SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2003, Seite 21

Wir haben Pause

The Inchtabokatables, Ultimate Live, Strange Ways / Indigo

Nach elf Jahren Bandgeschichte verabschiedeten sich mit den Inchtabokatables, eine der besten deutschen Live Bands der 90er Jahre im August und September diesen Jahres mit einer Live-Tour von ihren Fans. Wer diese Kombination aus Cello, Geigen, Bass und Schlagzeug einmal live miterleben konnte, kann jetzt eine Erinnerung nach Hause tragen. Wer die Auftritte tatsächlich alle verpasst hat, kann die Möglichkeit nutzen, etwas von dieser humorvollen, experimentierfreudigen wie gitarrenlosen Rockmusik in seine heimischen vier Wände zu holen.
Auf Ultimate Live werden noch einmal einige der Highlights ihrer Studioproduktionen in der raubeinigen Art und Weise präsentiert, in der sich die Musik der Inchtabokatables stets auf der Bühne bewegte. Es fehlt sicherlich der Bühnenzauber, und die Produktion hätte z.B. die Stimme klarer herausarbeiten können, doch wird noch einmal deutlich, wie viel an Experiment in der Rock Musik möglich ist, wenn sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt wird.
In der Lyrik des DDR-Folkrock verwurzelt entwickelten die Inchtabokatables ihre Musik von ihrem ersten Album Inchtomanie beständig bis zu ihrer letzten Studioproduktion Mitten im Krieg weiter. Dass sie dabei nicht den Weg der Rammsteine gingen, die zum Teil ähnliche Wurzeln hatten, kann den fünf Musikern nicht hoch genug angerechnet werden. Dabei wurden auf diesem Weg den Fans oft Wendungen zugemutet, die sicherlich nicht immer leicht nachzuvollziehen waren. Da waren auf ihrem dritten Album Ultra auch für mich zu düstere Balladen, und die Folgealben mit ihren Leihgaben bei Metal und Noise waren kein leichter Tabak.
Mitten im Krieg suchte dann wieder nach den Wurzeln. Noch einmal zeigten die Inchtabokatables den Bands, die mittlerweile diese Art Rockmusik für sich entdeckt hatten, wie eine Band mit solch unkonventioneller Instrumentalisierung zeitgemäß rocken kann. Irgendein besonders schlauer Kritiker hatte längst die Schublade "Mittelalterrock" für die Band vergeben.
Doch auf solche Engstirnler, die dann auch mal auf die Idee kamen, der bewusste Verzicht auf den Gitarreneinsatz hätte daran gelegen, dass es in der DDR keine E-Gitarren gegeben habe, konnten die Inchtabokatables immer gerne verzichten. Kommerziell wären sie sicherlich erfolgreicher geworden, wenn sie an dieses Musikverständnis irgendwo zwischen Bild und Bravo angedockt hätten.
Wie ich denn ihre Musik bezeichnen würde fragte mich jemand, der eine Beschreibung haben wollte, warum ich ein Live-Konzert der Inchtabokatables einmal nicht verpassen wollte. Ich brauchte länger Zeit als gewöhnlich um auf diese Frage eine Antwort zu geben: Postmoderner Speedfolk war letztendlich der Ausweg, den ich nahm und der die schon genannten ebenfalls vorhandenen Elemente außen vor ließ, genau wie den Punk, der allerdings oft mehr Attitüde war als wirklicher Musikbestandteil.
Vielleicht waren es auch die Elemente, die mir am besten gefallen haben, wenn z.B. BBreuler mit seiner Geige über die Bühne fegte, als wäre er nahe der Raserei. Auf Ultimate Live sind es die Stücke wie "Keep in Mind", die besonders irisch klingen, die den Weg vom Konzert auf die CD am besten geschafft haben.
Dass es sich zu Streichern, die in keinem Moment nach Sinfonie klingen, auch rappen lässt, ist ein neues Element der Abschiedstournee. Ihr 1999 Tomatenfisch zeigt in dieser Version, als zusätzliches Bonbon auf Ultimate Live, dass die Pause der Band nicht aufgrund des kreativen Endes zustande gekommen ist. Mit den Coverversionen von Nirvana ("Come As You Are") und U2 ("One") finden sich weitere neue Elemente auf der Abschiedsplatte.
Es soll daher kein Abschied für immer sein. Auch das ein typischer Spaß aus dem Hause Inchtabokatable. Für elf Jahre legen sie ihrer Aussage nach erst einmal eine Pause ein.

Tommy Schroedter


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