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Mit der Veröffentlichung des Hartz-Berichts ("Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt") im August 2002
wurde die Diskussion über Tarifverträge für Leiharbeitsfirmen angestoßen. Unter den 13 sog. "Innovationsmodulen" war in
Modul 8 der Aufbau von PersonalServiceAgenturen (kurz: PSAs) einschließlich betriebsnaher Weiterbildung und Integration von schwer vermittelbaren
Erwerbslosen vorgesehen.
Die PSAs machen Arbeitnehmerüberlassung. Zum Lohn der dort beschäftigten
Erwerbslosen wird im Hartz-Papier eine Art Stufenmodell vorgeschlagen: Während der Probezeit, die bei "Bewährung" verkürzt
werden kann, sei ein Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengelds zu zahlen. Anschließend käme der tariflich vereinbarte PSA-Lohn, und bei
Überwechseln in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis würde schließlich der dort übliche Lohn gezahlt werden.
Die Ablehnung der Aufnahme einer Beschäftigung in einer PSA sei mit leistungsrechtlichen Konsequenzen verbunden.
Das Hartz-Papier ist inzwischen mit dem "1. und 2.Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" umgesetzt worden. Seit dem 1.1.2003 hat jedes Arbeitsamt die Einrichtung mindestens einer PSA sicher zu stellen.
Deren Aufgabe ist es, Arbeitnehmerüberlassung zur Vermittlung von Erwerbslosen in Arbeit zu betreiben und die Beschäftigten in verleihfreien
Zeiten zu qualifizieren und weiterzubilden. Geplant ist, 2004 etwa 50000 Erwerbslose in PSAs "anzustellen".
Die PSAs können von jeder ortsansässigen Leiharbeitsfirma, auch von START in
NRW, von Randstad oder Adecco, geführt werden. Auch eine gemeinsame Trägerschaft zwischen einem Arbeitsamt und einer Leiharbeitsfirma ist
möglich, oder die PSA wird in Eigenregie des Arbeitsamtes geführt.
Neben den verschiedenen noch nicht endgültig geklärten erheblichen Leistungskürzungen für Erwerbslose
gehören die PSAs zum Herzstück der Hartz-Reform, das zeigt ihr Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).
Eine PSA könne, so das Hartz-Papier, wie Zeitarbeitsfirmen auch, nur dann effektiv
arbeiten, wenn die Beschränkungen des AÜG nicht gelten. Diese müßten deshalb per Gesetz aufgehoben werden unter dem
Vorbehalt, dass Tarifverträge abgeschlossen werden.
Die Devise rief sofort die rot-grüne Regierung auf den Plan. Eilfertig wurden die
Forderungen der Leiharbeitsbranche umgesetzt, z.B. die des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA), in dem u.a. auch die Branchenriesen Randstad und Adecco zu
einem Interessenverband organisiert sind. Denn mit dem Hartz-Gesetz wurden die bisher noch geltenden Schutzbestimmungen im AÜG auf einen Schlag
abgeschafft. Leiharbeitskräfte können jetzt beliebig oft gekündigt und nach kurzer Zeit wieder eingestellt oder auch wiederholt befristet
beschäftigt werden. Auch können Leiharbeitnehmer künftig ohne zeitliche Beschränkung an einen Betrieb verliehen werden.
Übergangsweise bleiben die alten AÜG-Regelungen noch bis Ende 2003 in Kraft.
Dass der Wegfall der Schutzbestimmungen schwer vermittelbaren Erwerbslosen die
Möglichkeit bieten soll, über Leiharbeitsfirmen leichter auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt eingestellt zu werden, ist völlig absurd.
Mitte 2002 gab es bundesweit 4170 Verleihfirmen. Die bisherigen Regelungen des AÜG galten natürlich jeweils nur für Tätigkeiten im
selben Unternehmen. Erwerbslose konnten also hintereinander in verschiedenen Leiharbeitsfirmen jeweils befristet eingestellt oder gekündigt werden. Und
die Entleihbetriebe konnten sowieso den Kündigungsschutz umgehen, indem sie jederzeit auf Leiharbeitskräfte zurückgriffen.
