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Peter Strutynski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Mitglied der AG Friedensforschung an der Gesamthochschule Kassel sowie Sprecher des
Friedensratschlags. Das Gespräch für die SoZ führte Dirk Krüger.
Auf dem 9.Friedensratschlag im Dezember fanden sich die üblichen Friedensbewegten ein. Die Friedensbewegung scheint vollkommen
unberührt von der gewaltigen Antikriegsstimmung vor allem unter den Jüngeren zu sein. Was macht diese konkrete Zielsetzung attraktiver als den
Pazifismus alter Schule?
Peter Strutynski: Ich möchte zurückfragen: Wo ist denn die "gewaltige Antikriegsstimmung"? Ich weiß, dass die breite
Mehrheit unserer Gesellschaft den drohenden Irakkrieg ablehnt, daraus ist aber egal ob unter "Älteren" oder
"Jüngeren" noch keine wirklich spektakuläre Massenbewegung geworden. Und zu den "Jüngeren": Die
werden dann in Bewegung kommen, wenn sie sich von dem drohenden Krieg unmittelbar betroffen fühlen. Das war beim Golfkrieg 1991 so und in den
80er Jahren im Kampf gegen die Stationierung neuer Atomraketen.
Die Friedensbewegung hat am erfolgreichsten gearbeitet, als sie mit einfachen Parolen mobilisierte, etwa "Raus aus der NATO" oder
der klaren Forderung nach Abrüstung. Wie kann sie an ihr altes Mobilisierungspotenzial anknüpfen?
Einspruch: Die Parole "Raus aus der NATO" mag zwar einfach sein, sie hat aber in den vergangenen 20 Jahren nie Massen mobilisiert. Am
erfolgreichsten war die Friedensbewegung, wo es ihr gelang, an die Betroffenheit der Menschen anzuknüpfen wie die Bewegung gegen die atomare
Bewaffnung Ende der 50er Jahre, aus der die Ostermarschbewegung entstand, oder die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, die Bewegung für die
Entspannungspolitik Anfang der 70er Jahre und die Massenbewegungen gegen den Golfkrieg. Der nun drohende Krieg bewegt auch schon viele Menschen, aber
noch nicht so, dass sie alle auf die Straße strömen würden.
Man könnte hier ein Auseinanderfallen von jungen und alten Kadern attestieren. Inwiefern zeichnet sich hier ein Generationenkonflikt
innerhalb der Linken ab?
Im Zusammenhang mit der Friedensbewegung verwende ich ungern den Begriff "Kader", der aus der Militärfachsprache kommt. Aber
ich sehe auch kein Auseinanderfallen von alten und jungen Friedensaktivisten. Friedensbewegung war auch in ihren Hochzeiten nie eine Jugendbewegung,
jedenfalls nicht in ihren aktiven Kernen. In den 80er Jahren dominierten in den lokalen und betrieblichen Friedensinitiativen die 30- bis 40-Jährigen.
Jugendliche schließen sich temporär an, machen mit bei besonders massenwirksamen Demonstrationen oder fantasievollen Aktionen, sie sind aber
nur in Ausnahmefällen für eine längerfristige kontinuierliche Friedensarbeit zu interessieren.
Der Friedensbewegung heute fehlt die mittlere Generation sie ist in den 16 Jahren Kohl-Zeit so
gründlich von der Politik abgestoßen worden und heute noch durch die Schröder-Politik, dass sie die Schnauze von Politik voll hat. Wer lange
genug mit ansieht, wie alle Initiativen von unten von der politischen Klasse ausgesessen, verraten oder abgebügelt werden, sieht am Ende keinen Sinn
mehr im politischen Engagement. Das ist heute unser größtes Problem. Vielleicht gelingt es Netzwerken wie Attac, diese Erstarrung wieder
aufzubrechen. Es wäre ein Segen für die Demokratie.
Die Bundesregierung hat mit ihrer Antikriegsrhetorik im Wahlkampf gepunktet und anschließend einen bewussten Verrat begangen. Wie
muss die Friedensbewegung darauf reagieren?
Ich denke, es kommt jetzt darauf an, die Bundesregierung beim Wort zu nehmen und auf den Widerspruch zwischen Wahlversprechen und aktuellem
Regierungshandeln hinzuweisen. Den USA wurden sowohl Überflugrechte als auch die Nutzung ihrer Militärstützpunkte für den Fall
eines Krieges garantiert. Dies hat die Bundesregierung ohne Einschränkung getan, d.h. selbst für den Fall, dass der US-Krieg ohne UN-Mandat
stattfindet und somit selbst in der Rechtsauffassung Berlins einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg darstellt. Insofern kann es für die
Friedensbewegung keine Schonung der Regierung geben.
Welche Entwicklung zeichnet sich in der Zusammenarbeit mit den Regierungsparteien ab? Geht sie über das Interesse einzelner
Friedensorientierter in diesen Zusammenhängen hinaus?
