SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 13

Bushs und Blairs Kriegsdrohungen

Auf Lügen aufgebaut

Am 24.September präsentierte der britische Premier Blair sein "Dossier" über die "Massenvernichtungswaffen des Irak", das angeblich den definitiven "Beweis" dafür liefern soll, dass das Regime Saddam Husseins chemische und biologische Waffen besitzt und dabei ist, Nuklearwaffen zu entwickeln. Doch die von Blair und der US-Regierung vorgebrachten Begründungen für einen Feldzug gegen den Irak basieren auf Lügen.

1. "Der Irak verfügt auch noch nach 1998 über biologische und chemische Waffen."
Eine zentrale Behauptung der Befürworter eines Angriffs gegen den Irak ist, dass Husseins Regime noch immer über chemische und biologische Waffen und die Einrichtungen zu ihrer Herstellung verfügt — und dies nach fast sieben Jahren des aufdringlichsten Inspektionsregimes der Geschichte, das auf die Niederlage des Irak im Golfkrieg 1990/91 gefolgt war.
Während die westliche Presse und die Bush, Blair und Konsorten ständig behaupten, dass sich alle darin "einig" sind, dass es "keinen Zweifel" daran gibt, ist es eine schlichte Tatsache, dass es keine Spur von einem Beweis dafür gibt, dass der Irak über diese Waffen verfügt, mehr davon produzieren kann oder dies versucht.
Blairs Dossier vom 24.9. stellt fest: "Der Irak hat behauptet, dass alle biologischen Wirkstoffe zerstört worden seien. Kein überzeugender Beweis irgendwelcher Art ist vorgebracht worden, diese Behauptung zu stützen." Bush erklärte in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung am 12.9.: "Das irakische Regime stimmte 1991 zu, alle Massenvernichtungswaffen und Langstreckenraketen zu zerstören und ihre Entwicklung zu stoppen sowie der Welt durch die Zustimmung zu rigorosen Inspektionen zu beweisen, dass sie so verfahren. Der Irak hat dieses fundamentale Versprechen in jeder Hinsicht gebrochen … Der Irak unterhält wahrscheinlich Vorräte von VX- Nervengas, Senfgas und anderen chemischen Wirkstoffen."
Im Gegensatz zu diesen Behauptungen haben jedoch die Waffeninspektoren der UN- Sonderkommission UNSCOM von 1991 bis 1998 eine erfolgreiche Abrüstung der Massenvernichtungswaffen des Irak durchgeführt und die Einrichtungen für ihre Herstellung zerstört. Laut Scott Ritter, der bis 1998 Leiter der Waffeninspektoren war, wurden bis Mitte 1996 90 bis 95% der biologischen und chemischen Waffen des Irak, seiner Forschungseinrichtungen und Fabriken für ihre Produktion zerstört.
Die UNSCOM kam zu dem Ergebnis, dass es keine Massenproduktion von VX-Nervengas im Irak gab. Die für seine Massenproduktion erworbene Ausrüstung war noch in Kisten verpackt aufgefunden worden und wurde 1996 zerstört. Tests zeigten, dass die Ausrüstung nie benutzt worden war. Die UNSCOM zerstörte 12747 der 13500 Senfgasgranaten des Irak. Bagdad berichtete, dass die übrigen Granaten während des Golfkriegs von amerikanischen und britischen Bombern zerstört worden seien.
Die UNSCOM bescheinigte 1992 die Zerstörung von 817 der 819 Scud- Langstreckenraketen des Irak. Die oft wiederholte "Tatsache", dass der Irak noch etwa ein Dutzend dieser Raketen besitze, beruht auf der Behauptung, dass er sie aus geretteten Bestandteilen der zerstörten Raketen hätte wiederaufbauen können. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass dies stattgefunden hat, und die Chancen für den Bau funktionstüchtiger Raketen aus Trümmern müssen als hochgradig gering eingeschätzt werden. Blairs Dossier behauptet, dass der Irak über 20 Scud-Raketen verfügt, ohne dafür irgendeinen Beweis anzubieten.
Die Behauptung des Blair-Dossiers, dass der Irak Raketen entwickelt habe, die britische Basen auf Zypern erreichen können, basiert auf nicht spezifizierten "geheimen Informationen", wonach die von der UNO dem Irak zugestandenen Kurzstreckenraketen modifiziert worden seien. Die Behauptung, dass der Irak eine Rakete mit 1000 Kilometern Reichweite entwickele, basiert allein auf einem unscharfen Foto, das angeblich einen neuen Raketentriebwerksprüfstand zeigt, der größer als die anderen ist.
Washington und London gründen ihre Anschuldigung, dass der Irak biologische und chemische Waffen "versteckt" habe, auf der Tatsache, dass einige chemische Wirkstoffe, biologische Ingredientien und Raketen "nicht belegt" blieben, als die Inspektoren das Land 1998 verließen. Diese Annahme basiert auf der Differenz zwischen der von der UNO geschätzten Menge dessen, was der Irak während der 80er Jahre produziert hatte, und dem, was die UNSCOM in der Lage war als zerstört festzustellen.
Doch "die Tatsache, dass diese Mengen nicht belegt sind, bedeutet nicht, dass sie noch existieren", wie der britische Labour-Abgeordnete Alan Simpson und der Politikdozent Glen Rangwala von der Universität Cambridge in ihrem Gegendossier betonen. Es ist stattdessen nicht bekannt, wie genau die ersten UN-Schätzungen waren, wieviel von den Vorräten an chemischen und biologischen Waffen der Irak im Krieg gegen den Iran 1980—88 verbraucht hat oder wieviel davon bei den US- Bombenangriffen im Golfkrieg zerstört wurde. Die Bombenangriffe zerstörten auch Dokumente und töteten Funktionäre mit Kenntnissen des wahren Umfangs der irakischen Vorräte.
Ritter hat festgestellt, dass es genau aus diesen Gründen nicht möglich ist, eine hundertprozentige Bestätigung der vollständigen Entwaffnung des Irak zu erreichen.

