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Die Figur des Polizei- oder Kriminalkommissars gehört zum festen Ensemble bei allen Feierstunden der ARD, selbst die
DDR- Fernsehanstalt zog mit Polizeiruf 110 nach. Mit der Zunahme der Privatsender wuchs die Bandbreite an Kommissartypen: es gibt die alleinerziehenden
Väterkommissare, die schwulen, die lesbischen, die glatzköpfigen, die gelockten, die bayrischen, halbjugoslawischen, die aus der Türkei und
den Niederlanden stammenden, die feinschmeckenden und currywurstfressenden, die Rock statt Hosen tragenden, die originalkölschen und die Auch-
Beamte-brauchen-Sex-Kommissare. Wer auch über Lesefähigkeiten verfügt, findet in Kriminalromanen eine noch bizarrere Vielfalt.
Diese Unübersichtlichkeit an Typen ist natürlich nichts anderes als eine
vereinfachende Plakatierungsaktion, die anstelle einer schriftstellerisch/dramaturgisch aufwendigen Entwicklung von Persönlichkeit auf deren
Stereotypisierung setzt. Denn an Kommissartypen kann es eigentlich nur zwei, maximal drei Varianten geben: den "bürokratischen", den
"demokratischen" und eventuell noch den "sozialen" Kommissar.
Obwohl er nie in einer Krimiserie den Kommissar gegeben hat, ist Heinz Rühmann in
Deutschland für alle Zeiten die Personifizierung des Typs "bürokratischer" Kommissar und Erik Ode nichts anderes als eine ZDF-
typische Billigvariante Rühmanns: Ob sympatisch oder nicht, schlitzohrig oder intellektuell, mit oder ohne Familie, mitfühlend oder nicht, seine
Funktion ist es, dem Recht genüge zu tun, letztendlich immer Staatsdiener zu sein. Und er kann seine Dienstpflicht unter jedem Regime mit der gleichen
Effizienz erfüllen, ohne daran zu leiden. Der "demokratische" Kommissar dagegen hat eine eigene persönliche Geschichte, mit der er
sich nicht nur an den "Fällen", sondern an dem "Oben" und "Unten" der Gesellschaft abarbeitet und als deren
widersprüchlicher Bestandteil er erkennbar wird. Ob klar umrissen oder nur angedeutet: es gibt immer etwas Widerständiges auch und
gerade gegen den eigenen Apparat , was um so deutlicher wird, wie die große Politik und damit das große Verbrechen in seine Arbeit
hineinspielen.
Didier Daeninckx lässt Inspetor Cadin in dem im Distel-Verlag wieder aufgelegten
Roman Bei Erinnerung Mord an solch einem mit Politik verwobenen Fall arbeiten: 20 Jahre nachdem sein Vater während einer Demonstration gegen das
Ausgangsverbot für Algerier in Paris erschossen wurde, wird ein Student in Toulouse umgebracht. Haben seine Aktenstudien in der Präfektur etwas
mit dem Tod des Vaters zu tun? War der ein "Kofferträger" für die FLN oder sind beide Morde ohne Zusammenhang? Zwischen den
Recherchearbeiten in Toulouse und Paris muss sich Cadin noch mit dem Streik der städtischen Totengräber rumschlagen und mit Aktionen der
lokalen Situationisten, die mit gefälschten Dokumenten zum wiederholten Male die städtischen Honoratioren der Lächerlichkeit preisgegeben
haben sollen. Unter Spannungsaspekten ist der Roman mäßig, aber er erzählt französische Geschichte in ihrer Brüchigkeit und
Kontinuität und gibt nahezu 20 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung immer noch ein interessantes literarisches Zeitdokument her.
Und der "soziale" Kommissar? Das ist der Kommissar in Auflösung, der
seinen Job aufgibt, um seine Menschlichkeit zu retten. Im TV ist das Schimanski gewesen, in seinen besten "Fällen" wie in "Der
Pott" oder "Danziger Gold", wo es nicht spektakulär gegen "die da Oben" ging, sondern um die Opfertäter von unten.
Wo Polizist sein bedeutet, Unrecht herzustellen, und wo nur noch Freundschaft und Freundlichkeit helfen können.
Udo Bonn
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