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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 6

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst

Wieder eine Chance verpasst

Die Gewerkschaft Ver.di startete in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst als Tiger und landete am 10.Januar als harmloser Bettvorleger", so lautete das Fazit eines Vertrauensmanns aus dem Landesbezirk NRW, in dem es im Vorfeld der zweiten Verhandlungsrunde im Dezember eine massive Beteiligung an den Warnstreiks gegeben hatte.
Die Einigung beinhaltet im Endeffekt eine Tariferhöhung von deutlich weniger als 3%, eine Verlängerung der Jahresarbeitszeit sowie eine 27-monatige Laufzeit.
Auf den ersten Blick ergeben alle Lohnerhöhungen zusammengenommen einen Anstieg der Löhne und Gehälter von mehr als 3%. Werden sie jedoch mit den Kompensationen verrechnet und berücksichtigt man die Laufzeit von 27 Monaten, liegt die Erhöhung auf ein Jahr bezogen bei nicht mehr als 1,55%.
Darüber hinaus bedeutet die Verzögerung bei dem Stufenaufstieg für einen großen Teil der Beschäftigten, die noch nicht die Endstufe erreicht haben, einen Verlust von mehreren hundert Euro in diesem oder im nächsten Jahr.
Die Preisgabe des Arbeitszeitverkürzungstags erhöht faktisch die Jahresarbeitszeit. Diese im Durchschnitt 7,7 Stunden mögen im Bewusstsein der Mehrheit der abhängig Beschäftigten keine so große Rolle spielen, setzen aber ein völlig falsches Signal. Zur Verringerung der Massenarbeitslosigkeit wäre es dringend nötig, eine drastische Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die Tagesordnung zu setzen, anstatt sie zu verlängern.
Der Abschluss einer Prozessvereinbarung zur Neugestaltung des Tarifrechts im öffentlichen Dienst wird mit Sicherheit zu einer Katastrophe für die Beschäftigten führen, wenn die Verantwortlichen im Bundesvorstand sich nicht schnellstens zu einer konsequenteren Interessenvertretung durchringen.
Der Grund dafür liegt darin, dass sich Ver.di darauf eingelassen hat, gemeinsam mit den Arbeitgebern einen Tarifvertrag anzustreben, der einen allgemeinen Teil und besondere Teile zum Inhalt haben soll. Das bedeutet nichts anderes als die grundsätzliche Zustimmung zu weiteren branchenspezifischen Spartentarifverträgen. In Bereichen wie dem öffentlichen Personennahverkehr, in denen bereits Spartentarifverträge abgeschlossen worden sind, werden diese Tarife auch Lohnabsenkungstarifverträge genannt.
Das Ziel der Arbeitgeber besteht darin, in weiteren Branchen des öffentlichen Dienstes geringere Lohnkosten durchzusetzen. Soweit zum wirklichen Ergebnis der diesjährigen Tarifrunde, die eigentlich die Macht und Stärke der neuen Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di auch im öffentlichen Dienst demonstrieren sollte.
Eine Lohn- und Gehaltserhöhung von deutlich mehr als 3% — so lautete ursprünglich der Beschluss der Bundestarifkommission vom 22.Oktober 2002 trotz aller Warnungen der Stimmen, die darauf hingewiesen hatten, dass die Mitglieder auf eine derartige Änderung der Strategie hin zu einer "realitätsnahen Forderung" längerfristig vorbereitet werden müssten.
Entgegen den Überlegungen der Ver.di-Führung fassten es sowohl die große Mehrheit der abhängig Beschäftigten als auch die Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden eben nicht so auf, dass das Ergebnis nahe an der Forderung zu liegen habe, sondern eher als Signal, dass das Ergebnis in dieser Tarifrunde wie in den vergangenen ungefähr in der Mitte zu liegen habe. Daran änderten auch die stetigen Beteuerungen des Vorsitzenden Frank Bsirske nichts, der immer wieder betonte, die 3 müsste in jedem Fall vor dem Komma stehen.
Und trotzdem: Die Warnstreikmobilisierungen in der ersten Dezemberhälfte konnten sich sehen lassen. Weit über 100000 Menschen verließen die Betriebe und machten deutlich, dass sie nicht bereit waren, sich noch weiter von der Einkommensentwicklung in der Privatwirtschaft abkoppeln zu lassen.
Als Fehler Nr.2 in dieser Tarifauseinandersetzung erwies sich dann die Annahme der von Koschnick und Lehmann-Grube vorgelegten Schlichtungsempfehlung sowohl durch die Ver.di-Verhandlungskommission als auch durch die Bundestarifkommission.
Nun wurde auch den gutgläubigsten Gewerkschaftsmitgliedern klar, dass eine 3%ige Lohn- und Gehaltserhöhung selbst von ihrer Führung als nicht mehr durchsetzbar betrachtet wurde und es nur noch um die Durchsetzung der Schlichtungsempfehlung ging.

Über die eigenen Argumente gestolpert

Was hat aber die Gewerkschaftsführung und die Bundestarifkommission dazu bewogen, dieses Tarifergebnis zu akzeptieren?
Sie hat vor allem damit argumentiert, die desaströse Haushaltslage des öffentlichen Dienstes, vor allem der Kommunen, sei zum Zeitpunkt der Forderungsaufstellung nicht vorauszusehen gewesen. Es wäre nicht erkennbar gewesen, dass die von den Gewerkschaften in den Sattel gehobene Koalitionsregierung nicht einmal die Wiedereinführung der Vermögensteuer in Angriff nehmen würde.
Diese Argumentation zeigt das ganze Desaster dieser mit SPD und Grünen verbundenen Gewerkschaftsführung. Wer hat denn alles Ernstes geglaubt, diese Regierung, die vier Jahre lang den Abbau der Sozialsysteme und die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben in der Kontinuität von 16 Jahren Kohl-Regierung betrieben hat, würde nach ihrer Wiederwahl plötzlich ein Herz für die abhängig Beschäftigten entdecken?
Gerade die Ver.di-Führung hat bis in die erste Phase der Verhandlungen hinein immer wieder richtig betont, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes keinerlei Verantwortung für die katastrophale Haushaltslage tragen und die Politik gefälligst eine Gemeindefinanzreform und eine angemessene Besteuerung der Unternehmen anzugehen hätte.
Dann musste noch der kommende Krieg gegen den Irak als Argument herhalten, weil er angeblich einen harten Arbeitskampf behindern würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Massendemonstrationen gegen den Krieg hätten mit Sicherheit zur Stimulierung beitragen und konkret aufzeigen können, dass offensichtlich für den Krieg genügend Geld da ist, für Krankenhäuser, Kindergärten und eine vernünftige Bezahlung der Beschäftigten aber nicht.
Eine große Chance wurde vertan. Diese Regierung steht immens unter Druck. Hinzu kommen die im Februar anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. Ein konsequenter Streik, unter Einbeziehung wichtiger Bereiche wie der Flughäfen, hätte die öffentlichen Arbeitgeber in die Knie gezwungen. Doch wenn nur eines im Mittelpunkt steht, nämlich der Erhalt der vermeintlich mit der Arbeiterbewegung verbundenen SPD-Grünen-Regierung, verbietet sich natürlich eine konsequente Mobilisierung.

Wolfgang Zimmermann

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