2. "Seit 1998 hat der Irak weiter chemische und biologische Waffen produziert."
Im Vorwort zu seinem Regierungsdossier behauptet Blair: "Ich glaube, es ist ohne Zweifel bewiesen, dass Saddam weiter chemische und biologische Waffen produziert hat." Doch das Dossier liefert nicht das geringste Anzeichen dafür, dass solche Waffen weiter produziert worden sind.
Stattdessen benutzen die Verfasser des Dossiers ihre gesamten literarischen Fähigkeiten, um den legitimen und legalen Bestrebungen des Irak, eine zivile chemische Industrie aufzubauen, finstere Motive zu unterstellen: "Obwohl die wichtigste Einrichtung für chemische Waffenproduktion in Al Muthanna von der UNSCOM vollständig zerstört wurde und nicht wieder errichtet worden ist, wurden andere Fabriken, die früher mit dem Programm zur chemischen Kriegführung verbunden waren, wieder aufgebaut. Dazu gehört die Chlor- und Phenolfabrik in Fallujah … Zusätzlich zu ihrer zivilen Verwendung werden Chlor und Phenol für Chemikalien verwendet, die zur Produktion chemischer Waffen dienen … Teile des im Golfkrieg beschädigten Al-Qaqa-Chemiekomplexes wurden repariert und sind funktionsfähig. Von besonderer Bedeutung sind Elemente der Phosgenfabrik von Al Qaqa … Während Phosgen industriell benutzt wird, kann es auch als Vorstufe für Nervengas gebraucht werden." (Hervorhebungen hinzugefügt.)
Ähnliche Versuche, wiederaufgebaute oder reparierte Fabriken mit der Produktion von verbotenen Waffen in Verbindung zu bringen, waren bereits von amerikanischen und britischen Offiziellen gemacht worden. Doch sind westliche Journalisten, die die Fabriken nur Stunden nach solchen Hinweisen besucht hatten, nicht auf verdächtige Aktivitäten gestoßen (und in manchen Fällen auf keinerlei Aktivität, lediglich auf leere Gebäude, die für die Lagerung von Nahrungsmitteln benutzt wurden).
Einer der beliebtesten Ausflüchte dafür, warum die Wiederaufnahme von UNO- Waffeninspektionen nicht erfolgreich sein kann, ist die Behauptung, dass der Irak über "mobile" Laboratorien für die Produktion von chemischen und biologischen Waffen verfügt. Dieser unbewiesene Vorwurf basiert auf den Aussagen eines einzigen irakischen "Überläufers". Doch selbst das konservative International Institute for Strategic Studies (IISS) schloss in seinem September-Bericht, dass die angeblichen mobilen Laboratorien "kaum zu bestätigen" seien.

