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Die Ölindustrie liefert 50% der Einnahmen der Regierung und macht ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts aus. Venezuela
ist der fünftgrößte Ölproduzent der Welt und der drittgrößte Mineralöllieferant der USA.
Die Ölproduktion wurde 1974 verstaatlicht, aber die neue staatliche Ölgesellschaft
Petroleos de Venezuela (PDVSA) wurde von denselben Managern geführt, die sie schon an der Spitze standen, als sie noch in privater Hand war.
Wenngleich nominell verstaatlicht wird PDVSA wie eine private Gesellschaft außerhalb der Kontrolle der Regierung verwaltet und belässt die
Ölprofite in den Händen nicht rechenschaftspflichtiger Vorstandsmitglieder.
Der Diebstahl von Öleinnahmen durch diese Clique hat in den vergangenen 30 Jahren
drastisch zugenommen. 1974 gingen 80% der PDVSA-Einnahmen an die Regierung, während das Unternehmen 20% für die Betriebskosten
einbehielt. Zur Zeit der Wahl Chávez zum Präsidenten Venezuelas 1998 wurden nur 20% der PDVSA-Einnahmen an die Regierung
abgeführt, der Rest angeblich für "Betriebskosten" verwandt, in Wirklichkeit jedoch auf die geheimen Bankkonten und in private
Investitionen der Familien der Spitzenmanager der Gesellschaft geleitet.
Die Chávez-Regierung machte den Plänen des PDVSA-Managements für
eine vollständige Privatisierung der Gesellschaft ein Ende und führte ein Gesetz ein, das verlangt, dass alle PDVSA-Einnahmen unter die Kontrolle
der Regierung gestellt werden.
Dies hilft zu erklären, warum Venezuelas großkapitalistische Familien so
verzweifelt versuchen, Chávez los zu werden. Diese Familien werden auch von der US-Regierung unterstützt, die die Profite der US-
Ölgesellschaften schützen will.
Was jedoch in vieler Hinsicht die venezuelanischen Kapitalisten und ihre US-
Hintermänner am meisten erschreckt, ist die massive Radikalisierung der Lohnabhängigen und der Bauern, die von der Chávez-Regierung
ermutigt wurde. Die proletarische Mehrheit, überwiegend schwarzer oder indigener Abkunft, will nicht länger von einer wohlhabenden Elite regiert
werden, die in unterschiedlicher Weise das politische Leben des Landes seit der spanischen Eroberung beherrscht hat.
Trotz der Kontrolle über die privaten Medien hat die Unterstützung für die
Elite unter der Bevölkerung seit dem gescheiterten Militärputsch im April nachgelassen, während die werktätige Bevölkerung
sich weiter radikalisiert und organisiert.
Ein Problem für die Elite besteht darin, dass sie ihre antidemokratische politische
Tagesordnung während des Putschversuchs enthüllte, als sie die Verfassung, den Obersten Gerichtshof und den Kongress abschaffte. Hat ein Wolf
erst einmal seinen Schafspelz abgelegt und seine Klauen entblößt, wird es für ihn schwierig, wieder die Illusion zu erzeugen, er sei ein Schaf.
Am 2.Dezember versuchte die reiche Elite ihren vierten "Generalstreik" in weniger als zwölf Monaten zu organisieren faktisch
eine Aussperrung durch die Bosse. Doch die meisten Arbeiterorganisationen verkündeten im Voraus, dass sie sich daran nicht beteiligen würden.
Sogar die Kapitalistenklasse war sich nicht einig: zwei regionale Verbände der größten Unternehmervereinigung, Fedecamaras, wandten sich
öffentlich gegen den "Streik".
Zu den an diesem Versuch, Venezuelas Ökonomie zu sabotieren, beteiligten
Unternehmen gehören McDonalds, Wendys, Pepsi-Cola und British Petroleum. Die Arbeiter in einer Pepsi-Fabrik antworteten auf den
Versuch des Managements, sie auszusperren, mit einer Betriebsbesetzung.
Mit ihrem "Streik" forderten die Bosse Chávez sofortigen
Rücktritt und vorgezogene Wahlen. Regierungsanhänger sehen das wirkliche Ziel in der Schaffung einer Krise, die die Grundlage für einen
neuen Putschversuch legen soll.
Bei einer gewaltsamen Neuauflage der Ereignisse vom April eröffnete am 6.Dezember
ein Heckenschütze das Feuer auf Anhänger der Opposition und tötete 3 und verwundete 20 Personen. Die Führer der Opposition
machten prompt die Regierung dafür verantwortlich. Als Schütze wurde ein Portugiese verhaftet, der zugab, dass ihm über 30000 US-Dollar
von einer zentralen Figur der Opposition gezahlt worden seien.
