SoZ Sozialistische Zeitung |
Am 15.12. ist die große Tarifreform der Deutschen Bahn in Kraft getreten. In den letzten Wochen wechselten sich in den
Zeitungen seitenlange Werbeanzeigen der Bahn ab mit zum Teil wütenden Leserbriefen und kritischen Berichten der Verbraucherverbände.
Viele Dauerkunden der Bahn hatten schnell raus, was sich meist zu ihren Ungunsten
ändert, und wo Protest angebracht wäre. Das angeblich "vereinfachte" Preissystem ist ohne Computer nicht mehr zu bewältigen. Die
50%-BahnCard wurde abgelöst. Billigere Preise gelten erst ab Entfernungen von mehr als 120 Kilometern. Einsparungen für Familien, die eher selten
zusammen mit der Bahn in den Urlaub fahren, werden mehr als kompensiert durch massive Verteuerungen z.B. für Berufspendler in den Ballungsgebieten, die
besonders durch den Wegfall der Interregio-Züge und die Ungültigkeit der Fahrkarten der Verkehrsverbünde für IC- und ICE-Züge
entstehen.
Mehrere Tests der Verbraucherverbände haben ergeben, dass die behauptete
Vergünstigung nicht in der Art wie die Werbung suggerieren möchte eintritt, weil die günstigen "Plan- und Sparpreise" an erschwerte
Voraussetzungen gebunden sind. Zuletzt hat der Benutzerverband "Pro Bahn" 10000 Unterschriften überreicht, um gegen die Verschlechterungen
für viele Bahnkunden zu protestieren und Nachbesserungen zu verlangen.
Alle Kritiken und Vorschläge wurden von der Bahn und ihren Sprechern abgebügelt.
Vorstandschef Mehdorn gab sich unbeugsam. Die Bahn will mehr Geld einnehmen und gleichzeitig weiteres Personal abbauen, auf Kosten des Massenverkehrs und
zugunsten des Geschäftsfernverkehrs.
Im Vorweihnachtstrubel kam es zu langen Schlangen an den Bahnschaltern und Kassen, da sich viele
bei der Vorbuchung ihrer Fahrkarten zum Jahresende überhaupt erst einmal informieren mussten. Neue BahnCard-Anträge und die
Frühbucherrabatte mussten von den Beamten erst einmal erläutert werden. Der Personalmangel an allen Ecken und Enden führte zu
Engpässen.
Im Ruhrgebiet wird insbesondere der Nahverkehr zusätzlich belastet durch den Wegfall der
Interregios, die bisher stündlich von Münster bis Koblenz auch viele Berufstätige nach Düsseldorf, Köln oder Bonn mitnahmen.
Der Nahverkehr, für den die Länder zuständig sind, ist in den neuen Fahrplan
notdürftig integriert worden, aber soll die von der ICE-Bahn ungeliebten Pendler übernehmen, denen die Umstellung auf die teuren Züge zu
kostspielig oder gar nicht mehr möglich ist. So werden für viele Bahnkunden die meisten mittleren Reisen längere Zeit in Anspruch nehmen und
auch noch spätestens wenn die "alte" BahnCard im Laufe des nächsten Jahres ausläuft erheblich teurer werden.
Es wäre an der Zeit, dass sich die Beschäftigten der Bahn ähnlich wie in
Frankreich mit den Benutzern zu Protesten zusammentäten: gegen Stellenabbau und Verteuerung, gegen die Einschränkungen des
Flächenverkehrs bei der Bahn.
Die SoZ druckt in Auszügen einen offenen Brief von bekannten Verkehrspolitikern und
Experten ab darunter Heiner Monheim und Winfried Wolf , die vor einiger Zeit an Mehdorn schrieben. Dort erläutern sie die wichtigsten
Einwände gegen das neue Preissystem und zeigen Alternativen auf.
nachdem wir die Preise zwischen "alt" und "neu" ausreichend studieren konnten, möchten wir als engagierte Bahnfreunde unsere
Kritik und tiefe Sorge zum Ausdruck bringen. Nach unserer Erkenntnis wird mit dem neuen Bahnpreissystem PEP Bahnfahren in weiten Bereichen komplizierter,
unflexibler und teurer. Wir befürchten, dass aufgrund dieses neuen Systems und seiner Beförderungsbedingungen weitere Millionen Fahrgäste an
das Auto und das Flugzeug abgegeben werden, dass die Bahn noch größere Defizite anhäuft und das Unternehmen DB AG in der
Öffentlichkeit noch mehr Ansehen verlieren wird.
Das neue Preissystem ist entschieden komplizierter als das bestehende. Sie wollen mit PEP im gesamten Fernverkehr und nicht nur, wie bisher beim ICE
grundsätzlich sog. Loco-Preise einführen.
