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Michael Hardts und Antonio Negris Empire war im letzten Jahr zweifellos auch bei uns in Deutschland ein bemerkenswerter
Verkaufsschlager, der für zahllose Reaktionen sorgte. Ein neues kommunistisches Manifest nannte es durchaus wohlwollend das
bürgerliche Feuilleton. Doch was ist dran an den vielfältigen Thesen der beiden neuen Starautoren? Daran scheiden sich die Geister.
Betrachtet man die ausgewiesenen Linken, die das Buch unter die Lupe nahmen, so fällt
ein interessantes Muster auf. Die überwiegende Mehrheit hat wesentliche Aussagen des Buches negativ kritisiert, oftmals gar zerrissen. Und doch haben
sich dieselben Kritiker vor Hardt und Negri positiv verneigt.
Ein schönes Beispiel bilden dafür die kanadischen Marxisten Sam Gindin und Leo Panitch, deren umfangreiche Rezension nun auch auf
deutsch, als dünne Broschüre, vorliegt.* Sie sprechen gleich zu Beginn von ihrer Bewunderung für das Buch, davon, dass es ein
"inspirierendes Gegengift gegen die Resignation, die so weite Teile der Linken erfasst hat", sei, dass es zu hebende "Schätze"
beinhalte und einer ernsthaften Untersuchung zu unterziehen sei. Doch im selben Atemzug reden sie von "Schund" und sehen in dem Buch eine
"obskurantistische Dichtung" mit allzu viel "eitlem Tand, den man nicht einfach herauspicken und verwerfen kann, da er für die
Argumentation von Hardt & Negri die Basis bildet". "Voller Versprechen" sei es, "aber auch voller Inkonsistenzen,
Selbstwidersprüche, Übertreibungen und logischer Lücken", geradezu empörend, wenn man den "frappierenden Mangel an
empirischen Grundlagen", "die theoretischen Lücken und das konzeptionelle Durcheinander" beachte.
Dass diese Urteile nicht überzogen sind, das machen Gindin und Panitch auf den dann
folgenden 26 Seiten allzu deutlich. Sie zeigen, dass die Krisentheorie von Hardt/Negri empirisch falsch und theoretisch hohl ist, dass ihr Begriff des Empire als
einer grundlegend neuen Herrschaftsform ebenso wenig überzeugend ist.
Sie zeigen, dass ihre Analyse der Umbrüche in der Arbeitswelt oberflächlich und
apologetisch und ihr Gerede von der Zusammenbruchskrise des privatkapitalistischen Systems haltlos sind, dass ihr Bild von der modernen Lohnarbeiterklasse
keiner ernsthaften Analyse stand hält und ihre Sicht auf die vermeintlich revolutionäre Menge/Multitude autonomistisch verklärend und
fahrlässig ist.
Zum Schluss zeigen sie schließlich überzeugend auf, dass sich Hardt/Negris
politische Visionen auf ein bloßes Dagegensein beschränken und in ihrem solcherart hilflosen und unbestimmten Widerstandsgeist zum behaglichen
Einrichten im herrschenden Status quo tendieren. "Dem Mainstream bietet Empire ein aufregendes, aber eben letzten Endes dennoch sicheres Abenteuer:
Die Globalisierung wird uns erhalten bleiben; der US-Imperialismus ist passé; das Empire ist zu vergänglich, um zu viele Gedanken daran zu
verschwenden; und die Aussicht, dass entweder die ArbeiterInnen im Informationssektor oder eine vage ‚Menge für einen spontanen Ausbruch
sorgen könnten, wird kaum jemandem schlaflose Nächte bereiten."
Am selben Befund setzt auch der zum umfangreichen Buch ausgewachsene Essay von Detlef Hartmann an.** Sich auf die politische Philosophie von Hardt/
Negri beschränkend, überrascht der deutsche Autonome dabei durch seine Aufkündigung jeder linken Solidarität mit den beiden
ebenfalls als Autonomen gehandelten ("Als Linke werden wir wenig von ihnen lernen können, an ihnen um so mehr"). Von einer Verneigung
ist bei Hartmann nicht nur nichts zu spüren, im Gegenteil, in seiner Wut geht er sogar so weit, Hardt/Negri ihr Linkssein glattweg abzusprechen
mit durchaus guten Gründen.