Das Risiko, das an sich die Verleiher tragen sollten, wurde auf die Leiharbeitnehmer
abgewälzt, indem diese wie die Erfahrung aus der Arbeitslosenberatung zeigt oft zur Kündigung oder zu einem Aufhebungsvertrag
gedrängt wurden.
Bei Facharbeiter werden die künftigen AÜG-Regelungen dazu führen,
Stammbelegschaften rigoros abzubauen und Betriebe wie beispielsweise Opel in diverse Subunternehmen und (Verleih-)Firmen aufzugliedern, die für die
gleichen Tätigkeiten eine ganze Palette von Löhnen von sechs bis sechzehn Euro zahlen.
Der einzige noch verbleibende Schutz besteht in der neuen gesetzlichen Regelung, dass Leiharbeitnehmer somit auch Beschäftigte in den
PSAs während der Beschäftigung bei einem Entleiher grundsätzlich gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers in
Bezug auf die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gleich behandelt werden müssen.
Eine Ausnahme besteht allerdings für die ersten sechs Wochen, wenn ein zuvor
erwerbsloser Leiharbeitnehmer beschäftigt wird. Hier sieht das Gesetz die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts in Höhe des vorher bezogenen
Arbeitslosengelds vor.
Eine weitere, letztlich die ausschlaggebende Ausnahme besteht darin, dass ein Tarifvertrag eine
vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Regelung zulassen kann.
Es ist nach alledem klar, dass ein Tarifvertrag für die Leiharbeitsbranche von immenser
Bedeutung für Erwerbslose wie für Erwerbstätige ist. Gleich nach Veröffentlichung des Hartz-Papiers und kurz vor dem ersten
Spitzengespräch mit Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement drängten die Gewerkschaften auf eine Konkretisierung der im Hartz-Entwurf
stehenden Öffnungsklausel, derzufolge durch Abschluss eines Tarifvertrages von den Restriktionen des AÜG abgewichen werden kann. Die
Tarifregelungen bei den PSAs müssten klarer gefasst werden, so DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer (FR, 29.10.2002).
Anfangs dachten die Gewerkschaften, die PSAs würden unter dem Dach der
Bundesanstalt für Arbeit mit einem einheitlichen Tarifvertrag angesiedelt. Dies war jedoch nicht der Fall, weshalb sie nun fürchteten, dezentrale
Tarifverhandlungen mit unterschiedlichen Anbietern aus der Leiharbeitsbranche führen zu müssen. Ein Kompromiss zwischen Bundesregierung und
Gewerkschaften ergab schließlich, dass zur Kooperation mit den Arbeitsämtern nur Leiharbeitsfirmen zugelassen werden sollten, die einen
Tarifvertrag abschließen. Die Zeichen standen also deutlich auf Tarifverhandlungen mit der ganzen Leiharbeitsbranche. Und es war auch klar, in welche
Richtung verhandelt werden sollte.
Ein Tarifvertrag für die Leiharbeitsbranche müsse nicht mit dem der
Stammbelegschaften identisch sein, dreißig Prozent weniger dürften es schon sein, erklärte Bundeskanzler Schröder in der Zeit. Werner
Bischoff, Tarifexperte im Vorstand der IG BCE, konnte sich für Langzeitarbeitslose Abschläge von maximal 20% vorstellen. Solche Einstiegstarife
seien für sechs bis zwölf Monate denkbar, so Bischoff. Die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Thea Dückert hielt Abschläge
von bis zu 30% vom Tariflohn für sinnvoll.