3. "Der Irak entwickelt Nuklearwaffen."
Laut Ritter vernichteten die UNSCOM und die International Atomic Energy Agency (IAEA) das Nuklearwaffenprogramm des Irak, ehe sie das Land auf Anordnung der USA verließen. "Wenn der Irak davor steht, eine Nuklearwaffe zu entwickeln, wäre dies ein Wunder", sagte Ritter am 23.Juli.
Die IAEA berichtete im Oktober 1997 dem Sicherheitsrat, dass der Irak eine "ausführliche, endgültige und vollständige" Rechenschaft über seine Nuklearprojekte abgeliefert hat. Im April diesen Jahres bemerkte die IAEA, dass es "keine Anzeichen dafür gibt, dass im Irak physische Kapazitäten verbleiben, waffentaugliches nukleares Material von praktischer Bedeutung zu produzieren".
Alle Einrichtungen für die irakischen Kernwaffenprogramme wurden im Golfkrieg zerstört. Die IAEA zieht den Schluss, dass der Irak auch vor 1990 trotz massiver Importe hoch entwickelter Technologie und von Materialien seitens europäischer und US-Konzerne (unter vollständiger Kenntnis der westlichen Regierungen) trotz hartnäckiger Versuche nie die Technik der Anreicherung von Uran beherrschte.
Dies legt nahe, dass Behauptungen, dass der Irak 1991 "innerhalb von drei Jahren" eine Nuklearwaffe hätte entwickeln können, eine krasse Überschätzung waren, selbst wenn die westliche Unterstützung nicht ausgeblieben wäre. Die Behauptung aber, dass der verwüstete und verarmte Irak zehn Jahre später noch näher vor dem Bau einer Atombombe stehen soll, ist einfach lächerlich.
Doch mit dem Herannahen des ersten Jahrestags des 11.9. unternahm die US-Regierung eine kalkulierte Kampagne haarsträubender Lügen, um die Welt davon zu überzeugen, dass der Irak trotz des Fehlens entscheidender Einrichtungen oder Materialien auf wunderbare Weise an der Schwelle des Erwerbs einer Nuklearwaffe stehe.
Die Litanei der Kriegsbefürworter lautet: Wenn der Irak ausreichendes Material aus dem Ausland erhalten könnte, würde er "binnen Monaten" (IISS-Bericht, 9.9.), "innerhalb eines Jahres" (Bush) oder "in ein bis zwei Jahren" (Blair) über eine Nuklearwaffe verfügen. Doch ist, wie Simpson und Rangwala hervorheben, "diese Behauptung eine Tautologie. Wenn der Irak das Kernmaterial für eine Bombe importieren könnte, dann hätte er eine Bombe. An das Spaltmaterial zu kommen ist der schwierigste Teil der Konstruktion einer Nukleareinrichtung, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Irak versucht hat, solches Material vom Ausland zu erhalten." Falls Physikstudenten, so das Nuclear Control Institute, in irgendeinem Land an "hochangereichertes Uran" kommen könnten, "wären sie in der Lage, eine Bombe herzustellen, die eine ganze Stadt zerstören könnte".
Doch die schrillen Warnungen der drohenden nuklearen Gefahr, die aus dem Weißen Haus und Downing Street ertönen, stehen nicht einmal im Einklang mit dem Großteil der "Beweise", die von Bush, Blair und Konsorten geliefert werden. Was angeboten wurde, bezieht sich auf die gleichermaßen fragwürdige Anschuldigung, dass der Irak selbst das zur Kernwaffenentwicklung erforderliche Material herzustellen versucht.
Selbst wenn es stimmte, dass Bagdad einen solchen Kurs eingeschlagen hätte, würde der Irak nicht kurz vor der Entwicklung einer Nuklearwaffe stehen. Im Januar 2001 zeigte das US-Verteidigungsministerium keineswegs die Panik, die sein Boss Rumsfeld seit dem 11.9.2001 zur Schau trug, als es verkündete: "Der Irak bräuchte mindestens fünf Jahre und entscheidende ausländische Unterstützung zum Wiederaufbau der Infrastruktur, um genug Material zum Bau von Kernwaffen anzureichern." Und Scott Ritter äußerte sich jüngst gegenüber dem Guardian: "Der Irak müsste, um die Fähigkeit zur Entwicklung von Nuklearwaffen zu erwerben, Einrichtungen schaffen, die Dutzende Milliarden Dollar kosten. Nuklearwaffen können nicht in einem Keller oder in einer Höhle produziert werden. Sie erfordern eine moderne industrielle Infrastruktur, die ihrerseits riesige Mengen von Elektrizität und hochgradig kontrollierte Technologien erfordert, die nicht leicht auf dem offenen Markt zu erwerben sind … Die UNSCOM hat das Nuklearprogramm zerstört, und um es wieder aufzubauen, müsste der Irak Maßnahmen ergreifen, die von Geheimdiensten leicht zu entdecken wären."

