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Die Tarifverhandlungen für die knapp 3 Millionen Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst spitzen sich
zu. Allein in Nordrhein-Westfalen gingen mehr als 30000 abhängig Beschäftigte am 6.Dezember auf die Straße und protestierten mit
Warnstreiks gegen die Blockadehaltung der Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden. Weitere Zehntausende beteiligten sich an Kundgebungen
und Demonstrationen in anderen Bundesländern. Die Sondierungsgespräche am 11.Dezember sind, wie vorauszusehen war, gescheitert.
Die Erwartungshaltung der Mitglieder ist klar und deutlich. Die abhängig
Beschäftigten wollen einen Abschluss in dieser Runde, der nicht unter den Tarifergebnissen der anderen Branchen liegt. In den Tarifverhandlungen dieses
Jahres wurden in den wichtigsten Bereichen der Privatwirtschaft Lohn- und Gehaltserhöhungen zwischen 3 und 3,5% erreicht. Die Forderungen beliefen
sich in der Regel auf 6,5%.
Nicht so im öffentlichen Dienst. Die Bundestarifkommission der Gewerkschaft Ver.di
hatte auf einer Klausurtagung in der zweiten Oktoberhälfte mit einer sehr deutlichen Mehrheit beschlossen, auf die üblichen "rituellen
Regentänze" zu verzichten und "realitätsbezogen" deutlich mehr als 3% zu fordern. Das jedoch mit dem Ziel, in jedem Fall eine 3
vor dem Komma durchzusetzen.
Diese Entscheidung ist nicht so ganz unumstritten. Seit Jahrzehnten sind die
Gewerkschaftsmitglieder an die Basarrituale in Tarifauseinandersetzungen gewöhnt. Es stellt sich aber für viele die Frage, ob ein solch schneller
Strategiewechsel nicht zu Irritationen in der Mitgliedschaft führen würde. Die Kritiker dieser Position sprechen sich grundsätzlich ebenfalls
dafür aus, von den üblichen Tarifritualen Abstand zu nehmen, da die Aufstellung einer relativ "hohen" Forderung und das in der Regel
auf die Hälfte reduzierte Tarifergebnis auch an der Gewerkschaftsbasis in den vergangenen Jahren Unmut hervorgerufen hat. Sie vertreten aber die
Auffassung, dass einem solchen Schritt eine gründliche Diskussion in den Betrieben hätte vorausgehen müssen.
Der Protest der Mitglieder allerdings hält sich in der Tat in Grenzen. Der Erfolg oder
Misserfolg der Tarifauseinandersetzung wird letztendlich zeigen, ob das kühne Vorgehen der Führung ein wenig zu früh angesetzt war.
Die weiteren Forderungen lauten:
Angleichung auf 100% für die neuen Bundesländer bis spätestens 2007,
zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Ergebnisses auf die Beamten,
Verlängerung der Übernahmeregelung für Auszubildende.
Die öffentlichen Arbeitgeber fordern wie in jeder Tarifrunde der vergangenen zehn Jahre eine Nullrunde, weil bekanntlich die
öffentlichen Haushalte, vor allem die Gemeinden, so gut wie pleite sind. Sie drohen gar damit, den gesamten Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und die
anderen damit in Verbindung stehenden Tarifverträge zu kündigen, wenn Ver.di von ihren maßlosen Forderungen nicht abrückt.
Es gibt keine Debatte darüber, dass die Nettoverdienste aller abhängig
Beschäftigten zwischen 1993 und 2000 um 4,7% gestiegen sind, die Nettogewinne der Kapitalgesellschaften sich jedoch in diesem Zeitraum um sage und
schreibe 85% erhöht haben. Kein Wort über die Tatsache, dass die großen Konzerne so gut wie keine Steuern zahlen und die Verschwendung
öffentlicher Gelder, die Korruption und die Bereicherung der Herrschenden in Politik und Wirtschaft zur Tagesordnung gehören. Ganz zu schweigen
von den Milliarden, die in die Rüstung und Kriegsbeteiligungen gepumpt werden.
Die letzte Lohn- und Gehaltserhöhung liegt 31 Monate zurück und der Abstand zu
den Tarifsteigerungen der Privatwirtschaft wird seit 1990 immer größer. Der Hinweis auf die Arbeitsplatzsicherheit für die
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ist schon lange widerlegt. Bei Bund, Ländern und Gemeinden sind von 1991 bis 2001 über eine
Millionen Arbeitsplätze abgebaut worden. Die Städte Berlin und München bspw. drohen mit betriebsbedingten Kündigungen.
Wie bereits erwähnt, die abhängig Beschäftigten haben eine deutliche
Erwartungshaltung. Tatsache ist jedoch auch, dass aufgrund der erfolgten Privatisierungen von Betrieben und Einrichtungen, der Zulassung von
Spartentarifverträgen, Outsourcing und massivem Stellenabbau im öffentlichen Dienst eine immer stärker werdende Verunsicherung
festzustellen ist. Die Angst um den Arbeitsplatz beherrscht zunehmend die Belegschaften. Wie weit sich das auf die Mobilisierungsbereitschaft zu weiteren
Warnstreiks oder gar einem Erzwingungsstreik auswirkt, ist noch nicht ausgemacht.
Eine große Verantwortung obliegt hier der Führung von Ver.di. Ein
Zurückweichen vor der harten Haltung der Politik hätte katastrophale Auswirkungen. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Umverteilungspolitik
von unten nach oben und der daraus resultierenden schweren finanziellen Belastungen für die abhängig Beschäftigten würde das
ohnehin lädierte Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften weiter geschwächt werden. Die Erfahrungen vor allem der
Mitglieder der ehemaligen ÖTV mit ihren letzten Führungen unter den Vorsitzenden Monika Wulf-Mathies und Herbert Mai sind da noch zu frisch.
Wolfgang Zimmermann (16.12.2002)