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In Lateinamerika weitet sich die Wirtschaftskrise aus und vertieft sich zugleich. Der Kontinent ist ein bevorzugtes Terrain
für den Internationalen Währungsfonds (IWF). Aber er ist auch sein Sorgenkind in dem Masse, wie die Länder seiner Politik nicht mehr
folgen.
Das Desaster in Argentinien ist ziemlich unmittelbar auf den Nachbarn Uruguay
übergesprungen, weil die wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen beiden Ländern sehr eng sind. Aus Gründen, die bei ihm
selbst liegen, ist Brasilien in eine Phase starker finanzieller Spannungen getreten; zugleich weiten sich die sozialen Kämpfe über den ganzen
Kontinent aus, von Venezuela, wo die Regierung Chavez wieder im Kreuzfeuer der Kritik steht, auf Peru und Bolivien. Diese Situation hat den IWF dazu
bewogen, den Kurs seiner Politik gegenüber den beiden größten Ländern, Argentinien und Brasilien, zu korrigieren. Der
spektakulärste Ausdruck seines Kurswechsels war die Ankündigung am 8.August, Brasilien einen Megakredit von 30 Milliarden Dollar zur
Verfügung stellen zu wollen.
Dieser Schritt bricht mit der jüngsten Linie des IWF in zweifacher Hinsicht. Der IWF
hatte beschlossen, auf die zahlreichen Kritiken zu reagieren, die sagten, es sei besser, die Logik des Marktes wirken zu lassen, statt neues Geld auszugeben, um
Krisen auszubalancieren. Anne Krüger, die stellvertretende Generaldirektorin des IWF, schlug vor, Staaten eine Bankrotterklärung zu
ermöglichen. Der US-Finanzminister Paul ONeill griff diese Idee auf und sagte, es mache keinen Sinn, Geld zu leihen, das später auf einem
Schweizer Bankkonto landet.
In Brasilien hat der IWF einen sehr koordinierten Versuch unternommen, durch Drohungen
und Erpressungen die Präsidentschaftskampagne Lulas zu destabilisieren. Noch im April bestand das Hauptargument des bürgerlichen Lagers und
des amtierenden Staatspräsidenten Fernando Henrique Cardoso darin, die Katastrophe an die Wand zu malen: Wenn Lula gewählt würde,
werde es einen Situation wie in Argentinien geben.
Das Argument erscheint wenig logisch; schließlich hat sich Lula lange Zeit den
neoliberalen Rezepten des IWF widersetzt, während die argentinischen Regierungen sie buchstabengetreu umgesetzt haben. Die brasilianische
Währung, der Real, sank im laufenden Jahr im Verhältnis zum Dollar um 40%, dennoch zeitigte dies nicht das gewünschte Ergebnis: Lula
blieb Spitzenreiter in den Wahlumfragen, während Cardosos Stern unaufhörlich niederging.
Angesichts der Gefahr, dass die Krise sich unkontrolliert über den gesamten Kontinent
ausbreiten könnte, kehrte der IWF zu seiner klassischen Politik zurück und lockerte seinen Druck auf Brasilien. Dennoch verzichtete er nicht darauf,
das politische Geschehen in Brasilien zu beeinflussen. Wie üblich ist der neue Kredit an harte Auflagen gebunden, die für 80% seiner Kredite gelten.
Eine dieser Bedingungen ist ein hartes Sparprogramm, der Regierungshaushalt soll einen Überschuss (vor Zinszahlung) von 3,75% des
Bruttoinlandsprodukts aufweisen und dies noch lange nach den Wahlen, bis 2005.
Der Generaldirektor des IWF, Horst Köhler, hat die Auflagen eine "Brücke
für die nächste Regierung" genannt. Neu daran ist, dass alle Kandidaten in die Pflicht genommen wurden. Lula hat für seinen Teil den
Ball angenommen: "Wir können die Wahlkampagne fortsetzen ohne die Drohung einer Kapitalflucht" hat er erklärt und es seinem
liberalen Konkurrenten überlassen zu versprechen, die Kreditbedingungen würden nicht gebrochen werden.
In Argentinien geht der IWF anders vor. Nachdem die argentinische Wirtschaft regelrecht
implodiert ist, teilweise unter dem Druck der IWF-Forderung nach Haushaltskonsolidierung, musste der IWF handeln. Im letzten Jahr pumpte er zweistellige
Milliardenbeträge in die Wirtschaft; aber im Dezember stellte er die Zahlungen ein. Seither führt er einen Stellungskrieg; er verhandelt über
ein Anpassungsprogramm als Gegenleistung für die Wiederaufnahme seiner Zahlungen.
Die argentinische Regierung hat einige Teilmoratorien hinsichtlich der Zahlungsfristen
durchsetzen können. Vielleicht kann sie diesen Prozess noch bis zu den nächsten Wahlen hinziehen. Der IWF hat nicht mehr vor, eine Regierung zu
destabilisieren, die sich nicht nur dem Zerfall der Wirtschaft, sondern zugleich dem Anstieg des Massenprotests gegenübersieht.
Anders als der versöhnlerische Kurs der brasilianischen PT besteht das Programm der
radikalen Linken in Argentinien auf der Einfrierung der Schulden und der Verweigerung jeglicher Verhandlungen mit dem IWF. Sie legt die Priorität auf
die Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse, und das erfordert Enteignungen im Inland, die Durchsetzung eines Außenhandelsmonopols, um
Einkommen aus Exporten zu zentralisieren, und die Verhinderung der Kapitalflucht. Der IWF ist dann in der Offensive, als finanzieller Arm der USA und ihrer
Banken, aber auch als Vertreter der Kapitalinteressen im allgemeinen. Seine Politik drückt allerdings auch wachsende Besorgnis darüber aus, dass
die Zurückweisung seiner Bedingungen Schule machen könnte.
Michel Husson