Zunächst einmal: Von "Zusammenarbeit mit den Regierungsparteien" kann zur Zeit ja gar keine Rede sein jedenfalls nicht, was
die Basis der Friedensbewegung betrifft. Es gibt natürlich bei manchen sog. "Großorganisationen" der Friedensbewegung nach wie vor
die Tendenz, es sich mit Rot-Grün nicht noch weiter verderben zu wollen. Das veranlasst sie dazu, lieber das Wahlversprechen positiv herauszustreichen
und den in Teilen bereits vollzogenen Wahlbetrug verschämt herunterzuspielen.
Ich weiß nicht, wie lange die Bundesregierung ihren Drahtseilakt zwischen
Antikriegsrhetorik und Pro-USA-Politik noch schwindelfrei überstehen wird. Die Friedensbewegung sieht den Schwindel und sagt das auch offen. Etwas
ganz anderes ist es, wenn es um die Zusammenarbeit der Friedensbewegung mit SPD und Grünen auf anderen als der Regierungsebene geht. Wir haben
bei Aktionen etwa anlässlich des weltweiten Protesttags gegen den Irakkrieg am 26.Oktober in vielen Städten auch wieder verstärkt
Sozialdemokraten und Grüne gesichtet. Hier und da gab es Grüne, die zu solchen Kundgebungen aufgerufen haben. Auch der Juso-Bundesvorstand
hat das getan. Ohne das überbewerten zu wollen: Es deutet sich eine vorsichtige Wiederannäherung dieser Parteien an die Friedensbewegung an
"von unten" allerdings.
Neben der indirekten Unterstützung eines möglichen Irakkriegs fordert die Bundesregierung die Normalität des
militärischen Engagements in aller Welt zum selbstverständlichen Bestandteil deutscher Außenpolitik zu machen, Stichwort
"Krisenmanagement" (Struck). In welcher Form muss die Friedensbewegung auf diesen neuen militärischen Weg der BRD reagieren?
Die Wiedererlangung der "Normalität" in Form einer Gewöhnung an das weltweite militärische Engagement der
Bundesrepublik ist nicht hinnehmbar. Das tun zwar die Franzosen oder die Engländer schon immer, nur: bei Deutschland erhält diese
Neuakzentuierung der Außenpolitik eben eine besondere Note durch die deutsche Geschichte, die schon zweimal im letzten Jahrhundert die Welt mit
verheerenden Kriegen heimgesucht hat.
Darauf hat das Bonner Grundgesetz mit der Aufnahme eindeutig friedenspolitischer und
defensiver Staatszielbestimmungen reagiert. Die Bundesrepublik war ähnlich wie Japan nach 1945 ein Staat, der das Gewaltverbot der
UN-Charta in seiner eigenen Verfassung materialisiert hatte. Für die Friedensbewegung ergibt sich nun die Aufgabe, die Neuorientierung der Republik in
Richtung einer mit oder ohne NATO und/ oder EU weltweit interventionsfähigen Großmacht zu bekämpfen.
Die Rückbindung der Außen- und Sicherheitspolitik auf strikte
Landesverteidigung gehört genauso dazu wie die Auflösung der bereits aufgebauten "Einsatzkräfte" einschließlich ihrer
besonders harten Variante, des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Am Hindukusch wird nicht unser Land verteidigt, wie Peter Struck vor kurzem meinte,
am Hindukusch und an vielen anderen Orten der Welt werden gegebenenfalls völkerrechtswidrige Kriege gegen fremde Völker oder Staaten
geführt.
Wie kann eine Friedenspolitik unter diesen Vorzeichen konkret aussehen?
Friedenspolitik muss zunächst von der neuen Situation ausgehen, dass die Bundeswehr in eine Interventionsarmee transformiert werden soll. In der
Regierungserklärung sprach Schröder von einer "Armee im Einsatz", die seine Koalition schaffen möchte. Dagegen gilt es breiten
Protest und Widerstand zu formieren. So schlecht sind die Voraussetzungen hierfür gar nicht. Wenn man die jüngsten Äußerungen und
Stellungnahmen der Katholischen Bischöfe oder der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hierzu ansieht, wird man erstaunt sein, so
viel Übereinstimmung mit der Haltung der Friedensbewegung zu finden. Hier existieren gesellschaftliche Kräfte, die für den
außerparlamentarischen Kampf gegen Krieg und Kriegsvorbereitung gewonnen werden können. Ähnlich sieht es an der Basis der
Regierungsparteien aus.
AußerparlamentarischerDruck entsteht allerorts. Das Beispiel der Antikriegsdemonstrationen in den USA mit Millionen von Teilnehmenden
beeindruckt die amerikanische Regierung in keiner Weise. Welche effektiveren Formen außerparlamentarischer Aktivität stehen zur
Verfügung?
Es ist durchaus möglich, dass der US-Krieg gegen den Irak nicht mehr aufzuhalten ist, obwohl die Friedensbewegung bis zuletzt dagegen
kämpfen muss.
