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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 10

Ohne Demokratie keine Lösung

Interview zur Lage im Irak

Die Irakische Kommunistische Partei, lange Zeit stärkste KP im arabischen Raum, ist unter dem Baath-Regime scharfer Repression und Verfolgung ausgesetzt. Sie führt einen doppelten Kampf gegen den militärischen und politischen Druck des Westens und gegen Saddam Hussein. Mit Rashid Ghewielib, Vertreter der irakischen KP in Deutschland, sprach Henning Böke über die Lage im Irak und die Perspektiven der irakischen Opposition.

Rashid, könntest du uns zunächst deutlich machen, womit wir es beim Regime der Baath-Partei zu tun haben? Was sind seine sozialen und ideologischen Grundlagen?
Die Baath-Partei entstand als Partei der kleinbürgerlichen Kräfte in den Städten. Ideologisch gesehen ist sie eine nationalistisch- arabische laizistische Partei, stark beeinflusst von der Naziideologie, aber in den 40er Jahren haben ihre Gründer auch versucht, Elemente des marxistischen Sozialismus einzuarbeiten. Man muss betonen, dass die Baath-Partei im Irak immer stark antikommunistisch orientiert war. Der Putsch von 1963, dessen politischer Arm die Baath-Partei war, hat ein Blutbad angerichtet, wo Tausende von Linken, Demokraten und Kommunisten umgebracht wurden. Danach hat die Baath-Partei viel von ihrem Ruf und ihrer Basis verloren.
1968, als die Baathisten wieder an die Macht kamen, haben sie versucht, eine neue gesellschaftliche Basis zu gewinnen. Sie wollten auch die Interessen der Bauern und der Mittelschichten vertreten und haben deshalb eine Landreform durchgeführt und ein Arbeitsgesetz mit fortschrittlichen Elementen verabschiedet. Natürlich ist nach der Nationalisierung des Erdöls 1972 viel Geld in die Staatskasse geflossen. Davon hat eine breite Masse von Menschen profitiert, das Lebensniveau Mitte der 70er Jahre war gut. Durch diese wirtschaftliche Entwicklung ist in der Baath-Partei eine neue Schicht entstanden, nämlich die bürokratische Bourgeoisie.
1979, als Saddam Hussein nach der blutigen Beseitigung innerparteilicher Rivalen die alleinige Macht an sich gerissen und unsere Partei verfolgt hat, kam der Krieg mit Iran. Dadurch hat der Staat die Möglichkeit, an Geld zu kommen, verloren. Die Baath-Partei hat sich von einer Partei der Mittelschicht zu einer Familien- und Clan-Partei gewandelt.

Aus welchen Kräften besteht heute die irakische Opposition, welche Ziele verfolgt sie?
Bis 1991 kann man vier Hauptströmungen in der irakischen Opposition feststellen, nämlich die kurdische Befreiungsbewegung, dann die arabischen Nationalisten — zu dieser Strömung gehört auch ein Flügel der Baath-Partei, der sich von der Gruppe, die die Macht hat, abgespalten hat. Dazu gehören weiter die demokratischen Strömungen und die Linken, die Hauptkraft ist hier unsere Irakische Kommunistische Partei, und schließlich die islamische Strömung mit verschiedenen Parteien und Gruppierungen.
Nach 1991 sind viele Iraker ins Ausland gegangen und haben neue Organisationen gegründet. Hier gibt es drei Richtungen. Ein Teil, vor allem der Irakische Nationalkongress, will direkt und offiziell mit den USA zusammenarbeiten und vertritt die amerikanische Irak-Politik. Ein zweiter Teil will mit Hilfe der USA Saddam Hussein entmachten, übernimmt aber nicht die gesamte US-Vision. Man kann die kurdischen Parteien dazu zählen und den Islamischen Revolutionsrat.
Eine dritte Kraft ist die Opposition, die den Krieg ablehnt und die Aufhebung des Embargos fordert. Diese dritte Kraft besteht aus der KP und arabisch-nationalistischen und islamischen Kräften. Sie wollen eine von der irakischen Bevölkerung ausgehende Alternative zu Saddam Hussein.

Welchen sozialen Hintergrund haben diese Kräfte?
Die prowestlichen Kräfte vertreten die alte politische Schicht, die in der Zeit des Königreichs von 1921 bis 1958 die Macht hatte. Das sind Kinder der Großgrundbesitzer und der reichen Schichten der damaligen irakischen Gesellschaft. Die Linken und Kommunisten vertreten die Interessen der arbeitenden Menschen im Irak. Von einer klassischen gesellschaftlichen Klassenteilung kann man heute nicht sprechen, denn die Clique, die seit zwanzig Jahren die Macht hat, aber auch das Embargo, haben bewirkt, dass die Mittelschicht verschwunden ist.
Von einer "Arbeiterklasse" kann man nur eingeschränkt reden, denn im Irak gibt es keine Produktion, es ist alles lahmgelegt. Was die islamischen und die nationalistischen arabischen und kurdischen Kräfte betrifft, glaube ich, dass sie sozial und klassenmäßig ähnlich sind, sie vertreten nur andere politische Programme.

