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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 4

Verdi — ein Papiertiger?

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst

von HANS PEIFFER

Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst mit rund 3 Millionen Beschäftigten endete nach vorausgegangenen massiven Warnstreiks mit einem Kompromiss. Dieser wurde vom Bundeskanzler begrüßt, von den Vertretern der Kommunen und der Länder hingegen als "dramatisch" bezeichnet. Die CDU nannte ihn sogar "verhängnisvoll". Ver.di aber feierte ihn in einer eiligst hergestellten Hochglanzbroschüre als tarifpolitischen Erfolg.
Noch im Oktober 2002 hatte Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske verkündet: "Die neue Laufzeit wird 12 Monate und nicht 31 Monate haben", wie beim letzten Tarifvertrag. Weiter meinte er, der Lohnzuwachs müsse dem in der privaten Wirtschaft entsprechen.
In weiten Bereichen der gewerkschaftlichen Basis reichten die Forderungen aber von einem Festgeldbetrag von 250 Euro bis zu Prozentforderungen von 6,5%. Die Kolleginnen und Kollegen, die diese Forderungen aufstellten, gingen von den Bedürfnissen der Beschäftigten aus, die täglich erfahren, dass sie mit ihrem Einkommen immer mehr ins Minus geraten. Diese Forderungen wurden von der Gewerkschaftsführung jedoch schnell nach unten gedrückt und durch das Konzept einer "realitätsnahen Forderung" ersetzt, die dann lautete: mindestens eine 3 vor dem Komma. Das Manöver sollte schon im Vorfeld signalisieren: "Seht, wie moderat wir sind!"
Von Beginn der Verhandlungen an setzte Ver.di auf ein Schlichtungsergebnis, zumal die beiden Schlichter der SPD angehörten. Ver.di war schnell bereit, den Schlichterspruch zu akzeptieren, während die öffentlichen Arbeitgeber ihn rundheraus ablehnten. Die Ablehnung war eindeutig politisch motiviert, denn die CDU-Vertreter hatten die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen im Blick und wollten den Schlichtern keinen Erfolg zugestehen. In der Großen Tarifkommission stimmten dann nur 18 Gewerkschafter gegen den Schlichterspruch, bei 106 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen.
Ver.di ist es nicht gelungen, die alten eingefahrenen ÖTV-Praktiken auch nur ansatzweise aufzubrechen, geschweige denn, neue Maßstäbe für eine interessenorientierte Tarifpolitik zu setzen. Bsirske ist bewusst in die Fußstapfen seiner Vorgänger getreten — im Gegensatz zu seinen vollmundigen Ankündigungen.
Das Tarifergebnis ist im Ergebnis weit hinter dem zurückgeblieben, was für die Beschäftigten zur Erhaltung ihres ohnehin schon geringen Einkommens nötig gewesen wäre. Darüber hinaus hat es ihnen eine höhere Arbeitszeit eingebracht, obwohl nur eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit das Problem der Arbeitslosigkeit angehen kann. Die Beschäftigten Ost stehen auch über 2009 hinaus weiter im Regen, denn Arbeitszeit und Lohn unterscheiden sich auch weiterhin von den Westtarifen.
Die größte Einzelgewerkschaft der Welt hat sich damit mal wieder als Papiertiger erwiesen und nicht als Interessenvertretung der Beschäftigten. Vor allem aber wurde damit das Tor für weitere Arbeitszeitverlängerungen aufgestoßen. Das zu verhindern wäre die vordringlichste Aufgabe fortschrittlicher Gewerkschaftspolitik gewesen.
Alleine der bürokratische Zusammenschluss zu einer größeren Gewerkschaft und ein neuer Vorsitzender machen noch keinen Gewerkschaftsfrühling. Notwendig ist eine Tarifpolitik, die von den Beschäftigten selber gestaltet wird, ohne Schlichter und bürokratische Bevormundung.

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