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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 9

PSAs und erste Tarifverhandlungen für die Leiharbeitsbranche

Die Hartz-Lawine rollt

Mit der Veröffentlichung des Hartz-Berichts ("Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt") im August 2002 wurde die Diskussion über Tarifverträge für Leiharbeitsfirmen angestoßen. Unter den 13 sog. "Innovationsmodulen" war in Modul 8 der Aufbau von PersonalServiceAgenturen (kurz: PSAs) einschließlich betriebsnaher Weiterbildung und Integration von schwer vermittelbaren Erwerbslosen vorgesehen.
Die PSAs machen Arbeitnehmerüberlassung. Zum Lohn der dort beschäftigten Erwerbslosen wird im Hartz-Papier eine Art Stufenmodell vorgeschlagen: Während der Probezeit, die bei "Bewährung" verkürzt werden kann, sei ein Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengelds zu zahlen. Anschließend käme der tariflich vereinbarte PSA-Lohn, und bei Überwechseln in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis würde schließlich der dort übliche Lohn gezahlt werden. Die Ablehnung der Aufnahme einer Beschäftigung in einer PSA sei mit leistungsrechtlichen Konsequenzen verbunden.
Das Hartz-Papier ist inzwischen mit dem "1. und 2.Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" umgesetzt worden. Seit dem 1.1.2003 hat jedes Arbeitsamt die Einrichtung mindestens einer PSA sicher zu stellen. Deren Aufgabe ist es, Arbeitnehmerüberlassung zur Vermittlung von Erwerbslosen in Arbeit zu betreiben und die Beschäftigten in verleihfreien Zeiten zu qualifizieren und weiterzubilden. Geplant ist, 2004 etwa 50000 Erwerbslose in PSAs "anzustellen".
Die PSAs können von jeder ortsansässigen Leiharbeitsfirma, auch von START in NRW, von Randstad oder Adecco, geführt werden. Auch eine gemeinsame Trägerschaft zwischen einem Arbeitsamt und einer Leiharbeitsfirma ist möglich, oder die PSA wird in Eigenregie des Arbeitsamtes geführt.

Arbeitnehmerüberlassung

Neben den verschiedenen — noch nicht endgültig geklärten — erheblichen Leistungskürzungen für Erwerbslose gehören die PSAs zum Herzstück der Hartz-Reform, das zeigt ihr Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).
Eine PSA könne, so das Hartz-Papier, wie Zeitarbeitsfirmen auch, nur dann effektiv arbeiten, wenn die Beschränkungen des AÜG nicht gelten. Diese müßten deshalb per Gesetz aufgehoben werden — unter dem Vorbehalt, dass Tarifverträge abgeschlossen werden.
Die Devise rief sofort die rot-grüne Regierung auf den Plan. Eilfertig wurden die Forderungen der Leiharbeitsbranche umgesetzt, z.B. die des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA), in dem u.a. auch die Branchenriesen Randstad und Adecco zu einem Interessenverband organisiert sind. Denn mit dem Hartz-Gesetz wurden die bisher noch geltenden Schutzbestimmungen im AÜG auf einen Schlag abgeschafft. Leiharbeitskräfte können jetzt beliebig oft gekündigt und nach kurzer Zeit wieder eingestellt oder auch wiederholt befristet beschäftigt werden. Auch können Leiharbeitnehmer künftig ohne zeitliche Beschränkung an einen Betrieb verliehen werden. Übergangsweise bleiben die alten AÜG-Regelungen noch bis Ende 2003 in Kraft.
Dass der Wegfall der Schutzbestimmungen schwer vermittelbaren Erwerbslosen die Möglichkeit bieten soll, über Leiharbeitsfirmen leichter auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt eingestellt zu werden, ist völlig absurd. Mitte 2002 gab es bundesweit 4170 Verleihfirmen. Die bisherigen Regelungen des AÜG galten natürlich jeweils nur für Tätigkeiten im selben Unternehmen. Erwerbslose konnten also hintereinander in verschiedenen Leiharbeitsfirmen jeweils befristet eingestellt oder gekündigt werden. Und die Entleihbetriebe konnten sowieso den Kündigungsschutz umgehen, indem sie jederzeit auf Leiharbeitskräfte zurückgriffen.
Das Risiko, das an sich die Verleiher tragen sollten, wurde auf die Leiharbeitnehmer abgewälzt, indem diese — wie die Erfahrung aus der Arbeitslosenberatung zeigt — oft zur Kündigung oder zu einem Aufhebungsvertrag gedrängt wurden.
Bei Facharbeiter werden die künftigen AÜG-Regelungen dazu führen, Stammbelegschaften rigoros abzubauen und Betriebe wie beispielsweise Opel in diverse Subunternehmen und (Verleih-)Firmen aufzugliedern, die für die gleichen Tätigkeiten eine ganze Palette von Löhnen von sechs bis sechzehn Euro zahlen.