Ist der Konsens unter den unabhängigen Oppositionskräften nur ein "negativer" oder kann man sagen, dass zumindest eine demokratische Perspektive geteilt wird?
Fast alle oppositionellen Kräfte reden von Demokratie. Es gibt aber islamische Strömungen, die die Demokratie nur als Mittel verstehen, um an die Macht zu kommen, nicht als Zweck. Andererseits gibt es Kräfte, die die Gesellschaft so weit verändern wollen, dass ein wirklich demokratischer Staat und eine demokratische Zukunft zustande kommen könnte. Diese Kräfte leiden schwer unter der Unterdrückung und den wirtschaftlichen Problemen durch den Krieg und das Embargo. Aber sie bewahren trotzdem eine Energie, die man nach dem Sturz Saddam Husseins wieder aktivieren könnte. Ich glaube, nach Saddam Hussein werden auch neue politische Kräfte in der irakischen Gesellschaft aufkommen. Für uns als KP gibt es natürlich keine Alternative zu einem demokratischen System.

Besteht denn die Chance, dass eine neue demokratische Regierung in der Lage ist, die nationale Souveränität des Irak in Bezug auf die Kontrolle über die Ressourcen des Landes, sprich: die Ölvorkommen, zu verteidigen?
Natürlich beruht unser politisches Programm auf dieser Basis. Wir versuchen, einen souveränen Irak aufzubauen, und die Ressourcen, das Öl vor allem, zugunsten des Volkes einzusetzen. Aber die politische Lage im Irak und weltweit ist nicht im Sinne der Linken oder der fortschrittlichen Kräfte. Es wird einen harten Kampf in dieser gesellschaftlichen Frage geben. Ich glaube, wenn sich die Hardliner der USA politisch durchsetzen, wird es eine Antwort geben. Es wird eine Aktivierung aller fortschrittlichen, linken und patriotischen Kräfte in der irakischen Gesellschaft geben — nicht jetzt, aber kurz nach der Veränderung.

Ihr würdet also der Demokratiefrage auf jeden Fall den Vorrang einräumen?
Klar. Der Irak ist ein Land, wo viele Nationalitäten leben, viele religiöse Gruppen. Außerdem besitzt der Irak die zweitgrößten Ölreserven. Ohne Demokratie, ohne Meinungsfreiheit, ohne Freiheit der Organisation wird es keine Lösung für die Fragen des Landes geben, und was die USA versuchen, nämlich eine andere Diktatur im Irak einzusetzen, wird alles nur noch schlimmer machen.

Gelegentlich wird behauptet, Saddam Hussein genieße die Unterstützung breiter Bevölkerungskreise im Irak. Stimmt das?
Der Terror, den Saddam Hussein von 1968 bis jetzt eingesetzt hat, ist ein Beweis dafür, dass alle politischen Kräfte durch dieses Regime unterdrückt sind. Sie sind Teil der irakischen Bevölkerung. Die Kurden, gegen die Saddam Hussein in den 80er Jahren einen Krieg geführt hat, sind ein Drittel der irakischen Bevölkerung. Sie haben keine Sympathie für Saddam Hussein.
Es gibt heute im Ausland ungefähr vier Millionen Iraker, die ohne den Terror von Saddam Hussein und den Krieg und das Embargo nicht ihre Heimat verlassen hätten — die Mehrheit dieser vier Millionen ist bestimmt nicht für Saddam Hussein. Der Aufstand vom März 1991, wo die gesamte Bevölkerung sich spontan gegen Saddam Hussein erhoben hat, ist für mich der praktische Beweis, dass das irakische Volk nicht hinter dieser Diktatur steht.

Und in anderen arabischen Ländern?
Saddam Hussein versucht, sich durch seine demagogische Medienarbeit in drei Richtungen zu profilieren: Gegenüber der arabischen Bevölkerung stellt er sich als Nationalist dar, der Israel liqudieren will; gegenüber den Islamisten ist er der "Gläubige", obwohl er und seine Partei historisch mit Religion überhaupt nichts zu tun haben; und für manche Linke weltweit ist er der "Antiimperialist".
Leider muss man auch sagen: Je stärker die USA Israel unterstützen, desto mehr profitiert Saddam Hussein von dieser Politik. Der Terror von Sharon gegen die palästinensische Bevölkerung ist auch ein Faktor, worauf Saddam Hussein seine Demagogie bezieht. Er versucht, die Verzweiflung der Araber zu nutzen. Alle Machthaber im arabischen Raum, die meisten von ihnen sind keine Demokraten, haben die palästinensische Frage nur im Sinne ihres Machterhalts benutzt.

