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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 3

Nach dem 15.2.

Globaler Protest und neue Weltpolitik

Von Santiago de Chile bis Osaka, von der Amundsen-Scott-Station bis Bergen erscholl an diesem 15.Februar das "Nein" zum Krieg, waren die Demonstrierenden in den Überzeugungen geeint: Wir sind keine Antiamerikaner, wir sind gegen Bushs Präventivkrieg; Saddam ist ein Diktator, aber kein Grund für einen Krieg; Bush führt den Krieg um die Weltmacht; UN-Inspektoren nach Washington; "Drop Bush, not Bombs".

So etwas hat die Welt noch nicht gesehen: aus allen Ecken der sieben Kontinente ein millionenfaches Nein gegen einen (alles in allem regionalen) Krieg. Als schwachen Vorboten einer solchen globalen Bewegung gegen den Krieg kann man allenfalls die Konferenzen der II.Internationale in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ansehen — aber diese Bewegung kollabierte unter der chauvinistischen Kriegsbegeisterung der ersten Augusttage und riss eine Sozialdemokratie mit sich, deren reformistischer Flügel "die notwendige Zivilisierung der Kolonien, d.h. ihren Übergang von der Barbarei zum Kapitalismus, wenn notwendig mit der Waffe in der Hand" durchführen wollte. Argumente, die bis aufs Haar solchen der heutigen Grünen gleichen, wenn sie "für Menschenrechte und gegen Diktatoren" ins Feld ziehen, oder auch gewisser Antideutscher, die den Kapitalismus für ein notwendiges Übergangsstadium der "feudalen", "zurückgebliebenen" Länder des Südens halten.
Das Gros der globalisierungskritischen Bewegung, die inzwischen mit der Antikriegsbewegung eins ist, lehnt diesen Imperialismus ab; das ist ein riesiger Fortschritt. Ihre‚ Kritik bietet wenig Raum für einen nationalistischen Diskurs. Sie ist Ausdruck der weltweiten Angst vor dem Zerstörungswahn einer unkontrollierten Supermacht und auch des Bewusstseins, dass es angesichts der weltweiten "Allianz gegen den Terror" keine verbündeten Regierungen mehr gibt, Gegenentwürfe nur noch von unten, als Entwurf einer "anderen Weltordnung" durchgesetzt werden können.
Darüber kann auch die derzeitige Krise im westlichen Bündnis — NATO, UNO, EU — nicht hinwegtäuschen. Die Weltmachtambitionen der USA stoßen zwar auf große Skepsis bis Ablehnung auch in den herrschenden Kreisen Europas und Asiens; aber einen imperialistischen Konkurrenzblock, der die USA herausfordern könnte, gibt es derzeit nicht. Das klassische Muster der balance of power, der Eindämmung von Macht, das seit dem Westfälischen Frieden die internationale Ordnung bestimmt hat, funktioniert nicht mehr. Die Heilige Allianz hat Napoleon besiegt, die Entente den Kaiser, die Rote Armee hat die Wehrmacht vernichtet, der Aufstieg der USA nach dem Zweiten Weltkrieg hat die europäischen Kolonialmächte zurechtgestutzt, die Atommächte USA und Sowjetunion haben sich gegenseitig in Schach gehalten. Heute gibt es keinen aufstrebenden Staat oder Staatengemeinschaft, der/ die wirtschaftlich oder militärisch in der Lage wäre, das Zerstörungswerk der US-Regierung aufzuhalten. Er würde dies auch nur mit Machtmitteln tun, die zwangsläufig wieder in einen Weltkrieg münden müssten. Es müssen deshalb neue Wege ersonnen werden, dem Kriegskurs entgegenzutreten.
Der Schlingerkurs der deutschen Regierung spricht Bände über die Widersprüche der derzeitigen Situation. Eine eindeutige Interessenlage der deutschen Wirtschaft lässt sich schwer ausmachen; der Widerspruch geht durch die Kapitalfraktionen hindurch. Die deutsche Automobilindustrie hat ein Interesse an billigem Öl und braucht den US-amerikanischen Markt; die deutsche Finanzwelt hängt am Tropf der britischen und US-amerikanischen Finanzmärkte; die verarbeitende Industrie, die Expansionsmöglichkeiten nach Osten sucht, will dort ein ruhiges Investitionsklima, und der deutsche Binnenmarkt fürchtet die schwere Rezession, die auf den Krieg folgen kann.