Gesetz oder Tarif?

Der einzige noch verbleibende Schutz besteht in der neuen gesetzlichen Regelung, dass Leiharbeitnehmer — somit auch Beschäftigte in den PSAs — während der Beschäftigung bei einem Entleiher grundsätzlich gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers in Bezug auf die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gleich behandelt werden müssen.
Eine Ausnahme besteht allerdings für die ersten sechs Wochen, wenn ein zuvor erwerbsloser Leiharbeitnehmer beschäftigt wird. Hier sieht das Gesetz die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts in Höhe des vorher bezogenen Arbeitslosengelds vor.
Eine weitere, letztlich die ausschlaggebende Ausnahme besteht darin, dass ein Tarifvertrag eine vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Regelung zulassen kann.
Es ist nach alledem klar, dass ein Tarifvertrag für die Leiharbeitsbranche von immenser Bedeutung für Erwerbslose wie für Erwerbstätige ist. Gleich nach Veröffentlichung des Hartz-Papiers und kurz vor dem ersten Spitzengespräch mit Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement drängten die Gewerkschaften auf eine Konkretisierung der im Hartz-Entwurf stehenden Öffnungsklausel, derzufolge durch Abschluss eines Tarifvertrages von den Restriktionen des AÜG abgewichen werden kann. Die Tarifregelungen bei den PSAs müssten klarer gefasst werden, so DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer (FR, 29.10.2002).
Anfangs dachten die Gewerkschaften, die PSAs würden unter dem Dach der Bundesanstalt für Arbeit mit einem einheitlichen Tarifvertrag angesiedelt. Dies war jedoch nicht der Fall, weshalb sie nun fürchteten, dezentrale Tarifverhandlungen mit unterschiedlichen Anbietern aus der Leiharbeitsbranche führen zu müssen. Ein Kompromiss zwischen Bundesregierung und Gewerkschaften ergab schließlich, dass zur Kooperation mit den Arbeitsämtern nur Leiharbeitsfirmen zugelassen werden sollten, die einen Tarifvertrag abschließen. Die Zeichen standen also deutlich auf Tarifverhandlungen mit der ganzen Leiharbeitsbranche. Und es war auch klar, in welche Richtung verhandelt werden sollte.
Ein Tarifvertrag für die Leiharbeitsbranche müsse nicht mit dem der Stammbelegschaften identisch sein, dreißig Prozent weniger dürften es schon sein, erklärte Bundeskanzler Schröder in der Zeit. Werner Bischoff, Tarifexperte im Vorstand der IG BCE, konnte sich für Langzeitarbeitslose Abschläge von maximal 20% vorstellen. Solche Einstiegstarife seien für sechs bis zwölf Monate denkbar, so Bischoff. Die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Thea Dückert hielt Abschläge von bis zu 30% vom Tariflohn für sinnvoll.
Die Tarifbindung sei zum Nadelöhr geworden, so der Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Florian Gerster: "Die Gewerkschaften wollen, nachdem sie die Tarifbindung [der PSA] durchgesetzt haben, die Möglichkeit für abweichende Regelungen nutzen. Ein Zeitarbeiter, der Vermittlungshemmnisse hat, müsste mit einem Abschlag von 20—30% den Einstieg finden."
Doch wieviele Erwerbslose haben Vermittlungshemmnisse? Ein Facharbeiter, der 50 Jahre alt ist, gilt per se schon als schwer vermittelbar. Die Hälfte der Erwerbslosen fallen darunter: Langzeitarbeitslose, Schwerbehinderte, Ältere, Personen ohne Berufsabschluss. So werden letztlich Erwerbslose unfreiwillig zu Streikbrechern gemacht. Wie immer das Hartz-Papier und die PSAs auch am Ende funktionieren werden, im Zusammenhang mit dem Argument, schwer vermittelbare Erwerbslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, führen sie letztlich dazu, niedrige Löhne in der Leiharbeitsbranche insgesamt festzuschreiben.
Die Weisung des BA-Vorstands an die Arbeitsämter, sich vorrangig um jene Erwerbslose zu kümmern, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld am höchsten ist, könnte bedeuten, dass die PSAs sich in die Kette der Promotions-, Trainings- und Feststellungsmaßnahmen einreihen, mit denen die BA sich verspricht, die angestrebte Eingliederungsquote von 70% zu erreichen. Während die Aufnahme von Erwerbslosen in eine PSA eher niedrig bezahlt werden soll, wird die Übernahme in einen Entleihbetrieb von den Arbeitsämtern großzügig honoriert.
Am Ende findet eine Rosinenpickerei statt. Im Facharbeiter- und akademischen Bereich wird es zu Dequalifizierungsprozessen kommen, die übrigen Erwerbslosen haben mit verschärfter Ausgrenzung zu rechnen.

