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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 20

Mord und Totschlag

Didier Daeninckx, Bei Erinnerung Mord, Distel, 2003, 210 S., 12,80 Euro.

Die Figur des Polizei- oder Kriminalkommissars gehört zum festen Ensemble bei allen Feierstunden der ARD, selbst die DDR- Fernsehanstalt zog mit Polizeiruf 110 nach. Mit der Zunahme der Privatsender wuchs die Bandbreite an Kommissartypen: es gibt die alleinerziehenden Väterkommissare, die schwulen, die lesbischen, die glatzköpfigen, die gelockten, die bayrischen, halbjugoslawischen, die aus der Türkei und den Niederlanden stammenden, die feinschmeckenden und currywurstfressenden, die Rock statt Hosen tragenden, die originalkölschen und die Auch- Beamte-brauchen-Sex-Kommissare. Wer auch über Lesefähigkeiten verfügt, findet in Kriminalromanen eine noch bizarrere Vielfalt.
Diese Unübersichtlichkeit an Typen ist natürlich nichts anderes als eine vereinfachende Plakatierungsaktion, die anstelle einer schriftstellerisch/dramaturgisch aufwendigen Entwicklung von Persönlichkeit auf deren Stereotypisierung setzt. Denn an Kommissartypen kann es eigentlich nur zwei, maximal drei Varianten geben: den "bürokratischen", den "demokratischen" und eventuell noch den "sozialen" Kommissar.
Obwohl er nie in einer Krimiserie den Kommissar gegeben hat, ist Heinz Rühmann in Deutschland für alle Zeiten die Personifizierung des Typs "bürokratischer" Kommissar und Erik Ode nichts anderes als eine ZDF- typische Billigvariante Rühmanns: Ob sympatisch oder nicht, schlitzohrig oder intellektuell, mit oder ohne Familie, mitfühlend oder nicht, seine Funktion ist es, dem Recht genüge zu tun, letztendlich immer Staatsdiener zu sein. Und er kann seine Dienstpflicht unter jedem Regime mit der gleichen Effizienz erfüllen, ohne daran zu leiden. Der "demokratische" Kommissar dagegen hat eine eigene persönliche Geschichte, mit der er sich nicht nur an den "Fällen", sondern an dem "Oben" und "Unten" der Gesellschaft abarbeitet und als deren widersprüchlicher Bestandteil er erkennbar wird. Ob klar umrissen oder nur angedeutet: es gibt immer etwas Widerständiges — auch und gerade gegen den eigenen Apparat —, was um so deutlicher wird, wie die große Politik und damit das große Verbrechen in seine Arbeit hineinspielen.
Didier Daeninckx lässt Inspetor Cadin in dem im Distel-Verlag wieder aufgelegten Roman Bei Erinnerung Mord an solch einem mit Politik verwobenen Fall arbeiten: 20 Jahre nachdem sein Vater während einer Demonstration gegen das Ausgangsverbot für Algerier in Paris erschossen wurde, wird ein Student in Toulouse umgebracht. Haben seine Aktenstudien in der Präfektur etwas mit dem Tod des Vaters zu tun? War der ein "Kofferträger" für die FLN oder sind beide Morde ohne Zusammenhang? Zwischen den Recherchearbeiten in Toulouse und Paris muss sich Cadin noch mit dem Streik der städtischen Totengräber rumschlagen und mit Aktionen der lokalen Situationisten, die mit gefälschten Dokumenten zum wiederholten Male die städtischen Honoratioren der Lächerlichkeit preisgegeben haben sollen. Unter Spannungsaspekten ist der Roman mäßig, aber er erzählt französische Geschichte in ihrer Brüchigkeit und Kontinuität und gibt nahezu 20 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung immer noch ein interessantes literarisches Zeitdokument her.
Und der "soziale" Kommissar? Das ist der Kommissar in Auflösung, der seinen Job aufgibt, um seine Menschlichkeit zu retten. Im TV ist das Schimanski gewesen, in seinen besten "Fällen" wie in "Der Pott" oder "Danziger Gold", wo es nicht spektakulär gegen "die da Oben" ging, sondern um die Opfertäter von unten. Wo Polizist sein bedeutet, Unrecht herzustellen, und wo nur noch Freundschaft und Freundlichkeit helfen können.

Udo Bonn

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