Das heißt: Für jede denkbare Ort-zu-Ort-Verbindung im Bahnnetz gibt es einen
individuellen Preis. Dabei fließen in die Preisbildung unterschiedliche Kriterien wie Entfernung, durchschnittliche Auslastung, die Konkurrenzsituation zu Auto
und Flugzeug, der Zeitpunkt der Fahrt usw. ein. Aus diesem Grund kommen Sie auf rund 22 Millionen Preisrelationen, die zusätzlich für die drei
Produktkategorien differieren. Hier ist es völlig irreführend, wenn Sie erklären: "In Zukunft gibt es nur einen Normalpreis."
Tatsächlich gibt es für jede Verbindung und für jedes Produkt einen spezifischen Preis. Wie diese Preise, die ja bei gleichen Entfernungen zum
Teil erheblich variieren können, zustande kommen, erschließt sich den Fahrgästen nicht. Kurz: bei PEP gibt es keinerlei Transparenz.
Tatsächlich war die Flexibilität ein entscheidender Systemvorteil des Schienenverkehrs. Mit Einführung von PEP wird diese
Flexibilität enorm eingeschränkt. Der BahnCard-Kunde, der spontan fahren will, wird für eine Bahnfahrt wesentlich mehr als bisher zu zahlen
haben. "Spontanfahrer" können in Zukunft den Normalpreis nur noch um 25% senken statt wie bisher um 50%. Das bringt für
Millionen Bahnkunden massive Verteuerungen.
BahnCard-Besitzer zahlen dort, wo der neue Normalpreis dem heutigen Preis entspricht, 50% mehr.
Im reinen Nahverkehr trifft diese massive Preissteigerung von 50% alle Besitzer der bisherigen BahnCard, da hier die PEP-Sonderrabatte keine Gültigkeit
haben. Solche zum Teil enorme Tariferhöhungen müssen zum Verlust wesentlicher Marktsegmente führen.
Dabei handelt es sich bei diesen "Spontanfahrern" nicht um eine kleine Minderheit. Sie,
Herr Mehdorn, gehen in ihren PEP-Unterlagen davon aus, dass 29% der Fahrgäste solche "Spontane" seien das wären im Jahr bereits
rund 42 Millionen Fahrgäste des Fernverkehrs.
Unstrittig ist, dass ein großer Teil der potenziellen Reisenden einige Tage im Voraus plant. Dies darf jedoch nicht so interpretiert werden, dass all diese
"Vorausplanenden" sich auf einen bestimmten Zug festlegen wollten.
Will ein Kunde tatsächlich, wie von Ihnen immer wieder betont, preisgünstiger als
bisher Bahnfahren, dann verlangt PEP nicht nur eine weitgehende Vorausplanung, sondern auch die Festlegung auf die Züge der Hin- und Rückfahrt. Erst
eine Planung von drei Tagen im Voraus ergibt in der Regel die Chance, wenigstens in die Nähe des Fahrtpreises zu gelangen, der bisher für eine Fahrt mit
der BahnCard zu 50% Rabatt aufzubringen war. Erst wenn er sieben Tage im Voraus plant, bucht und sich festlegt (und ein Wochenende zwischen Hin- und
Rückfahrt liegt), kann er den bisherigen Bahnpreis mit BahnCard 50 zum Teil deutlich senken.
Die PEP-BahnCard hat gegenüber der aktuellen BahnCard materielle und psychologische Nachteile. Eine BahnCard, die Fahrkarten um die Hälfte
verbilligt, kann tatsächlich den Charakter eines Generalschlüssels bekommen. Eine BahnCard jedoch, die lediglich einen Rabatt von 25% gewährt,
wird höchstens als ein Preissenkungsinstrument unter anderen verstanden.
Ihnen, Herr Mehdorn, ist durchaus bekannt, dass die neue BahnCard eine Abwertung darstellt. Sie
haben darauf mit einer Kampagne zum verstärkten Kauf der bisherigen BahnCard reagiert. Damit versucht Ihr Unternehmen, den Umsatz mit der
"alten" BahnCard dadurch zu steigern, dass implizit auf die höhere Wertigkeit dieser BahnCard 50 im Vergleich zur neuen BahnCard 25 abgehoben
wird.
Im übrigen ist Ihre Behauptung, die BahnCard neu sei viel billiger als die bisherige, nur
begrenzt zutreffend. Die bisherige BahnCard kostet für Junioren, Senioren und Lebenspartner bereits heute lediglich 70 Euro. Die neue BahnCard kostet 60
Euro und bietet nur noch alternativ 25% Rabatt ohne Einschränkungen.
Die 10 Euro stellen als zusätzliche "Jahresausgabe" gemessen an den gravierenden
Nachteilen keine relevante Preisreduktion dar.
Gleichzeitig werden jedoch vielen Millionen Kunden drastische Preiserhöhungen zugemutet. Ursächlich dafür sind zwei Elemente, die
parallel mit PEP durchgesetzt bzw. im neuen Bahnpreissystem enthalten sind:
Erstens sollen zeitgleich mit PEP alle Interregio-Züge (bis auf wenige Randverbindungen) und
mit ihnen die niedrigste Preisstufe im Fernverkehr abgeschafft werden. Ein Teil dieser Züge wird ohne dass sich etwas ändert in
"IC" (Intercity) umbenannt und damit eine Preiskategorie höher eingestuft.
