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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2002, Seite 21

Eine Kultur der Solidarität

Christophe Aguiton, Was bewegt die Kritiker der Globalisierung? Von Attac zu Via Campesina, Köln: Neuer ISP-Verlag, 224 Seiten, 16,80 Euro

Die neuen globalisierungskritischen Bewegungen sind ein amorpher Haufen heterogenster Gruppen und Strömungen. Revolutionäre und Reformisten, Demokraten und Sozialisten, Gewerkschafter und Jugendliche, Arbeitslose und Politfunktionäre usw. usf. Man weiß, sie agieren in vielen Ländern und in der Regel sogar grenzüberschreitend. Man weiß auch, dass sie eine etwas andere Form der Globalisierung wollen, aber was genau, da beginnen schon die Streitigkeiten. Und je mehr sie bekannt (und beliebt) werden, desto mehr wächst der Bedarf an Orientierung und Analyse. Das ist der Moment der Verlage. Und in der Tat: seit einigen Monaten mehren sich die Buchveröffentlichungen zu den neuen außerparlamentarischen Bewegungen rund um die Gruppe Attac.
Es sind zumeist Sammelbände, in denen Exponenten und Aktivisten der diversesten Gruppierungen Beiträge zu den Themen und Positionen ihrer Arbeit beisteuern. Christophe Aguitons Werk über die Akteure des Widerstands hebt sich von ihnen insofern ab, als er es unternommen hat, nicht nur einen Überblick über die breite Palette dessen zu geben, was sich da weltweit bewegt. Er versucht auch eine analytische Gesamteinschätzung jener so genannten "Antiglobalisierungsbewegung", die seit den Ereignissen von Genua vor einem Jahr auch in Deutschland zum umstrittenen Objekt theoriepolitischer Diskussionen geworden ist.
Aguiton, "ein Aktivist der ersten Stunde und internationaler Sprecher von Attac Frankreich" (O-Ton Verlagswerbung), zieht seinen analytischen Bogen von den strukturellen Veränderungen der kapitalistischen Weltökonomie seit Beginn der 80er Jahre über die damit verbundenen politischen Kampfzyklen bis zum Wendejahr 2001. Es ist dieser ganzheitliche Blick, der das Buch zu einem gelungenen und wichtigen Beitrag macht.
Ausführlich beschreibt Aguiton das neue Akkumulationsregime als eine spezifische Form des internationalen Finanzkapitalismus. Und er beschreibt sehr schön, wie diese neuen ökonomischen Imperative durch neue politische Institutionalisierungsformen abgesichert werden. Vor allem die Rolle von IWF und Weltbank nimmt er aufs Korn, zeigt aber auch, dass sie letztlich versuchen, die gleichermaßen politischen wie ökonomischen Vorgaben des neuen Welthegemon, der USA, durchzusetzen und abzusichern ("Washingtoner Consensus"): Begrenzung des Haushaltsdefizits, Sparzwang und Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften; Reform des Steuerwesens zugunsten der Vermögenden, Liberalisierung der Finanzmärkte, Öffnung der Märkte und Subventionsabbau, Privatisierung, Deregulierung und Konkurrenzwettkampf.
Dass und wie Aguiton aufzeigt, dass sich mit der Durchsetzung des Neoliberalismus auch der politische Kampfzyklus verändert hat, ist der für deutsche Leserinnen und Leser wahrscheinlich wichtigste, weil am wenigsten vertraute Teil des Buches. Er zeigt auf, dass wir es seit Beginn der 80er Jahre mit einer tiefen Krise sowohl der autozentrierten Entwicklungsmodelle in der Dritten Welt, wie auch des sozialdemokratischen Nachkriegskeynesianismus zu tun haben. Die Todeskrise der bürokratischen Planwirtschaften hat schließlich die welthistorische Niederlage der Linken zu Beginn der 90er Jahre so perfekt wie umfassend gemacht.
Da Aguiton nicht zu jenen Linken gehört, die, weil mal der Wind frontal bläst, aus der Not die Tugend des Fatalismus machen, hat er sich die nötige Sensibilität bewahrt, das historisch neue und ausgesprochen wichtige an den neuen globalisierungskritischen Bewegungen zu erkennen. Es sind die unter diesen weltpolitischen Bedingungen zwangsläufigen Versuche, eine breite neue Widerstandskultur gegen die Zumutungen des globalisierten Kapitals hervorzubringen. Detailliert beschreibt er die diversen Bewegungen: die neue Jugendbewegung ebenso wie die Bewegungen gegen soziale Ausgrenzung, Bewegungen gegen das Patriarchat ebenso wie Bauernbewegungen, die Nichtregierungsorganisationen ebenso wie die umfangreichen Versuche einer radikalreformerischen Erneuerung der Gewerkschaftsbewegungen weltweit.
Im Zentrum dieser Bewegungen steht der Protest gegen die die Gesellschaft durchdringende Profit- und Konkurrenzökonomie, gegen Verdinglichung und Entfremdung. Ganz praktisch wird hier angegangen gegen zentrale Institutionen der kapitalistischen Weltwirtschaft und gegen jene vorherrschenden Parteien, die sich denselben unterordnen. Man will teilhaben, mitbestimmen, ändern — und dies im Geiste internationaler Solidarität. Es ist also ernstlich kaum zu bestreiten, dass die neuen sozialen Bewegungen gegen die aktuelle Verfasstheit des neoliberal herrschenden Kapitalismus aufbegehren, und dass sie damit ihrer objektiven Logik nach antikapitalistisch sind, ohne dass sich dies bei jedem in dieser Form subjektiv niederschlagen muss.
Aguiton weiß um diese Spannung. Trotz gelegentlicher Überhöhung der Verdienste und Originalitäten der neuen Bewegungen, ist er nicht unkritisch: Es gelte deswegen, "den kämpferischen Flügel der Bewegung aufzubauen".

Christoph Jünke

Das Buch von Aguiton ist eines der Werbeprämien unserer gegenwärtigen Abokampagne. Wer die SoZ neu abonniert (als Jahresabonnement für 50 Euro) bekommt nach bezahlter Rechnung das Buch von Aguiton umsonst zugesandt.



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