SoZ Sozialistische Zeitung |
Zu den bekannten Schwächen der als Ersatz für materialistische Analyse eingesetzten Ideologiekritik gehört,
dass sich regelmäßig Oben und Unten, Falsch und Richtig, Klug und Dumm auf einer Ebene begegnen. Das liegt am Purzelbaumhaften, das jeder
dieser Übungen als Grundmuster unterliegt. Lustige Beispiele sind dafür die immer wieder vorkommenden "Jetzt-kündige-ich-mein-
Abo"-Reaktionen von moralisch vorgeblich festen Lesern gegen moralisch verluderte Redaktionen. Weil ein bestimmter Artikel erschienen ist oder eine
Anzeige veröffentlicht wurde, weil gar nur ein unkorrekter Begriff benutzt oder ein verbotener Autor publiziert wurde es gibt immer wieder selbst
ernannte Sittenwächter, die per Leserbrief die angeblich schärfste aller Waffen zücken oder ein kollektives Todesurteil verkünden.
Diese Art der ins Unerreichbare vorverlagerten Zensur ist natürlich nur Blendwerk statt
entschlossener Kritik, nur Geste statt Aktion, aber gleichzeitig ist sie auch der reine Wahnwitz, weil die gebrandmarkte Meinung sicher nicht verschwindet, wenn
ein Abo gekündigt wird, wie auch die Vorstellung Furcht erregend oder wenigstens tödlich langweilig ist, nur Zeitungen lesen zu wollen, in denen
"alles stimmt" und der eigenen Meinung entspricht. Dieser "Stalinismus" oder "Talibanismus" der kleinen Leute ist in der
Denkweise leider zu oft deckungsgleich mit dem, was damit an politisch Unkorrektem angegriffen werden soll.
Doch auch das ist noch steigerungsfähig. Nachdem die Zeitung Jungle World einen
schönen Text von Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso veröffentlicht hatte, der sich klug und differenziert mit prozionistischen und
dem israelischen Staat ergebenen Positionen einiger "radikaler Linker" auseinandersetzt, kamen in der Folgewoche zwei Repliken von Udo Wolter
und Ole Frahm, die sich leider nur in der brotlosen Kunst der Ideologiekritik verfransten. Noch zwei Wochen später schlugen dann aber die heiligen
Krieger der Antideutschen mit einem tollen Selbstmordanschlag zurück.
Wenn sich Dummheit einen Namen gibt, dann soll er nicht verschwiegen werden: Andrea
Woeldike, Alex Gruber, Birgit Schmidt, Gerhard Scheit, Heribert Schiedel, Horst Pankow, Joachim Bruhn, Jörg Rensmann, Jürgen Janson, Justus
Wertmüller, Martin Cüppers, Mary Kreutzer, Ralf Schroeder, Rebekka Jansch, Simone Dinah Hartmann, Stefan Eschrich, Stephan Grigat, Thomas
Schmidinger, Thomas Uwer, Thomas von der Osten-Sacken, Thorsten Fuchshuber, Tjark Kunstreich, Tobias Ebbrecht, Tobias Ofenbauer, Uli Krug das
sind die Unterzeichner eines Leserbriefs, der der Jungle World die Veröffentlichung des Holz-Müller-Traverso-Textes vorwirft.
Der Kritik von Wolter und Frahm wird vorgehalten: "Sie lassen sich tatsächlich
auf einen anti-israelischen Text ein, entsolidarisieren sich mit den angegriffenen Sharon-Linken, getreu dem Motto: Man wird ja noch mal drüber reden
dürfen. Da hat sie zugeschnappt die Diskursfalle." Und zum ersten Text heißt es "Die Anklageschrift Schuld und
Erinnerung ist für uns deshalb indiskutabel, weil wir über antizionistische Thesen mit deren Protagonisten weder diskutieren wollen noch
können." "Es reicht uns, sich in einem einig zu sein: Es darf nicht noch weitere Foren für verklemmte Antizionisten und offene
Antisemiten geben ... Wir, als Autoren und Leser der Jungle World, wollen wissen, ob dies weiterhin unsere Zeitung ist..."
Nachdem die Provokateure der Bahamas jüngst jede ernsthafte linke Politik gegen den
Antisemitismus mit ihrem Spendenaufruf für die israelische Armee diskreditierten, läuft jetzt die nächste Fraktion der Antideutschen Amok.
Denn das hätte die deutsche Spießer- und Antikommunisten-Mehrheit gern, dass die verhasste Linke so funktioniert, wie es die Leserbriefschreiber
vormachen: erst mit dem Stempel "Antisemit" alle Wände beschmutzen, und wenn über diesen Quark gestritten werden soll, nach
Zensur und Denk- und Schreibverboten schreien. Auch für dieses antideutsche Selbstmordkommando gilt: ihr trefft mehr als ein friedliches Café in
der bösen Dschungelwelt.