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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 3

Der Süden im Kampf gegen die WTO

‘Die höchste Form der Diktatur‘

Vandana Shiva ist Physikerin und Wissenschaftstheoretikerin. Die Inderin kämpft seit mehr als 15 Jahren für die Bewahrung des Saatguts in ihrem Heimatland und gegen die Politik multinationaler Konzerne und internationaler Organisationen auf diesem Sektor. Sie gründete hierzu vor fünf Jahren Navdanya, eine Bewegung zur Bewahrung der Biodiversität und für Farmerrechte. Außerdem ist sie Leiterin des Forschungsinstituts für Wissenschaft, Technologie und Rohstoffpolitik in Neu-Delhi. 1993 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis der "Right-Livelihood"-Stiftung.
Dass ich einmal um unser Saatgut kämpfen würde, schien wirklich nicht meine Bestimmung zu sein, schließlich bin ich ja auch Quantenphysikerin geworden. Bis mir vor fünfzehn Jahren das erste Mal die Globalisierungsagenda der Biotechnologie-Industrie bewusst wurde.
Bereits damals, im Jahre 1987, schmiedeten die multinationalen Konzerne ihre Pläne, wie sie die geistigen Eigentumsrechte, die Patentmonopole mit Hilfe des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT erlangen konnten. Wie sie im Gegensatz zu den Bauern, die lediglich "ordinäre" Saatzucht betrieben, gentechnische Manipulationen vornehmen konnten. Wie es ihnen durch die Aufhebung sämtlicher Beschränkungen für Monopole und Handelsgeschäfte gelänge, ihre Konzentration und Macht zu nutzen, um die Märkte und unsere Konsummuster nach ihrem Willen zu formen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich entschied, unsere Saaten zu schützen.
Ende der 80er Jahre konnten wir uns dabei auch noch der Unterstützung unserer Regierung sicher sein. Aber seitdem hat sich ihre Einstellung geändert: sie wandelte sich von einem Partner der Menschen zu einem Freund der Konzerne. Als die Konzerne 1987 anfingen, gab sie sich kämpferisch und sagte: "Es darf keine Monopole auf Saaten geben, keine geistigen Eigentumsrechte und keine WTO. Wir dürfen keinen Freihandel mit Nahrung erlauben, dies ist keine Handelsfrage. Wir dürfen keine Investitionsfreiheit gestatten." Kurz: Die Regierung sagte das, was auch wir forderten.