Angesichts des Scheiterns ihres "Streiks" und der bislang fehlenden offenen
Unterstützung von Teilen der Armee gingen die großen Kapitalisten dazu über, ihren größten Trumpf auszuspielen. Etwa 10000
Manager, Verwaltungsfachleute und privilegierte Techniker von PDVSA traten in den Streik und machten die Ölindustrie dicht.
Die Revolte der PDVSA-Techniker und -manager wurde von einer Reihe von
Öltankerkapitänen unterstützt, die sich weigerten ihre Schiffe zu bewegen. Die meisten der 30000 Ölarbeiter wandten sich gegen den
Ausstand, doch ist die Ölindustrie in hohem Maße computerisiert.
Die drastische Entscheidung, die Sabotage auf die Ölindustrie auszuweiten,
enthüllt die Schwäche der Opposition. Aber die Auswirkungen sind drastisch und bedrohen die Regierung mit dem Bankrott. Die Regierung hat
davor gewarnt, dass sie sich möglicherweise verschuldet, und hat Haushaltskürzungen in Aussicht gestellt. Unfähig, die Schlacht um die
öffentliche Meinung zu gewinnen, geht die Elite zu wirtschaftlicher Erpressung über.
Wenn die Eliten diese Schlacht verlieren und die Regierung die Kontrolle über die
Industrie wiedererlangt, was jedoch wahrscheinlich nicht so schnell und so leicht geschehen wird, wird die Regierung eine Rechtfertigung dafür haben, die
Ölindustrie zu säubern und ein für allemal unter staatliche Kontrolle zu bringen. Chávez hat erklärt, dass jeder, der sich zu
arbeiten weigert, entlassen wird, und bereits den Rausschmiss einiger Topmanager öffentlich angekündigt.
Brasilien hat der Regierung im Austausch gegen künftige Lieferungen von Rohöl mit 520000 Barrel Benzin ausgeholfen, um Engpässe zu
überwinden. Venezuela hat mit anderen Ländern ähnliche Vereinbarungen abgeschlossen. Brasilien wird auch eine Anzahl von Spezialisten
als Ersatz für die Streikenden schicken.
Als Akt der Solidarität haben Gewerkschaften der Ölarbeiter Kolumbiens und
Ecuadors der venezolanischen Regierung ihre Hilfe angeboten, die Aussperrungen zu durchbrechen. Der kolumbianische Verband USO (15000 Mitglieder)
erklärte: "In Kolumbien gibt es eine Menge Sympathie für die Bolivarische Revolution."
Das ermutigendste Resultat der Generalaussperrung war der Anblick von Millionen
venezolanischer Lohnabhängiger und Bauern, die auf die Straße gegangen sind, um Chávez zu unterstützen. Am 7.Dezember kamen in
Caracas 2 Millionen Anhänger zu einer Demonstration der Stärke zusammen. Als Antwort auf die ständigen Lügen der privaten
Medien mobilisierten die Armen am 10.Dezember zu einer Belagerung der Fernsehstationen. Die Armen umzingelten auch den Flughafen, um
Oppositionsführer an der Flucht zu hindern.
Als klar wurde, dass die Werktätigen die Schlacht auf den Straßen gewonnen
hatten, traten die Mittel- und Oberschichtanhänger der Opposition den Rückzug an.
Berichte von Augenzeugen deuten an, dass die Stimmung der Massen zutiefst
revolutionär ist. Sie sind nicht mehr bereit, die alten Gleise zu akzeptieren und richten zunehmend radikalere Forderungen an eine Regierung, die sie als
die ihre betrachten. Al Giordano vom Narco News Bulletin berichtete, dass die Volksorganisationen Briefe an die Regierung sandten, worin sie forderten, die
privaten Medien dicht zu machen. Als die Regierung nicht handelte, strömten sie auf die Straße.
Während Chávez die Organisierung ermutigte und vielfach dabei half, seine
Anhänger zu mobilisieren, hält er jedoch dem Druck, solche Maßnahmen zu ergreifen, stand. Marta Harnecker, eine linke chilenische
Autorin, die vor kurzem Chávez interviewt hat, erklärte, dass Chávez "einen Aufstand führen" könnte, wenn er dies
wollte. Sie äußerte jedoch, dass er sich bewusst dafür entschieden hätte, bislang nicht gegen die Verfassung zu verstoßen. Auf
diese Weise zwänge er seine Opponenten, die Regeln der Verfassung zu brechen, und erschwert es der US-Regierung, offen zu intervenieren.
Doch der Zeitpunkt für entscheidende Schläge gegen die Opposition kann nicht
unbegrenzt hinausgezögert werden. An jedem neuen Tag stellt sich die Frage, wer die politische Macht erringen wird die Armen oder die Reichen
, in verschärfter Weise.
Stuart Munckton
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