In den PEP-Informationen verschweigen Sie den Interregio-Abbau und seine Auswirkung auf die
Bahnpreise systematisch. Sie wählen sogar Beispiele (wie eine Bahnfahrt GelsenkirchenKoblenz), bei denen Sie den heutigen IC-Preis mit demjenigen
ab 15.Dezember vergleichen obgleich auf dieser Verbindung heute am Tag 15 IR und nur zwei IC verkehren und die IR die Strecke sogar schneller
als die IC-Züge bewältigen!
Zweitens werden mit PEP zahlreiche bahntypische und kundenspezifische Verbindungen teurer.
Nach Angaben Ihres Managements wird mit PEP "auf kurzen Entfernungen der künftige Normalpreis im Fernverkehr über dem heutigen
Grundpreis liegen."
Auf der Pressekonferenz zur Einführung von PEP äußerten Sie: "In Zukunft haben die Kunden es in der Hand, wieviel sie sparen
wollen." Das ist unwahr. Die Kundinnen und Kunden können versuchen, solche Schnäppchenpreise zu bekommen. Tatsächlich sind alle
Plan&Spar-Preise kontingentiert. Es handelt sich um Angebote, solange der Vorrat reicht. In Zukunft werden Millionen Fahrgäste planen, um zu sparen,
und dann dennoch "normale", also hohe Bahnpreise bezahlen müssen.
Klappt es jedoch mit der angepeilten preiswerten Bahnkarte, dann ist damit trotz der
Festlegung auf exakt festgelegte Züge noch keineswegs eine Sitzplatzgarantie verbunden.
Nun werben Sie in den großformatigen Anzeigen für PEP mit dem Argument: "Mit dem neuen Preissystem wird Bahnfahren für
Millionen Menschen so attraktiv wie nie zuvor." Tatsächlich dürfte PEP viel Streit und Stress für Kundschaft und Personal bescheren.
Vorbuchungsfristen, Umtauschkonditionen und Umtauschgebühren schaffen juristisch orientierte Geschäftsbedingungen, die den Kunden gravierende
finanzielle Risiken auferlegen.
Das gilt in besonderem Maß für den Fall, dass ein Kunde mit einem Plan&Spar-
Ticket einen der vorab bestimmten Züge aus, wie die Bahn meint, "Eigenverschulden" nicht nutzt. Er zahlt dann den wesentlich höheren
Normalpreis (wobei er die Kosten der Plan&Spar-Fahrkarte angerechnet bekommt) plus eine Stornogebühr von 45 Euro. Auf diese Weise kommt es leicht
zu einer Verdopplung des Fahrpreises, mit dem der Kunde ursprünglich rechnete. Daraus werden sich Tausende Streitereien zwischen Fahrgästen und
Zugbegleitern und dann zwischen Fahrgästen und der DB AG bzw. vor dem Kadi ergeben.
Wir gehen weiterhin davon aus, dass das bestehende Grundsystem reformiert, die BahnCard mit 50% ausgebaut und um eine im Preis deutlich günstigere
NetzCard ergänzt werden sollte. Beide "Generalschlüssel" könnten in einem solchen Modell massenhaften Zuspruch finden und der
Bahn eine weit größere treue Kundschaft sichern, als dies heute der Fall ist und als dies beim PEP-Preissystem möglich sein wird. Für unser
Modell spricht u.a. die Praxis in unserem Nachbarland Schweiz, wo die BahnCard gemessen an der Einwohnerzahl einen weit größeren Zuspruch
erfährt.
Natürlich ist uns nicht entgangen, dass Sie PEP ab dem 15.Dezember auf Biegen und Brechen
einführen wollen. Wenn die Einführung von PEP als unvermeidbar erachtet wird, dann sind zumindest die folgenden Maßnahmen zur Modifikation
von PEP erforderlich:
die Vorbuchungsfristen sind unnötig; auf sie könnte ohne weiteres verzichtet werden,
die Umbuchung auf alternative Züge vor der Abfahrt könnte leicht für 5 Euro ermöglicht werden,
die BC mit 50% Rabatt könnte, gegebenenfalls mit erhöhten Preisen, weiter angeboten werden unter Beibehaltung der bisherigen
Konditionen,
die IR-Züge könnten weiter als IR mit der bisherigen niedrigsten Preisstufe im Fernverkehr verkehren,
höhere Preisstufen sollten nur für Züge verlangt werden, die komfortabler und schneller sind als IR-Züge.
Sehr geehrter Herr Mehdorn! Würde sich die DB AG vor Einführung von PEP zu diesen korrigierenden Maßnahmen entschließen, dann
könnte der erhebliche Schaden, der in den nächsten Monaten der Bahn entstehen wird, vermieden werden.
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