Tarifverhandlungen

Da die BA es abgelehnt hat, gesonderte Tarifverhandlungen für die PSAs zu führen, ging es dem DGB bei den Verhandlungen darum, auf zentraler Ebene mit den Verbänden der Leiharbeitsbranche einen Flächentarif auszuhandeln. Regionale Tarifverhandlungen sollten ausgeschlossen bleiben. Der Zeitrahmen ist durch das Hartz-Gesetz vorgegeben. Es gibt eine Übergangsfrist bis Ende 2003, in der sowohl das alte AÜG als auch die bereits bestehenden Tarifverträge mit Verleihfirmen noch Bestand haben. Doch sollen bis Anfang März 2003 schon die ersten Ergebnisse vorliegen, so Reinhard Dombre vom DGB.
Am 30.1.2003 fanden die ersten Gespräche über einen bundesweiten Rahmentarif für die Leiharbeitsbranche statt. Auf Seiten des DGB wurde eine Tarifgemeinschaft der Einzelgewerkschaften gebildet, von den Leiharbeitgebern stiegen Vertreter der beiden Verbände BZA und IGZ mit ein. Doch schafften diese es nicht, ebenfalls eine Tarifgemeinschaft zu bilden. Denn der BZA, der von sich als dem "mit Abstand größten" Verband spricht, beansprucht die Führerschaft. Dass die Gewerkschaften deshalb getrennte Gespräche mit den beiden Verbänden führen wollten, stellte für den BZA-Tarifexperten Jürgen Uhlemann "eine Provokation" dar.
Schließlich führte der DGB doch getrennte Gespräche, am 6.2.2003 mit dem BZA und am 8.2.2003 mit der IGZ. Am 18./19.2.2003 sollte es dann zu ersten Ergebnissen kommen.
Der BZA besteht schon seit 30 Jahren und hat nach eigenen Angaben mehr als 1500 Mitgliedsbetriebe, darunter auch Randstad und Adecco; die Interessengemeinschaft deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) hat sich erst im letzten Jahr konstituiert und vertritt 860 zumeist kleinere Firmen.