Die Politik muss sich entscheiden, und dass Schröder sich gegen den Krieg entschieden hat, hat natürlich mit Wahlkampf zu tun, aber auch damit, dass die SPD nicht so eng mit dem Großkapital verbandelt ist und deshalb eher in die Rolle des "ideellen Gesamtkapitalisten" schlüpfen kann. Der Wunsch, die nach 1989 wiedergewonnene "deutsche Eigenständigkeit" zu behaupten, konnte unter den gegebenen Umständen nur im Versuch münden, die EU zum Gegenpol aufzubauen. Ein Gaullist ist der beste Partner dafür.
Die ganzen 90er Jahre über haben deutsche Regierungen an diesem Projekt gearbeitet. Und eigentlich wäre dieser Krieg aus ihrer Sicht die richtige Gelegenheit gewesen, die hochtrabenden Beschlüsse des EU-Gipfels von Kopenhagen mit Leben zu füllen: Ausbau der EU zu einem eigenständigen politischen Faktor, der den Auftrag von Lissabon, die EU zur "dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Region der Welt zu machen", mit einer eigenständigen Militärmacht untermauert. Doch es reicht nicht, Waffen und Soldaten anzuschaffen. Man muss auch wissen, wozu man sie einsetzen will. Und darüber gibt es in der EU keine Einigkeit; die Gemeinsame Außenpolitik ist ein Scherbenhaufen, noch bevor sie Konturen angenommen hat. Der Ausweg "EU" aus der Abhängigkeit von den USA ist verstopft.
Nicht nur die britische Politik ist anders orientiert. Den USA ist es im vergangenen Jahrzehnt erfolgreich gelungen, das Projekt einer Alternativmacht EU zu torpedieren: durch die frühzeitige Einbindung wichtiger osteuropäischer Staaten in die NATO und die Bindung ihrer militärischen Entwicklung an US-Rüstungskonzerne und US-Technologie; aber vor allem durch Übernahme der Führung im Balkankrieg. Der politische Sinn des Jugoslawienkriegs war die Verhinderung des Aufkommens einer Großmacht EU. Das ist die eine Seite.
Aber auch die deutsche Industrie ist weit davon entfernt, den Rahmen der transatlantischen Beziehungen aufkündigen zu wollen — unabhängig davon, wie sie im Einzelnen zum Krieg steht. Man schaue sich dazu nur die ganzseitige Anzeige an, die die FAZ am 22.2. veröffentlichte. Darin steht kein Wort vom Krieg — man konnte sich hier wohl auf keinen gemeinsamen Nenner einigen; es geht ausschließlich um das Festhalten an der "Partnerschaft" mit den USA. Unterzeichnet ist sie von der Crème der deutschen Wirtschaft, Politik und Armee: Frieda Springer, von Bohlen und Halbach, Diehl, Dyckerhoff, Hilmar Kopper, Jens Odewald, Oetker, Graf Kerssenbroich, Helmut Schlesinger, Jürgen Schrempp, Ernst Welteke von der Bundesbank, Lambsdorff und Kohl natürlich, General Naumann u.v.a.
Die deutsche Bourgeoisie weiß, was sie den Amerikanern schuldig ist: nicht weniger als die Rettung ihrer Existenz nach 1945. Nur tiefe wirtschaftliche Verwerfungen infolge der aufziehenden schweren Wirtschaftskrise können an diesem Verhältnis etwas ändern.
Auf absehbare Zeit bleibt es dabei: Die deutsche — und europäische — Politik durchzieht der Widerspruch, dass sie einerseits eine stärkere Weltgeltung für sich beansprucht, diese andererseits aber immer nur als Juniorpartner der USA bekommen kann. Ein klares Nein zu den Kriegsabenteuern der Weltmacht Nr.1 entwickelt sich aus dieser Position nicht, bestenfalls die Halbherzigkeit, die wir derzeit mit Schröder und Fischer erleben, wenn sie versuchen, dem Krieg ihre Stimme zu verweigern und trotzdem ihren wesentlichen Bündnisverpflichtungen nachkommen.
Die Mär, die Amerikaner hätten uns von den Nazis befreit, und die falsche Parallele, die jeden der US-amerikanischen Kreuzzüge mit der Aura eines "antifaschistischen Kampfs" versehen will, stellen das größte Einfallstor für die deutsche Friedensbewegung dar. In einem emanzipatorischen Sinn kann sie sich davon nur freimachen, indem sie sich daran beteiligt, eine internationale und antiimperialistische Alternative zu formulieren.

Angela Klein

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