (mit staatlicher Hilfe)
international wettbewerbsfähig wäre und dem Sektor eine neue Zukunft erschließt? Claudio Sabattini, Vorsitzender der Fiom Sizilien, spricht
für seine Gewerkschaft, wenn er sagt: "Mit der Wasserstofftechnologie geht das Auto seiner größten industriellen und technologischen
Innovation entgegen." GM forsche seit Jahren auf dem Gebiet und habe das erste Modell dafür schon auf dem letzten Autosalon vorgestellt. Aber der
US-Konzern werde das Wasserstoffauto erst in 30 Jahren rentabel bauen können; warum sollte Europa dann etwas gelingen, was dem Branchenprimus
nicht gelingt? Die Frage wird nicht gestellt.
Der Soziologe Oscar Marchisio plädiert dafür, technologisch über das Auto
hinauszudenken, statt sich nur mit einer neuen Antriebstechnik zu begnügen. In Liberazione vom 9.10. erklärt er: "Wir müssen unser
Modell von Mobilität so ändern, dass Mobilität nicht mehr nur durch private Transportmittel gewährleistet wird. Wir müssen den
gesamten Nahverkehr, den öffentlichen wie den privaten, neu konzipieren. Denkbar wäre z.B., Autos für den Stadtgebrauch zu vermieten statt
zu verkaufen. Man könnte eine ‚Mobilitäts-Kreditkarte einrichten." Die Autobranche sei weltweit an ihr Ende angelangt, nicht nur in
Italien.
Der Ansatz von Marchisio hat mindestens den Vorteil, dass er die industrielle Zukunft nicht an
eine neue, globale Technologiekonkurrenz bindet, sondern an lokale und ökologisch nachhaltige Alternativen zum derzeitigen Transportsystem, die zudem
den Vorteil hätten, vom Erdöl wegzuführen, das in wachsendem Maß eine Kriegsursache geworden ist. Dafür würde sich
eine staatliche Übernahme von Fiat lohnen.
Beim Fiom-Vorsitzenden der Lombardei stoßen solche Vorschläge auf offene
Ohren: "Ich hoffe, die anderen Gewerkschaften erkennen, dass mit Fiat eine ganze Phase der industriellen Entwicklung zu Ende gegangen ist." Aber
eine staatliche Rettungsaktion möchte er noch an andere Bedingungen geknüpft sehen: "Der Staat darf nicht die Schulden der Familie Agnelli
finanzieren. Alle Einnahmen müssen blockiert und für die industrielle Umstrukturierung zur Verfügung gestellt werden." Keine
Fabrikschließungen, keine Entlassungen, keine Kurzarbeit Null. "Gegen die drohende Schließung hilft nur die Fabrikbesetzung. Kurzarbeit
muss rotieren, die bestehenden Aufträge müssen solidarisch auf die Werke aufgeteilt werden, die Arbeitszeit herabgesetzt, Umschulungen und
Weiterbildung angeboten werden."
Ein ziemlich konkretes Programm für die Arbeitskämpfe, die anstehen. Der sie
verbindende gemeinsame Nenner und Ausgangspunkt lautet: Fiat muss in Gemeineigentum übergehen nicht weil diese Eigentumsform als solche
die Probleme lösen würde, sondern weil der Eigentumswechsel die Voraussetzung ist, neue Wege mit Zukunft zu beschreiten.