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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 15

Ein anderes Asien unterm Regenbogen

Bericht über das 1.Asiatische Sozialforum

Das Asiatische Sozialforum fand erstmals vom 2. bis 7. Januar in Hyderabad (Indien) statt.
Am einen Ende der 6-Millionen-Metropole Hyderabad tagte der Global Partnership Summit, zu dem der indische Industrieverband Minister, globale Konzernvertreter und den WTO-Chef geladen hatte. Am anderen Ende tobte das erste Asiatische Sozialforum auf dem Gelände des Nizam College mit 15000 Teilnehmenden. Als sich 450 Demonstrierende dem Fünf-Sterne-Hotel mit dem Exklusivgipfel näherten, ließ Ministerpräsident Naidu, seines Zeichens Matador des Neoliberalismus in Indien, sie kurzerhand verhaften.
Ganz im Gegensatz zum klimatisierten Investitionsbalzen der Herren in dunklen Anzügen ging es auf dem Collegegelände und in einer Menge Schulen und öffentlicher Gebäude fünf Tage lang bunt, aber inklusiv zu. Das Forum ist in erster Linie eine indische Veranstaltung und dabei ein wichtiges Sammelbecken für Friedensaktivisten und Feministinnen, Basisbewegungen von Dalits (Niedrigkastigen) und Indigenen, für Menschenrechtsorganisationen und neue soziale Bewegungen wie die Volkswissenschaftsbewegung, für Gewerkschaften, linke Intellektuelle und stramme "Marxisten-Leninisten".
Erstmalig kamen drei Kräfteformationen der Zivilgesellschaft, die jahrzehntelang wenig kooperiert hatten oder sich sogar spinnefeind waren, unter dem Banner "Ein anderes Asien ist möglich" zusammen: soziale Bewegungen, NGOs und linke Parteien.
Sie alle wussten, dass eine zivilgesellschaftliche Strömung allein den Kampf gegen das neoliberale Regime und das "US-Imperium", gegen Militarisierung und gegen die diversen Fundamentalismen, die die asiatischen Gesellschaften geißeln, nicht aufnehmen kann. Dazu ist eine "Regenbogenkoalition" notwendig, jenseits der alten politischen Differenzen. Doch die will gelernt sein. Die gemeinsamen Bezugspunkte und komplementären Strategien müssen identifiziert werden. Auch wenn viel frontal erklärt, analysiert und agitiert, aber wenig diskutiert wurde, so war doch jeder der 180 Workshops und acht Großveranstaltungen Ausdruck einer lernenden und suchenden Bewegung. Während übergreifende Analysen nicht selten plakativ gerieten, sprachen die Fallbeispiele überzeugend für sich.
Da drückten 150 Frauen die Schulbänke in einer kleinen Klasse und versuchten zu begreifen, wie durch Importliberalisierung und Exportorientierung die Konkurrenz im informellen Sektor und die Verelendungsgefahr so wachsen, dass dies schließlich Rassismus und fundamentalistische Strömungen verstärkt und in Gewalt gegen die "anderen" umschlägt. Da saßen viele auf den Flurböden vor den Klassen, um zu hören, wie Saatgutbanken von einheimischen Getreidesorten aufgebaut werden und dadurch regionale Ernährungssouveränität wiederhergestellt wird.
Da informierte die "Stoppt Gats"-Kampagne über die Profitgier von Dienstleistungskonzernen. Und die Bewegung für ein "Recht auf Information" berichtete, wie sie der Regierung Informationen über Entwicklungsbudgets abgetrotzt und sie in öffentlichen Anhörungen in Kommunen zur Umwidmung von Geldern gezwungen hatte.
Auf mehreren Bühnen wurde Straßentheater gespielt, um Trommel- und Tanzgruppen bildeten sich ständig neue Kreise, Frauen in Schwarz (und einige Männer) bildeten einen großen Zirkel des Schweigens als Protest gegen alle Formen von Krieg und Gewalt, und ein Filmfestival zeugte von einer wachsenden filmischen Auseinandersetzung mit der Globalisierung.
Die Vielfalt der Kommunikations- und Interaktionsformen zeigte eindrücklich die Bedeutung eigenständiger Kulturen und Identitäten in Asien. So beschwor denn auch Medha Patkar, die Führerin der Antistaudammbewegung, nicht nur die Ressourcen lokaler Gemeinschaften würden durch den Staat und durch die Konzerne enteignet, nicht nur lokale und nationale Ökonomien würden strukturangepasst. "Jetzt werden auch unsere Kulturen strukturangepasst, unsere Werte und unsere Lebensziele." Die neoliberale Globalisierung vergesellschaftet Menschen vor allem durch den Konsum und entmachtet sie als politische Subjekte. Medha Patkar wurde wie eine Volkstribunin umjubelt, als sie eine Rückkehr zu den Werten Gleichheit, Einfachheit und "Selfreliance" und die Erfindung eines eigenen Entwicklungsmodells anstelle des neoliberalen Regimes forderte.
Dabei wurde in Hyderabad deutlich, dass in Asien genug Raum ist für verschiedene alternative Modelle. Gemeinsam muss ihnen sein, dass Menschen an der Basis die Kontrolle zurückgewinnen können über ihre Ressourcen, ihre Ökonomie, ihr Leben, ihre Demokratie. Ohne radikale Demokratisierung von unten ist der Aufbau alternativer Strukturen, die auf ökonomischer Verteilungsgerechtigkeit beruhen, nicht denkbar. Mit Ausnahme der linken Parteien hagelte es auch Kritik an der Institution des Nationalstaats, der derzeit in Asien nach innen und außen aufrüstet und unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung bürgerliche Rechte einschnürt.
Doch nicht nur von unten müssen Politik und Ökonomie demokratisiert werden — auch von oben. Heftig wurde das Regime der Global Governance durch die internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen kritisiert. Um die neoliberale Hegemonie zu demontieren, muss die zentralistische Macht dieser Institutionen gekappt, dezentralisiert und demokratisiert werden, schlug Walden Bello vom in Bangkok ansässigen Institut Focus on the Global South vor. Er setzt nicht auf eine Reform der Institutionen, sondern plädiert für einen kompletten Umbau der Steuerungs- und Regulierungsstrukturen. Nächster Schritt dazu: Ein Konsens über eine neue Liberalisierungsrunde muss bei der nächsten WTO-Ministerratssitzung in Cancun verhindert werden.
"Ein anderes Asien ist nicht nur möglich, sondern notwendig" — so lautete das Fazit des Sozialforums. Drei strategische Ansätze wurden dazu benannt: Resist, reverse, replace — immer unter der Voraussetzung, dass sich der Regenbogen konsolidiert.

Christa Wichterich

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