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Aus der Perspektive westlicher Staaten, in denen die hochindustrialisierte Agrar- und Nahrungsmittelproduktion als absolut
dominant erscheint, die ökonomische Verwertbarkeit von Leben geradezu als Sinnfrage gehandelt wird, mag die Position Vandana Shivas romantisierend
bis antiquiert gelten: Sie setzt in ihrem jetzt in deutscher Sprache erschienen Klassiker Biopiraterie auf die klare Einvernahme essentieller Lebensbereiche durch
die kommunale und regionale Gemeinschaft. Die Nahrungsproduktion, die Saatzucht, die Wasserversorgung, die Bildung und andere öffentliche Aufgaben
gehören für sie in die direkte Obhut der Menschen. Nur eine solche emanzipatorische Perspektive könne gleichzeitig Demokratie,
Biodiversität und eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit garantieren.
All das hingegen, was westliche Regierungen, multinationale Konzerne und internationale
Organisationen, allen voran die Welthandelsorganisation , die Weltbank und der IWF als "Freiheit" anpreisen, erweise sich aus einer Sicht des
Südens als neue "autoritäre Struktur". Nach den ersten beiden Wellen der Globalisierung, der tatsächlichen Eroberung, die vor
500 Jahren begann und der "Entwicklungs"politik, folge mit den Patenten und den geistigen Eigentumsrechten "eine säkulare
Neuauflage des gleichen Kolonisationsvorhabens".
Vandana Shiva legt aus ökofeministischer Sicht und mit absoluter Klarheit die neue
Qualität dieser "dritten Welle" dar: "Jetzt braucht das Kapital neue Kolonien" und "diese neue Kolonien sind die
Innenräume von Frauen, Pflanzen und Tieren". Hiermit ginge auch eine "Entwertung der Arbeit der Frauen und in den Subsistenzwirtschaften
der Dritten Welt" einher.
Die Angriffe auf diese lokalen, diversen Strukturen erfolge vor allem deshalb, weil diese sich
aus Sicht des Westens der Verwertbarkeit durch zentralisierte Ökonomien entziehen. Sie produzierten zwar, trügen aber nichts zur
weltwirtschaftlichen "Entwicklung" bei. Die geistigen Eigentumsrechte, die Biopiraterie, sei deshalb der Weg, den Zugriff auf diese Ressourcen zu
sichern. Und zwar so weit, dass ganze Gesellschaften erschüttert, Demokratien in Frage gestellt und bisherige Freiheiten einem Konzept von "Zwang
und Gewalt" unterworfen würden. Als Gegenkonzept empfiehlt sie das 1993 vom Third World Network entwickelte "Prinzip der kollektiven
intellektuellen Rechte".
Erkenntnissteigernd ist das Buch auch für westliche Globalisierungskritiker: Es setzt
nicht auf eine "Globalisierung von unten", die von vielen nördlichen Netzwerken eingefordert wird. Vielmehr steht die "Fähigkeit
zur Selbstorganisation" im Vordergrund und die Notwendigkeit eines "alternativen wirtschaftlichen Paradigmas".
Dirk Krüger