Die Demokratie stirbt

Aber heute ändern die Regierungen, eure und unsere, Land für Land, sehr schnell ihre Meinungen. Rasend schnell schließen sie sich der Argumentation an: "Es gibt keine Alternative". Aber wir haben sie gewählt, und wenn sie unseren demokratischen Willen nicht umsetzen wollen, kann das nur zu zwei Dingen führen: Eine Diktatur entsteht und die Demokratie stirbt.
Für mich hat sich die WTO als die höchste Form der Diktatur erwiesen. Sie hat Partner, den IWF und die Weltbank. Auch sie sind Diktaturen, aber sie beherrschen das Finanzsystem, während es der WTO gelingt, durch die Änderung unserer eigenen Handelsgesetze zu herrschen, ohne das wir oder unsere Parlamente davon wissen. Sie sind in der Lage, unsere Verfassungen zu ändern, ohne eine parlamentarische oder öffentliche Debatte.
Sie versuchen sogar unsere moralische und ethische Haltung dazu, was wir als heilig betrachten, zu ändern. Werden wir den Dollar jemals für heilig halten? Oder werden wir stattdessen die Vielfalt des Lebens auf diesem Planeten, unsere Flüsse, unser Wasser und unser gemeinsames Leben als heilig ansehen.
Sie würden gerne unsere Kirchen, unsere Parlamente und unsere Gerichte ersetzen. Hierfür ist die WTO erschaffen worden, nämlich ein Ersatz für jeden Raum zu sein, über den wir unsere Freiheit gestalten und leben.
Und all das geschah, ohne das jemand davon wusste: Im Dezember 1993 trafen sich zwei Männer, Micky Kantor, US-Handelsrepräsentant, und der EU-Handelskommissar Leon Brittan. Sie setzten sich für eine Woche zusammen, verhandelten und verkündeten der Welt anschließend: "Ihr habt dem neuen GATT-Abkommen zugestimmt." Aber alle anderen Vertreter warteten währenddessen auf den Korridoren.
Einige dieser Abkommen zwingen die Staaten, Leben zu patentieren. Sie erlauben dem Kapital, jede Ressource in Besitz zu nehmen; und es gibt dermaßen viel davon. Drei Billiarden Dollar zirkulieren jeden Tag um den Globus — das reicht, um die Welt 500mal aufzukaufen. Und wenn das Kapital die Quelle allen Rechts darstellt, kann es keine anderen Rechte geben — nicht die Rechte der Lebewesen, der Menschen, der Armen und der Ausgegrenzten. Darum halte ich die Globalisierung nicht nur für eine Diktatur, sie ist schlimmer — für mich ist sie ein neuer Krieg gegen den Planeten und die Menschen. Für mich ist sie Terrorismus. Denn was ist Terrorismus anderes? Er ist die systematische Nutzung von Zwangsmitteln, um Menschen zu terrorisieren.
Was macht das Landwirtschaftsabkommen der WTO? Es ist doch nichts anderes als die systematische Nutzung von Zwangsmitteln zur Beseitigung von Importbeschränkungen. Auf diese Weise können uns die USA und multinationale Agrar- und Biotechnologiekonzerne, wie Cargill und Monsanto, zwingen, unsere Speiseölproduktion zu zerstören und Öl von gentechnisch veränderten Sojapflanzen zu essen.
Was aber bedeutet das für die betroffenen Menschen? Die 10 Millionen Ölsaatenbauern, die eine Million Menschen in kleinen ölverarbeitenden Betrieben? Und das ist nur eines von vielen Produkten — das gleiche geschieht auch mit Getreide, Baumwolle und Kaffee. Unsere Kaffee- und Teeplantagen sterben. Genauso wie in Lateinamerika. Zwar ist der Kaffeehandel auf 70 Milliarden US-Dollar angewachsen, aber die Einkommen unserer Produzenten sind von einst 9 Milliarden US-Dollar auf jetzt 5 Milliarden gefallen. Während sich also der Welthandelsprofit verdoppelt hat, halbierten sich die Einkommen derjenigen, die in der Kaffeeproduktion arbeiten. Das überrascht allerdings nicht, denn das System soll genau so funktionieren.