Die Tarifbindung sei zum Nadelöhr geworden, so der Chef der Bundesanstalt für
Arbeit (BA), Florian Gerster: "Die Gewerkschaften wollen, nachdem sie die Tarifbindung [der PSA] durchgesetzt haben, die Möglichkeit für
abweichende Regelungen nutzen. Ein Zeitarbeiter, der Vermittlungshemmnisse hat, müsste mit einem Abschlag von 2030% den Einstieg
finden."
Doch wieviele Erwerbslose haben Vermittlungshemmnisse? Ein Facharbeiter, der 50 Jahre alt
ist, gilt per se schon als schwer vermittelbar. Die Hälfte der Erwerbslosen fallen darunter: Langzeitarbeitslose, Schwerbehinderte, Ältere, Personen
ohne Berufsabschluss. So werden letztlich Erwerbslose unfreiwillig zu Streikbrechern gemacht. Wie immer das Hartz-Papier und die PSAs auch am Ende
funktionieren werden, im Zusammenhang mit dem Argument, schwer vermittelbare Erwerbslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, führen sie
letztlich dazu, niedrige Löhne in der Leiharbeitsbranche insgesamt festzuschreiben.
Die Weisung des BA-Vorstands an die Arbeitsämter, sich vorrangig um jene
Erwerbslose zu kümmern, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld am höchsten ist, könnte bedeuten, dass die PSAs sich in die Kette der
Promotions-, Trainings- und Feststellungsmaßnahmen einreihen, mit denen die BA sich verspricht, die angestrebte Eingliederungsquote von 70% zu
erreichen. Während die Aufnahme von Erwerbslosen in eine PSA eher niedrig bezahlt werden soll, wird die Übernahme in einen Entleihbetrieb von
den Arbeitsämtern großzügig honoriert.
Am Ende findet eine Rosinenpickerei statt. Im Facharbeiter- und akademischen Bereich wird es
zu Dequalifizierungsprozessen kommen, die übrigen Erwerbslosen haben mit verschärfter Ausgrenzung zu rechnen.
Da die BA es abgelehnt hat, gesonderte Tarifverhandlungen für die PSAs zu führen, ging es dem DGB bei den Verhandlungen darum, auf
zentraler Ebene mit den Verbänden der Leiharbeitsbranche einen Flächentarif auszuhandeln. Regionale Tarifverhandlungen sollten ausgeschlossen
bleiben. Der Zeitrahmen ist durch das Hartz-Gesetz vorgegeben. Es gibt eine Übergangsfrist bis Ende 2003, in der sowohl das alte AÜG als auch die
bereits bestehenden Tarifverträge mit Verleihfirmen noch Bestand haben. Doch sollen bis Anfang März 2003 schon die ersten Ergebnisse vorliegen,
so Reinhard Dombre vom DGB.
Am 30.1.2003 fanden die ersten Gespräche über einen bundesweiten Rahmentarif
für die Leiharbeitsbranche statt. Auf Seiten des DGB wurde eine Tarifgemeinschaft der Einzelgewerkschaften gebildet, von den Leiharbeitgebern stiegen
Vertreter der beiden Verbände BZA und IGZ mit ein. Doch schafften diese es nicht, ebenfalls eine Tarifgemeinschaft zu bilden. Denn der BZA, der von
sich als dem "mit Abstand größten" Verband spricht, beansprucht die Führerschaft. Dass die Gewerkschaften deshalb getrennte
Gespräche mit den beiden Verbänden führen wollten, stellte für den BZA-Tarifexperten Jürgen Uhlemann "eine
Provokation" dar.
Schließlich führte der DGB doch getrennte Gespräche, am 6.2.2003 mit
dem BZA und am 8.2.2003 mit der IGZ. Am 18./19.2.2003 sollte es dann zu ersten Ergebnissen kommen.
Der BZA besteht schon seit 30 Jahren und hat nach eigenen Angaben mehr als 1500
Mitgliedsbetriebe, darunter auch Randstad und Adecco; die Interessengemeinschaft deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) hat sich erst im letzten Jahr
konstituiert und vertritt 860 zumeist kleinere Firmen.
