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Vor kurzem erschien der dritte und letzte Band der Reihe "Balkanföderation und Arbeiterbewegung" in der
Zeitschrift Marxismus der Wiener Arbeitsgruppe Marxismus (AGM). Autor des gesamten Werks ist Manfred Scharinger. Der erste Band erschien im Jahr 2001.
Das heißt, dass die ganze Reihe zur einer Zeit veröffentlicht wurde, da der Balkan schon wieder weitestgehend aus dem öffentlichen Interesse
verschwunden ist. Der Grund für diese Verspätung ist zweifellos, dass wir es hier nicht mit einem Schnellschuss zu tun haben, sondern mit einer
profunden wissenschaftlichen Arbeit, die eben deshalb ihren vollen Wert außerhalb jedes konjunkturellen Interesses auch und gerade der
"Linken" hat. Die Kenntnis der so gewundenen Geschichte der Balkanföderation in Theorie und Praxis wird, wie der Autor im dritten Band
ausdrücklich betont, unverzichtbar sein für jeden, der die Völker des Balkan weder der Herrschaft des Imperialismus ausliefern will noch
einem sich in periodischen Gemetzeln entladenden von den lokalen Bourgeoisien geschürten nationalen Chauvinismus.
Der erste Band behandelt die Konzeptionen der unterschiedlichen Strömungen der
Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg, d.h. eines Zeitraums, in dem sich die Region noch weitgehend im direkten Griff fremder Mächte befand und
in dem dann in den Balkankriegen von 1912/13 wesentliche Grundlagen für das bis heute andauernde Elend gelegt wurden.
Bereits hier wird deutlich, dass die Krise des Balkan nicht erst mit dem Zerfall des vermeintlich
sozialistischen Jugoslawien begann, sondern abgesehen vom Wirken der lokalen chauvinistischen Bourgeoisien und des Imperialismus durchaus auch ihre
Ursprünge in den Unzulänglichkeiten weiter Teile der Arbeiterbewegung der damaligen Zeit hatte einer Arbeiterbewegung, die
wohlbemerkt noch nicht von der stalinistischen Konterrevolution entstellt war und in der der Sozialdemokratismus erst begann, sich vom
"orthodoxen" Marxismus zu einer Spielart des Imperialismus zu wandeln.
Die damaligen Diskussionen über die Lösung der anstehenden gewaltigen
Probleme der Region und insbesondere ihrer werktätigen Bevölkerung sind nicht zuletzt auch deshalb noch von großem Interesse, da in dieser
Zeit die Idee von der Balkanföderation geboren wurde und auch gerade von der Sozialdemokratie der k.u.k. Monarchie, also des Unterdrückerstaats,
Theorien zur nationalen Frage entwickelt wurden, die ihren letztlich sozialchauvinistischen Charakter nur mühsam verbergen konnten und die heute in
allerdings primitiverer Fassung im "antinationalen" Lager der "Linken" Wiederauferstehung feiern. Neben diesen allgemeinen Fragen
sind spezielle Kapitel der bulgarischen, der rumänischen und der Arbeiterbewegung im Osmanischen Reich und Griechenland gewidmet.
Der zweite Band behandelt die Entwicklung bis hin zur Volksfrontpolitik der III.Internationale
Mitte der 30er Jahre. Während die Konzeption der Balkanföderation selbst bei den beiden am weitesten links stehenden Strömungen der
Sozialdemokratie in der Region, der Sozialistischen Partei Serbiens und der sog. "Engherzigen" Bulgariens, zunächst noch
klassenmäßig relativ unbestimmt geblieben war, entwickelte die als Internationale nach dem Ersten Weltkrieg neu formierte kommunistische
Bewegung unter Führung der russischen Bolschewiki die Konzeption einer sozialistischen Balkanföderation.
Diese Konzeption, die auch in einem organisatorischen Zusammenschluss der regionalen
Sektionen der Komintern seinen Ausdruck fand, wurde dann im Zuge der scharfen Rechtswendung während der Volksfrontphase im Interesse der
bürgerlichen Bündnispartner praktisch völlig gekippt. Vorausgegangen war dem jedoch bereits seit Mitte der 20er Jahre eine Hinwendung
zum bürgerlichen Nationalismus, wenngleich zunächst vornehmlich der von den neuen multinationalen Staaten wie Jugoslawien
unterdrückten Nationen. In der Volksfrontphase orientierten sich die Komintern und damit ihre Balkansektionen von der Unterstützung
nationalrevolutionärer Kräfte um auf die Verteidigung der bestehenden (bürgerlichen) Staaten, soweit diese behaupteten
"antifaschistisch" zu sein. Die Balkanföderation war damit ad acta gelegt.
Einen bislang letzten Fehlstart erlebte dieses im Kern so unverzichtbare Projekt allerdings nach
der Befreiung des Balkan von der deutschen Besatzung. Es scheiterte allerdings ebenso am Einspruch Stalins wie daran, dass diese von der bulgarischen
(Dimitrov) und jugoslawischen KP-Führung (Tito) anvisierte Föderation letztlich nur ein Feigenblatt für das eigene nationale
Hegemoniestreben war.
Alle drei Bände werden durch eine Reihe historischer Dokumente sowie Literatur- und
Personenverzeichnisse ergänzt.
Anton Holberg