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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 3

Biopiraterie

‘Kolonialisierung des Lebens‘

Vandana Shiva, Biopiraterie. Kolonialismus des 21.Jahrhunderts: Eine Einführung, Münster: Unrast 2002, 156 Seiten, 14 Euro.

Aus der Perspektive westlicher Staaten, in denen die hochindustrialisierte Agrar- und Nahrungsmittelproduktion als absolut dominant erscheint, die ökonomische Verwertbarkeit von Leben geradezu als Sinnfrage gehandelt wird, mag die Position Vandana Shivas romantisierend bis antiquiert gelten: Sie setzt in ihrem jetzt in deutscher Sprache erschienen Klassiker Biopiraterie auf die klare Einvernahme essentieller Lebensbereiche durch die kommunale und regionale Gemeinschaft. Die Nahrungsproduktion, die Saatzucht, die Wasserversorgung, die Bildung und andere öffentliche Aufgaben gehören für sie in die direkte Obhut der Menschen. Nur eine solche emanzipatorische Perspektive könne gleichzeitig Demokratie, Biodiversität und eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit garantieren.
All das hingegen, was westliche Regierungen, multinationale Konzerne und internationale Organisationen, allen voran die Welthandelsorganisation , die Weltbank und der IWF als "Freiheit" anpreisen, erweise sich aus einer Sicht des Südens als neue "autoritäre Struktur". Nach den ersten beiden Wellen der Globalisierung, der tatsächlichen Eroberung, die vor 500 Jahren begann und der "Entwicklungs"politik, folge mit den Patenten und den geistigen Eigentumsrechten "eine säkulare Neuauflage des gleichen Kolonisationsvorhabens".
Vandana Shiva legt aus ökofeministischer Sicht und mit absoluter Klarheit die neue Qualität dieser "dritten Welle" dar: "Jetzt braucht das Kapital neue Kolonien" und "diese neue Kolonien sind die Innenräume von Frauen, Pflanzen und Tieren". Hiermit ginge auch eine "Entwertung der Arbeit der Frauen und in den Subsistenzwirtschaften der Dritten Welt" einher.
Die Angriffe auf diese lokalen, diversen Strukturen erfolge vor allem deshalb, weil diese sich aus Sicht des Westens der Verwertbarkeit durch zentralisierte Ökonomien entziehen. Sie produzierten zwar, trügen aber nichts zur weltwirtschaftlichen "Entwicklung" bei. Die geistigen Eigentumsrechte, die Biopiraterie, sei deshalb der Weg, den Zugriff auf diese Ressourcen zu sichern. Und zwar so weit, dass ganze Gesellschaften erschüttert, Demokratien in Frage gestellt und bisherige Freiheiten einem Konzept von "Zwang und Gewalt" unterworfen würden. Als Gegenkonzept empfiehlt sie das 1993 vom Third World Network entwickelte "Prinzip der kollektiven intellektuellen Rechte".
Erkenntnissteigernd ist das Buch auch für westliche Globalisierungskritiker: Es setzt nicht auf eine "Globalisierung von unten", die von vielen nördlichen Netzwerken eingefordert wird. Vielmehr steht die "Fähigkeit zur Selbstorganisation" im Vordergrund und die Notwendigkeit eines "alternativen wirtschaftlichen Paradigmas".

Dirk Krüger


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