Erwerbslosenproteste

Die einzige Regelung, die im Gesetz ein Abweichen vom Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ermöglicht, bezieht sich auf die ersten sechs Wochen, in denen Leiharbeitnehmer, die zuvor erwerbslos waren, ein Nettoentgelt in Höhe ihres Arbeitslosengeldes erhalten. Weitergehende Unterschiede, etwa eine sechs- bis zwölfmonatige Abweichung vom Gleichheitsgrundsatz, wie sie der IG BCE-Chef forderte, wären Sache eines Tarifvertrags.
Das ist der Grund, warum beim ersten Verhandlungsgespräch zwischen DGB- Gewerkschaften und Leiharbeitsverbänden am 30.1.2003 Gewerkschafter von Ver.di und IG Metall aus Offenbach, Vertreter von Erwerbsloseninitiativen aus Oldenburg, Wilhelmshaven und Bremen sowie Kollegen aus Münster, Bochum, Frankfurt am Main, München und Hannover vor dem Tagungsort der Gespräche, dem Gewerkschaftshaus der IG BCE in Hannover, vehement einforderten, dass es keinen Tarifvertrag zur Leiharbeit geben dürfe. Stattdessen solle das Hartz-Gesetz gekippt und gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden. Außerdem forderten sie Mitsprache für Erwerbslose und mehr Tranzparenz bei den Tarifverhandlungen.
Der DGB-Verhandlungsführer Reinhard Dombre versicherte, für die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit zu streiten. Es gebe jedoch Verhandlungsdruck, vor dem 1.4.2003 müssten Ergebnisse erreicht werden. Zusätzlicher Druck war entstanden, weil die christlichen Gewerkschaften in NRW mit einzelnen Leiharbeitsfirmen schon einen Tarifvertrag abgeschlossen haben. In diesem ist eine Abweichung vom Prinzip der gleichen Bezahlung für die ersten 37 Wochen eines Leiharbeitsverhältnisses festgeschrieben.
In den ersten Verhandlungen zeigten sich die Gewerkschaften schon dahingehend verhandlungsbereit, dass sie für schwer vermittelbare Menschen wie Langzeitarbeitslose einen niedrigeren Einstiegstarif akzeptieren wollten. Diesen wollte Jürgen Uhlemann, BZA-Verhandlungsführer, allerdings zur Regel machen, denn seiner Meinung nach hat der überwiegende Teil der Leiharbeiter ein Vermittlungshemmnis — schon deswegen, weil sie älter seien, keine Ausbildung hätten oder zuvor arbeitslos waren.
Bei Abfassung des Artikels lagen die Ergebnisse der Verhandlungen noch nicht vor. Vorstellbar wäre, dass am Ende nur die Menschen in den Genuss des Prinzips der gleichen Bezahlung kämen, die zuvor nicht erwerbslos waren, vielleicht auch noch nicht über 50 Jahre alt sind und die nicht nur für kurze Zeit in einer Leiharbeitsfirma arbeiten. Doch bekanntlich liegen mindestens 60% der Leiharbeitsverhältnisse unter drei Monaten. Und mehr als die Hälfte der Leiharbeitnehmer war vorher erwerbslos. Dann blieben für die meisten Leiharbeitskräfte also nur Dumping-Tariflöhne übrig.
Am 1.4.2003 werden die PSAs flächendeckend eingeführt. Für diesen Tag hat das bundesweite Anti-Hartz-Bündnis Proteste angekündigt. Mögliche inhaltliche Schwerpunkte sollen sein: Verdrängung regulärer Arbeit durch Leiharbeit; Gefahr von Lohndumping durch "Billigtarife", die den gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aushebeln; Pflichtarbeit für Arbeitslose "zum Nulltarif" in den ersten sechs Wochen.

Wolf Herzberg

Nähere Infos zu geplanten Aktionen vor Ort unter www.labournet.de.


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