Die scharf antijüdischen Tendenzen in der Baath-Partei haben eine lange Geschichte. Umgekehrt weisen israelische Friedensaktivsten darauf hin, dass Israels Regierung die Kriegsvorbereitungen der USA entschieden unterstützt. Wie sind die wechselseitigen Bedrohungspotenziale zwischen dem Irak und Israel zu gewichten, und welche Position nimmt die linke Opposition im Irak in Richtung auf eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ein?
Wir als Kommunisten und Linke im Irak waren immer, von 1947 an, dafür, dass es eine demokratische Lösung mit zwei Staaten auf der Grundlage der Selbstbestimmung gibt, also neben Israel einen palästinensischen Staat. Wir sind nicht für die radikale nationalistische Forderung, Israel abzuschaffen oder "die Juden ins Meer zu treiben", wie es in den 60er Jahren hieß. Natürlich versucht Israel, im künftigen Krieg gegen den Irak eine wesentliche Rolle zu spielen. Aber taktisch gesehen wollen die USA das nicht, denn wenn Israel direkt an diesem Krieg teilnimmt, wird die Sache sehr kompliziert. Saddam Hussein hat niemals ernsthaft gegen Israel gekämpft, und er will das auch.

Gibt es in der Opposition Absprachen über das Verhalten, wenn die USA und ihre Verbündeten angreifen? Was werden die Kommunisten tun??
Trotz der verschiedenen Meinungen, was die amerikanische Politik und den Krieg betrifft, haben wir immer gute Beziehungen zu allen Hauptkräften der irakischen Opposition gehabt, besonders zu den kurdischen und islamischen Parteien. Wir haben deutlich gemacht: Wir werden im Falle, dass die USA Krieg gegen den Irak führen, Saddam Hussein nicht verteidigen, aber wir werden auch nicht ein Teil des USA-Projekts und des Krieges sein, wir werden keine "Nordallianz" für die USA spielen.
Politisch und militärisch können wir den Krieg nicht direkt verhindern, aber wir werden versuchen, mit unserem Volk vor Ort zu sein, wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um die linken Positionen in der Gesellschaft zu stärken. Wir wollen versuchen, in allen irakischen Städten und Dörfern aktiv zu werden.

Der Irak ist seines Öls wegen in die Schusslinie des Imperialismus geraten. Das Saddam-Regime verteidigt die eigene Kontrolle über die Ressourcen des Landes nicht im Sinne progressiver Interessen. In der antikapitalistischen Linken wird weltweit über die Notwendigkeit eines "neuen Internationalismus" diskutiert, nämlich einer neuen globalen Vernetzung des Widerstands von Bewegungen für die Entwicklung emanzipativer Gesellschaftsalternativen. Wie steht eure Partei zu dieser strategischen Diskussion?
Eigentlich ist Saddam Hussein nicht gegen die westlichen Konzerne, er ist bereit, alles zu geben, um seine Macht zu erhalten. Aber mit dem Einmarsch in Kuwait hat Saddam Hussein die Grenzen, die die USA ihm gesetzt haben, überschritten. Nach dem 11.September zielt die neue amerikanische Strategie darauf, direkt die Ölquellen im Golf zu beherrschen, und da ist Saddam Hussein durch seine Geschichte und seine Verbrechen zum Hindernis geworden. Deshalb wollen die USA Saddam Hussein entmachten, und nicht, weil er das irakische Öl oder das Interesse des irakischen Volkes verteidigt.
Was die Diskussion in der Linken und der internationalen Bewegung angeht, waren wir immer der Meinung, dass der Sozialismus die zukünftige Perspektive einer Alternative zum Kapitalismus ist. Auf dieser Grundlage betrachten wir die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung positiv und sind zufrieden, dass sie in kurzer Zeit zu einer starken Bewegung geworden ist. Unsere Genossen in Italien haben sich an den Aktionen in Florenz beteiligt.
Natürlich muss man klarmachen, dass wir an dieser Diskussion unter schweren Bedingungen teilnehmen: Wir haben es seit 34 Jahren mit einem furchtbaren diktatorischen Regime zu tun, wir haben es seit zwanzig Jahren mit Krieg und seit zwölf Jahren mit einem Embargo zu tun. Wir sind dafür, dass die kommunistischen und linken Parteien sich zu einer breiten Kooperation mit anderen Kräften, die gegen Globalisierung und Kapitalismus sind, öffnen.

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