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"Was wir nicht brauchen, ist Sparen zugunsten der Familie Holtzbrinck mit einem geschätzten Familienvermögen von 56
Milliarden Euro." Der Ver.di-Vorstandsvorsitzende Bsirske hat mit dieser Aussage die Forderung seiner Gewerkschaft nach einer 3%igen Lohn- und
Gehaltserhöhung und den Vorschlag der Gewerkschaften, die Länder sollten die damit entstehenden Mehrkosten über eine
Vermögensteuer finanzieren, plausibel begründet.
Wenn in unserem Land die Gefahr droht, dass Vernunft und Logik zuungunsten der
großen Konzerne, Banken und der Superreichen befördert werden, dann wird oft die antisemitische Klaviatur bedient. Roland Koch
äußerte im hessischen Landtag, Bsirskes Namensnennung sei "eine neue Form von Stern an der Brust".
Mit dieser Gleichsetzung von Stigmatisierung durch den Davidstern als Vorbereitung für
den Gastod und Namensnennung als Begründung für die Rückverteilung von oben nach unten hat sich der hessische Ministerpräsident
nicht, wie er sagte, "vergaloppiert". Die Financial Times Deutschland erkannte darin zu Recht "Kochs bewährtes
Wahlkampfrezept"; die Süddeutsche Zeitung verwies darauf, dass Koch "in den eigenen Reihen als kühl-kalkulierend" gilt. Wie
Möllemann es nach seinen antisemtischen Ausfällen im Bundestagswahlkampf vorexerziert hatte, so handelte Koch nun, als er sich nach seinem
Landtagsauftritt nicht beim Zentralrat der Juden entschuldigte, sondern beim Ver.di-Vorstandsvorsitzenden, den er nicht habe "verletzen wollen".
Der Vorgang im hessischen Landtagswahlkampf 2002 greift auf doppelbödige Art
antisemitische Grundmuster auf: "Armut und niedrige Einkommen kommen vom jüdischen Reichtum" und nicht von der
kapitalistischen Klassenspaltung und Umverteilung. Seit geraumer Zeit wird diese NS-Tradition fortgesetzt. Als es 1986 um die Übernahme der Flick-
Aktien durch die Deutsche Bank und die Forderung nach einer Entschädigung der Zwangsarbeiter ging, äußerte der CSU-
Bundestagsabgeordnete Fellner, "die Juden" seien "immer schnell dabei, wenn in deutschen Kassen Geld klimpert". Im selben Jahr hatte
der damalige Bürgermeister von Korschenbroich, Graf Spee, erklärt, der städtische Haushalt könne nur ausgeglichen werden,
"wenn ein paar reiche Juden erschlagen" würden. 1997 ächzte der CSU-Bundestagsabgeordnete Zeitlmann, die Bundesrepublik
Deutschland habe "genug eigene Probleme", da werde man "Herrn Bubis doch wohl noch fragen dürfen: Wieviel (zugewanderte) Juden
braucht ihr denn noch?" Er wolle "nur wissen, obs die Blutauffrischung gebracht hat".
Kurz nachdem Roland Koch 1999 erstmals hessischer Ministerpräsident wurde und sein
CDU-Landesverband im Zentrum der "Bimbes-Affäre" stand, erklärte der damalige CDU-Schatzmeister die Herkunft der Gelder in den
schwarzen Kassen des CDU-Landesverbands damit, dass es sich hier um "Vermächtnisse aus jüdischen Kreisen" handle. Als dies als
glatte Lüge aufflog, argumentierte derselbe Sayn-Wittgenstein: "Es hätte aber sehr gut sein können, dass jüdische
Mitbürger bei einem Todesfall sich doch ihrer alten Stadt Frankfurt ... erkenntlich zeigen wollten."
Dies ist ein weiteres Grundmuster des neuen Antisemitismus: Die Juden könnten sich
endlich "erkenntlich zeigen" jedenfalls nach ihrem Tod. Der "Vorwurf des Antisemitismus" könne "nicht ewig
erhoben" werden, es müsse endlich "Normalität" einkehren. Immerhin, so der damalige Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein
1997, gelte: "Antisemitischer als die Briten waren auch wir nicht. Queen Victoria wollte noch 1869 keinen ungetauften Juden im House of Lords sehen, in
Bismarcks Norddeutschem Reichstag (18671871) saßen hingegen schon einige."
Während Koch die antisemitische Klaviatur benutzt, um den Krieg im Inneren
gegen die Gewerkschaften zu führen, wird im drohenden Irakkrieg die "Normalität zwischen Juden und Deutschen" eingeklagt
bzw. die deutsche Schuld gegenüber der jüdischen Bevölkerung dazu genutzt, um den Krieg nach außen zu rechtfertigen. Bereits im
Mai 2002 äußerte der damalige Verteidigungsminister Scharping in dem in New York erscheinenden jüdischen Blatt Aufbau: "Wir sind
leider soweit [von einer Friedenslösung] entfernt, dass wir uns dazu [über den möglichen Einsatz von Bundeswehrsoldaten in einer
internationalen Friedenstruppe im Nahen Osten] keine Gedanken machen müssen."
Ein halbes Jahr und inmitten der Vorbereitungen auf einen Krieg gegen den Irak, bei dem Israel
Teil des "Bündnisses gegen den Terrorismus" ist, macht sich die Berliner Regierung dazu mehr als "Gedanken": An Israel werden
deutsche Patriot-Raketen geliefert; die Lieferung von Fuchs-ABC-Panzern ist laut Bundesregierung "kein Problem"; eine Lieferung von
"Fuchs-Transportpanzern" wird "ernsthaft geprüft". Grundsätzlich, so Kanzler Schröder, gelte, dass die Deutschen
"beim Schutz der jüdischen Bevölkerung eine besondere Verantwortung" haben.
Koch und Schröder beuten auf unterschiedliche Weise das deutsch-jüdische
Verhältnis aus. Doch beide Male wird die Verantwortung vor der deutschen Geschichte zynisch geleugnet. Beide Male geht es um die Durchsetzung einer
reaktionären und antidemokratischen Politik.