Hartmanns Argumentation ist einfach und in der Sache weitgehend überzeugend. Die
unter dem Signum der biopolitischen Technologien vor sich gehende Transformation des zeitgenössischen postmodernen Kapitalismus ist für ihn
vor allem anderen eine neue Stufe der herrschaftsförmigen Auspressung und Unterdrückung breitester Bevölkerungsschichten zum Wohle der
Herrschenden. Da Hardt und Negri dies nicht nur nicht sehen wollen, in diesen Veränderungen sogar primär eine Befreiung der Unterdrückten
sowie neue Möglichkeiten einer von der Vergangenheit unbelasteten Linken sehen, machen sie sich zu Apologeten der neuen Herrschaft. Deswegen
durchziehe ihr Buch auch jener für autoritäre Herrschaftseliten so typische Diskurs kreativer Schöpferkraft, der auf einen gleichsam
autonomen "Willen zur Macht" setze.
Hartmann zieht hier eine Parallele zu den jüngsten Arbeiten Peter Sloterdijks und
erklärt beide zu "Propagandisten eines barbarischen Élan vital neuer Eliten auf dem Weg zu einer postmodernen ‚schöpferischen
Zerstörung im globalen Maßstab. Beide inszenieren die Wiederkehr Nietzsches." Hartmann verwendet viel Raum und Energie darauf,
nachzuweisen, dass sich solcherart "Propaganda für die prophetische Machtergreifung selbst ernannter, selbstkonstituierter Eliten zur Durchsetzung
eines hegemonialen Projekts postmoderner Produktivkraft" notwendig, umfassend und wissentlich falsch tarnt. Da, wo sich Hardt/Negri vor allem auf
Spinoza und Foucault stützen, weist Hartmann am Original nach, dass deren Aussagen systematisch verfälscht und uminterpretiert werden. Schon
dies macht Hartmanns Werk zu einer so erfrischenden wie ernst zu nehmenden Herausforderung aller Hardt/Negri-Sympathisanten.
Trotzdem: So richtig und überzeugend Hartmanns respektlose Entlarvung des
scheinlinken elitären Geredes von Hardt/Negri auch ist, so falsch ist es, sie allzu forsch zu expliziten Rechten zu stempeln. Wenn ihre Thesen auch eine
Brücke nach rechts bilden, sie sind keine Rechten. Sie sind viel eher das, was Georg Lukács und Leo Kofler einstmals den "nonkonformistisch
getarnten Konformismus" nannten.
Wer sich als Nonkonformist im Herrschenden behaglich einrichtet, ist damit noch kein
Herrschender. Wer als Linker nicht konsequent ist, wird damit noch nicht automatisch zum Reaktionär. Vor allem jedoch: Viele, die diese
"Linken" oder Nonkonformisten mehr oder weniger begeistert konsumieren, müssen sich nicht unbedingt an den reaktionären Gehalten
und Tendenzen andocken. Diesen feinen Unterschied und seine diskurstaktischen Konsequenzen zu ignorieren ist eine so alte wie schlechte linke Angewohnheit
(auch Kofler und vor allem Lukács haben dies allzu selten reflektiert).
Hartmann selbst wendet sich richtigerweise gegen die linke Manie, reaktionär-
autoritäre Tendenzen umstandslos mit dem Faschismusverdikt zu belegen. Doch seine Wut treibt ihn gelegentlich selbst in den linksradikalen Kurzschluss.
Ein Antonio Negri wird aber auch im biopolitischen Kapitalismus sicher keine intellektuellen Herrschaftspositionen besetzen bei Michael Hardt bin ich
mir da weniger sicher...
Der von Hartmann selbst gezogene Vergleich zu den Grünen ist hier aufschlussreich.
Wie viele Kämpfe und Transformationen mussten sie hinter sich bringen, um am Tisch der Herrschenden geduldet zu werden. Und als es schließlich
so weit war, waren die Grünen auch personell schon längst nicht mehr das, was sie einmal gewesen sind (vergessen wir nie, dass gerade Joschka
Fischer kein Grüner der ersten Stunde war). Dass Hartmann neben Hardt/Negri nun auch die NGOs und Attac unvermittelt und pauschal zur neuen
postmodernen Herrschaftselite zählt, ist auch in Anerkennung seiner berechtigten Wut nicht zu akzeptieren. Aufs Ganze gesehen sollte diese
problematische Tendenz jedoch nicht den sachlichen Gehalt der Hartmannschen Invektive verdecken.
Christoph Jünke
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