Die einzige Regelung, die im Gesetz ein Abweichen vom Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ermöglicht, bezieht sich auf die
ersten sechs Wochen, in denen Leiharbeitnehmer, die zuvor erwerbslos waren, ein Nettoentgelt in Höhe ihres Arbeitslosengeldes erhalten. Weitergehende
Unterschiede, etwa eine sechs- bis zwölfmonatige Abweichung vom Gleichheitsgrundsatz, wie sie der IG BCE-Chef forderte, wären Sache eines
Tarifvertrags.
Das ist der Grund, warum beim ersten Verhandlungsgespräch zwischen DGB-
Gewerkschaften und Leiharbeitsverbänden am 30.1.2003 Gewerkschafter von Ver.di und IG Metall aus Offenbach, Vertreter von Erwerbsloseninitiativen
aus Oldenburg, Wilhelmshaven und Bremen sowie Kollegen aus Münster, Bochum, Frankfurt am Main, München und Hannover vor dem
Tagungsort der Gespräche, dem Gewerkschaftshaus der IG BCE in Hannover, vehement einforderten, dass es keinen Tarifvertrag zur Leiharbeit geben
dürfe. Stattdessen solle das Hartz-Gesetz gekippt und gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden. Außerdem forderten sie Mitsprache
für Erwerbslose und mehr Tranzparenz bei den Tarifverhandlungen.
Der DGB-Verhandlungsführer Reinhard Dombre versicherte, für die Forderung
nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit zu streiten. Es gebe jedoch Verhandlungsdruck, vor dem 1.4.2003 müssten Ergebnisse erreicht werden.
Zusätzlicher Druck war entstanden, weil die christlichen Gewerkschaften in NRW mit einzelnen Leiharbeitsfirmen schon einen Tarifvertrag abgeschlossen
haben. In diesem ist eine Abweichung vom Prinzip der gleichen Bezahlung für die ersten 37 Wochen eines Leiharbeitsverhältnisses festgeschrieben.
In den ersten Verhandlungen zeigten sich die Gewerkschaften schon dahingehend
verhandlungsbereit, dass sie für schwer vermittelbare Menschen wie Langzeitarbeitslose einen niedrigeren Einstiegstarif akzeptieren wollten. Diesen
wollte Jürgen Uhlemann, BZA-Verhandlungsführer, allerdings zur Regel machen, denn seiner Meinung nach hat der überwiegende Teil der
Leiharbeiter ein Vermittlungshemmnis schon deswegen, weil sie älter seien, keine Ausbildung hätten oder zuvor arbeitslos waren.
Bei Abfassung des Artikels lagen die Ergebnisse der Verhandlungen noch nicht vor.
Vorstellbar wäre, dass am Ende nur die Menschen in den Genuss des Prinzips der gleichen Bezahlung kämen, die zuvor nicht erwerbslos waren,
vielleicht auch noch nicht über 50 Jahre alt sind und die nicht nur für kurze Zeit in einer Leiharbeitsfirma arbeiten. Doch bekanntlich liegen
mindestens 60% der Leiharbeitsverhältnisse unter drei Monaten. Und mehr als die Hälfte der Leiharbeitnehmer war vorher erwerbslos. Dann
blieben für die meisten Leiharbeitskräfte also nur Dumping-Tariflöhne übrig.
Am 1.4.2003 werden die PSAs flächendeckend eingeführt. Für diesen Tag
hat das bundesweite Anti-Hartz-Bündnis Proteste angekündigt. Mögliche inhaltliche Schwerpunkte sollen sein: Verdrängung
regulärer Arbeit durch Leiharbeit; Gefahr von Lohndumping durch "Billigtarife", die den gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aushebeln;
Pflichtarbeit für Arbeitslose "zum Nulltarif" in den ersten sechs Wochen.
Wolf Herzberg
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