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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2003, Seite 22

Ronald Lenin

Kolumne von Thies Gleiss

Woüberall an den Schaltstellen des bürgerlichen Ideologieapparats heutzutage durchgeknallte Charmebolzen sitzen, ist fast täglich in den Medien zu hören, zu sehen und zu lesen. Um bei solchen Köstlichkeiten wie "500 Stunden umsonst für den Arbeitgeber arbeiten", wie vom DIHT-Präsidenten Braun gefordert, oder "Die Älteren müssten in Zukunft deutlich weniger verdienen", was der 56-jährige "Chef-Volkswirt" der Deutschen Bank, Walther, fordert, überhaupt noch aufzufallen, bedarf es bei den professionellen Sprüchekloppern schon allerstärksten Tobaks. In diesem Geist hat sich der Chefredakteur von Financial Times Deutschland, ein Herr mit dem für einen Propagandabüttel passenden Namen Christoph Keese, mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, beschäftigt.
Sein Porträt aus der Sylvester-Ausgabe seiner Zeitung leuchtet heute besonders hell, weil mittlerweile klar ist, dass auch "der grüne Gewerkschaftsboss" Bsirske ein treues Modell seiner Kaste ist: Statt kämpferisch eine Forderung durchzusetzen und — wie vollmundig angekündigt — deshalb gar nicht erst "Verhandlungsmasse" mitzufordern, hat auch er dem normalen Tarifrundenritual entsprochen, was in Deutschland seit Jahren heißt: gut 30% der Ausgangsforderung werden nach vielen schlechten Stunden in guten Hotels "für die KollegInnen rausgeholt". Peinlich nur, wenn Ver.di dann schon mit 3% in den Ring steigt. Obendrein reiht sich Bsirske in die Reihe der windelweichen Tarifverhandlungsführer ein, die buchstäblich bis zur letzten Stunde tapfer verkünden, "am wichtigsten ist eine kurze Laufzeit der Verträge", um dann am Ende mit einer extra-langen Laufzeit herauszukommen, weil mensch damit die Verhandlungsergebnisse so herrlich schönschminken kann.
Vor diesem die Gesellschaft so Furcht erregend erschütternden Tarifabschluss musizierte Financial-Times-Keese allerdings in schrillen Tönen: "Kein Gewerkschaftsführer richtet derzeit mehr Unheil an als Frank Bsirske … In den vergangenen Wochen lief er regelrecht Sturm … Er opponiert gegen jedes Reformprojekt der Regierung — längere Ladenöffnungszeiten, das Bonus-Modell der Krankenkassen, die Rürup-Kommission oder die Abgeltungssteuer … Dabei holt er immer gleich den gröbsten Knüppel raus … Bsirskes Ton ist apodiktisch und klassenkämpferisch. Von den Sozialdemokraten fordert er Freundschaft ein, spricht selber zu ihnen aber wie ein Schutzgelderpresser… Er wiegelt seine Zuhörer gegen die ‚Reichen‘ auf … Dafür benutzt er den Duktus populistischer Verführer: Nie bringt er Beweise, nie antwortet er auf Sachargumente, stets grenzt er Gegner wie ‚die Reichen‘ aus … Damit steht er in der Tradition großer Populisten wie Lenin oder Reagan, die Meister darin waren, dunkle Gefahren zu beschwören. Bsirske hat freilich nicht das Format seiner Vorbilder. Sein Terrain sind die Amtsstuben und Vorgärten … Bsirske gehört zu jenen Linken, denen immer erst das komplette System über dem Kopf zusammenbrechen muss, bevor sie begreifen, dass irgendetwas nicht stimmt … Mit seiner Macht könnte er viel dazu beitragen, die Wirtschaftskrise zu beenden. Doch weil Bsirske ökonomische Fakten hartnäckig ignoriert, stellt er eine inzwischen ernste Gefahr für die Volkswirtschaft dar."
Und so weiter und so fort. Fehlt nur noch die Aufforderung: "Hoch Genosse Bsirske — an den Gaslaternenpfahl!" Auch wenn wir ihm alles Schlechte wünschen, so machen wir uns doch ernstlich Sorgen um das Personal der Bourgeoisie. Es ist grad mal fünf Jahre her, als das Allensbach-Institut per Umfrage ermittelte, dass satte 56% der Deutschen es immer noch für richtig halten, von Klassen und Klassenkampf im betrieblichen und gesellschaftlichen Alltag zu sprechen. Es werden deshalb Zeiten kommen, wo solche Leute wie Bsirske zu den wichtigsten Stützen der herrschenden Klasse aufsteigen, um "Schlimmeres zu verhindern". Die geifernden Jungspunte aus der Kapitalpresse sollten sich deshalb hüten, ihr Pulver schon vor der Zeit und gegen die falschen Leute zu verschießen. Revolution soll doch schließlich auch ein wenig Spaß machen.

Thies Gleiss

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