Nicht unseren Reis

In Indien erleben wir, wie jegliche Sicherheit, die wir als unabhängiges Land besaßen, demontiert wird. Das letzte Mal verhungerten 2 Millionen Menschen in Indien, als wir im Jahre 1942 noch unter britischer Herrschaft standen, der Zweite Weltkrieg im vollen Gange war und wir Getreide und Reis für die Truppen liefern mussten. Die Briten saugten die Produzenten damals dermaßen aus, dass die Reisbauern verhungerten. Zu dieser Zeit entstand eine Bewegung, die in erster Linie von Frauen getragen wurde. Das Motto hieß: "Wir geben unser Leben, aber wir geben nicht unseren Reis."
Zum ersten Mal verhungerten letztes Jahr wieder Menschen in Indien, wie auch in Afrika. Der Grund hierfür liegt bei einer kombinierten IWF und Weltbankdiktatur, die vorschreibt: "Ihr könnt euren Bauern keine fairen Preise garantieren, ihr könnt eure Armen nicht unterstützen, nur damit sie Nahrung zu erschwinglichen Preisen bekommen. Das sind Subventionen und das ist Sünde."
In der Folge füllen sich aber die Lager, weil die Menschen sich die Nahrung, die in ihrem eigenen Land wächst, nicht leisten können; allein in Indien verrotten zurzeit 65 Millionen Tonnen Getreide, während Tausende von Menschen verhungern — Tausende!
Wenn die Lager sich aber füllen, kommen die Weltbankfunktionäre wieder und sagen: "Oh, gebt Cargill und Pepsi Subventionen, damit sie zum halben Preis exportieren können." Auf diese Weise exportieren wir alle subventionierte Nahrung und zerstören uns gegenseitig unsere Ökonomien. Und jeder Export, sei es nun von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord, kann nur funktionieren, wenn das lokale Getreide teurer ist als importiertes, und wenn der Export auf falschen Preisen beruht. So erzeugt dieser Handel einen fiktiven Wohlstand, zerstört aber in Wirklichkeit unser Leben.
Dieser Betrug existiert auf allen Wirtschaftsebenen. Systematisch wird uns gesagt, wir müssten genetisch veränderte Nahrung konsumieren, denn wenn wir es nicht täten, würde sich die Gentechnologie nicht in aller Welt verbreiten, und wäre somit nicht in der Lage, uns vor dem Hungertod zu bewahren. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: In Indien wurden dieses Jahr das erste Mal gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Die Ernte betrug nur 10% dessen, was versprochen wurde. Die Einkommen haben sich halbiert, die Kosten aber verdoppelt. Ganz anders sieht es natürlich in Beiträgen der Financial Times oder von CNN aus: Das sind keine Berichte über die Realität der Farmer, sondern aus den "Kochbüchern" des Monsanto-Konzerns, die denen von Anderson, Enron, WorldCom — und wie sie alle heißen — gleichen. Wir wissen mittlerweile, dass sie ihr "eigenes Süppchen kochen" und sollen dann unser Leben in ihre Hände legen?

Leben verkaufen

Heute ist uns klar, dass sie diese Globalisierungsagenda nach dem Desaster der multinationalen Konzerne nicht mehr allein auf dem ökonomischen Sektor durchsetzen können. Sie müssen die Globalisierung durch den Krieg "befördern". So konnten dieses Jahres nur auf der Grundlage des "Kampfes gegen den Terror" viele Dinge in Indien durchgesetzt werden. Wir hätten sonst keine Änderungen unseres Patentrechts erlebt. In den zehn Jahren, in denen wir freie demokratische Debatten hatten, konnten wir sie verhindern.
In diesem Jahr aber führte der "Kampf gegen den Terror" zu neuen indisch- pakistanischen Spannungen. Neue Probleme zwischen den Minderheiten entwickelten sich, genau an dem Tag, an dem die Entscheidung über das Patentrecht gefällt werden sollte. Ich nenne so etwas einen "Nebelvorhang". Er soll uns alle dadurch ablenken, dass wir uns über die religiösen Konflikte Sorgen machen. Er soll Differenzen aufbauen, und dieses "Teilen und Herrschen" soll dazu dienen, dass sie ihre Globalisierungsagenda genau dann durchsetzen können, wenn die Menschen gerade anfangen "Nein" zu sagen.
Diese Kampagne dient dazu, die Übernahme unseres Wassers, unserer Nahrung, Saaten, Schulen und unseres Gesundheitssystem durch multinationale Konzerne zu unterstützen. Der Punkt dabei ist, dass alles, was Leben ermöglicht und eine Gesellschaft am Laufen hält, zu einer Handelsware umgemünzt wird. Das ergibt 1 Milliarde Dollar für Saatgut, 1 Milliarde für Wasser, 5 Milliarden für die Gesundheitsversorgung und schließlich 5 Milliarden für die Schulbildung. Das ist die Rechnung, die sie aufgemacht haben: Wenn Leben gekauft werden muss, ist es eine verdammt teure Angelegenheit. Uns das Leben zu nehmen, um es anschließend wieder an uns zu verkaufen, ist ein verblüffender, brillanter Schachzug!

Vandana Shiva

Gekürzter Redebeitrag Vandana Shivas auf der gemeinsamen Aktionskonferenz von Attac Stuttgart, des NWWP, von Brot für die Welt u.a. am 30.November in Stuttgart im Rahmen der weltweiten Kampagne "Unsere Welt ist keine Ware!"




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