Aber auch aus Niederlagen kann langfristig Gutes entstehen, etwa durch die Aufklärung
vieler Menschen über die wahren Hintergründe des Krieges. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass die mangelnde Kriegsbereitschaft der Mehrheit
der Bevölkerung heute auch ein Ergebnis des langjährigen Wirkens der Friedensbewegung seit den 80er Jahren ist. In den USA hat sich das
Vietnam-Erlebnis tief in das Gedächtnis der Bevölkerung eingegraben. Der 11.9. hat das zeitweilig stark überlagert, aber inzwischen hat auch
Bush Probleme, für seinen Krieg eine Mehrheit in der Gesellschaft hinter sich zu bringen.
Noch ein Wort zu den "effektiveren Formen" der Friedensbewegung: Ich glaube
nicht, dass es "effektive" und "ineffektive" Formen des außerparlamentarischen Kampfes gibt. Alle Proteste haben in der Regel
symbolischen Charakter. Das heißt: die Friedensbewegung setzt mit ihren Aktionen ihre Forderungen nicht unmittelbar durch. Über Krieg oder
Frieden entscheidet nicht die Bewegung, sondern entscheiden Parlament und Regierung. Auf sie muss also der Druck der Straße erhöht werden.
Die neuen sozialen Bewegungen, wie Attac, arbeiten in ihren eigenen Zusammenhängen zum Thema Globalisierung und Krieg. Welche
Schnittmengen und konkreten gemeinsamen Arbeitsansätze bestehen hier?
Es gibt in der Tat eine relativ große "Schnittmenge", sowohl was die Themen betrifft als auch was die Akteure beider Bewegungsbereiche
angeht. Auf örtlicher Ebene gibt es viele Beispiele für konkrete Zusammenarbeit. Ich denke, dass der 15.Februar, der europaweite Protesttag gegen
den Krieg, auch wieder in der Zusammenarbeit von Friedensbewegung und Attac vorbereitet wird.
Mit der PDS ist die letzte Partei, die sich als Antikriegspartei versteht, weitgehend aus dem Bundestag verschwunden. Wie kann ohne einen solchen
Transmissionsriemen die Friedenspolitik wieder auf die "offizielle" Agenda kommen?
Es ist richtig, dass die PDS eine wichtige Rolle für die Friedensbewegung gespielt hat. So gab es einen guten Informationsfluss aus dem Bundestag in
die außerparlamentarische Bewegung und umgekehrt war die PDS wichtiger Ansprechpartner für unsere Themen und Anliegen. Paradoxerweise ist
der Verlust der PDS-Mandate der Tatsache geschuldet, dass die rot-grüne Koalition in der Schlussphase des Wahlkampfs die Antikriegsposition der PDS
übernommen hat und damit die Wahlen letztlich für sich entscheiden konnte.
Ökonomische Interessen stellen eine wichtige Triebfeder für Rüstung und Krieg dar. Die Gewerkschaften tragen aus
beschäftigungspolitischen Gründen diese Position meist mit. Welche Ansätze, mit den Gewerkschaften ins Gespräch zu kommen, hat
die Friedensbewegung bisher ergriffen?
Nun, Gewerkschaften sind ja nicht für den Krieg. Sie sind für Rüstungsproduktion, wenn sich ihnen keine Alternativen zu bieten
scheinen. In den 80er Jahren hat die IG Metall als die am stärksten betroffene Gewerkschaft sogar ausgefeilte Konversionsprogramme aufgelegt, um aus
der Rüstungsabhängigkeit heraus zu kommen.
All dies muss aus heutiger Sicht als gescheitert gelten. Der Friedensratschlag hat in der
Friedensbewegung immer die Kräfte repräsentiert, die in den Gewerkschaften einen quasi natürlichen Verbündeten sehen. Wir haben
uns vorgenommen, die Gründung eines gewerkschaftlichen Netzwerks gegen den Krieg zu unterstützen. Das gibt es inzwischen und es hat bereits
mehrere tausend Unterschriften gesammelt, mit denen der DGB-Bundesvorstand aufgefordert wird, in der Kriegsfrage eine eindeutige Haltung einzunehmen.
Die Rüstungs- und "Sicherheits"politik wird im zunehmenden Maße eine europäische Angelegenheit. Wie stellt sich
die Friedensbewegung auf diese zunehmende Europäisierung des Militärischen ein?
Natürlich kritisch und ablehnend. Die Militarisierung der EU ist seit längerem ein Thema für die Friedensbewegung: Der Aufbau der
60000 Soldaten umfassenden europäischen Einsatztruppe wird zwar abgelehnt und als weiteres Zeichen der Militarisierung der Weltpolitik verstanden,
aber es ist nur schwer möglich, dagegen eine breitere Bewegung zu entwickeln. Die Bundesrepublik wird sicher versuchen, ein paar ihrer neoimperialen
Gelüste über die europäische Schiene zu realisieren. Insgesamt also eine sehr gefährliche Entwicklung. Die Friedensbewegung setzt
dem das Konzept einer ausschließlich zivilen "Friedensmacht Europa" entgegen.