4. "Der Iraq unterstützt den Terrorismus und kann seine Massenvernichtungswaffen dem Al-Qaeda-Netzwerk zur Verfügung stellen."
Der Bericht des US-Außenministeriums von 2001 über den Terrorismus bemerkte, dass Husseins Regime seit 1993 "keine antiwestliche terroristische Attacke versucht hat".
Die marginalen palästinensischen und iranischen Gruppen mit einer Basis im Irak, die terroristische Aktionen unternommen haben, sind weitgehend inaktiv und haben niemals Angriffe in den USA oder Europa durchgeführt, und es sind auch keine außerhalb des Nahen Ostens operierenden Netzwerke bekannt.
Zwischen Bagdad und Al Qaeda wurden keine glaubwürdigen Verbindungen gefunden, trotz der Anstrengungen der Falken in der Bush-Administration, sie zu (er)finden. Dies ist keine Überraschung, da Osama Bin Laden und seine reaktionären Gefolgsleute Saddam Hussein und dessen laizistische Baath-Partei seit langem als "Ungläubige" betrachten. Bin Laden brach 1990 mit der saudischen Königsfamilie, als diese sein Angebot ablehnte, eine Armee von religiösen Fanatikern aufzustellen, um die irakischen Truppen aus Kuwait zu vertreiben und Saudi-Arabien zu verteidigen.
Dennoch versuchen Teile der Bush-Administration weiterhin zwei besonders windige "Verbindungen" zu Al Qaeda zu konstruieren. Die erste ist ein angebliches Treffen zwischen Mohammed Atta, einem der Attentäter des 11.9., und einem "irakischen Agenten" in Prag 2001. Doch haben Nachforschungen des CIA und des tschechischen Geheimdienstes herausgefunden, dass das Gerücht von diesem Treffen keinerlei Substanz hat.
Die andere Behauptung ist, dass zur winzigen fundamentalistischen Gruppe Ansar al Islam im Nord-Irak Al-Qaeda-Mitglieder gehören, die aus Afghanistan geflüchtet sind, und dass diese Gruppe vom Irak unterstützt wird. Darauf bezog sich Bush am 12.September, als er behauptete, "aus Afghanistan geflüchtete Al-Qaeda-Terroristen befinden sich im Irak". Im Gegensatz zu den wiederholten Behauptungen Rumsfelds wird die Ansar-al-Islam-Gruppe nicht vom Bagdader Regime beherbergt. Einige hundert ihrer Kämpfer kontrollieren eine Handvoll Dörfer nahe der iranischen Grenze in dem Gebiet, das die von den USA unterstützte Patriotische Union Kurdistans kontrolliert.

Norm Dixon

Stark gekürzt aus: Green Left Weekly, Nr.511, 7.10.2002


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