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In einem Buch über Antiziganismus in Deutschland seit 1989 beschäftigt sich die junge Kölner
Politikwissenschaftlerin Änneke Winckel* mit der auch nach 1989 fortdauernden Diskriminierung von Sinti und Roma. Ihre Arbeit stützt sich auf
die Auswertung wichtiger überregionaler Zeitungen wie Spiegel, Zeit, FAZ, Frankfurter Rundschau, Taz etc. Es ist also eine quellenkundliche und keine
empirische Arbeit über die Verbreitung antiziganistischer Vorurteile in der BRD.
Eine Einführung über die Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland vom
15.Jahrhundert bis heute und eine Erläuterung des Begriffs Antiziganismus ermöglicht auch Leserinnen und Lesern ohne Vorkenntnisse die
Lektüre des Buches. Durchaus überzeugend arbeitet die Autorin die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Antiziganismus und Antisemitismus
heraus. So wurden Sinti und Roma ebenso wie Jüdinnen und Juden Opfer einer eliminatorischen Vernichtung in der Zeit des NS-
Faschismus. Diese Tatsache ist bisher aber nur bedingt in das Bewusstsein der deutschen Mehrheitsbevölkerung eingedrungen.
Noch bis weit in die 70er Jahre war es offizielle Politik in der alten BRD zu behaupten, die
Sinti und Roma seien wegen ihres "asozialen" und "kriminellen" Verhaltens und nicht wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit von
den Nazis verfolgt worden. Es wurde nicht anerkannt, dass Sinti und Roma Opfer eines Genozids geworden waren. So folgte auf die Vernichtung die
fortdauernde Diskriminierung, die teilweise durch die gleichen Beamten exekutiert wurde, die auch zwischen 1933 und 1945 die Vernichtung organisierten. Der
offizielle Antifaschismus der DDR trug ebenfalls nicht zur Aufklärung über das Schicksal der Sinti und Roma bei.
Seit den 80er Jahren sickert das Wissen über den Holocaust an den Sinti und Roma zwar
langsam in das Bewusstsein größerer Kreise der Bevölkerung, was sich auch in der offiziellen Politik niederschlägt. Aber auch in den
90er Jahren blieben Sinti und Roma Objekte massiver Vorurteile. Vor allem nach dem Zusammenbruch des "Realsozialismus" aus den
Balkanländern eingewanderte Roma gelten als "kriminell und asozial". Winckel weist überzeugend nach, wie sich dies im Verhalten der
Behörden, der Presse und der Mehrheitsbevölkerung auswirkt. So weigern sich Ausländer- und Asylbehörden hartnäckig
anzuerkennen, dass Roma bspw. in Ex-Jugoslawien und Rumänien als Gruppe verfolgt werden und verweigern ihnen das Bleiberecht.
Auch der "Volkszorn" richtet sich immer wieder gegen Sinti und Roma, am
schlimmsten 1992 beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. In der Presse gibt es neben wenigen positiven Berichten viele Beiträge, die entweder das
"freie Zigeunerleben" romantisieren oder die bekannten Vorurteile über bei Sinti und Roma angeblich besonders verbreitete
Kriminalität, Arbeitsscheu etc. kolportieren. Auch der von den meisten Sinti und Roma als diskriminierend empfundene Begriff "Zigeuner"
findet sich immer noch in der Berichterstattung. Alles in allem ein lesenswertes Buch, das eine Lücke in der Geschichtsschreibung über
Antiziganismus in Deutschland schließt.
Andreas Bodden