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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 11

Spielwiese UNO

USA steuern vollen Kurs auf Krieg

Es war eine Schmierenkomödie, die US-Außenminister Colin Powell am 5.Februar in der Sondersitzung des UN- Sicherheitsrats aufführte. In seiner etwa einstündigen Rede wollte er "neue Beweise" vorlegen, dass der Irak im Besitz von Massenvernichtungswaffen sei und versuche, diese vor den Inspektoren der UNO-Kontrollbehörde Unmovic zu verbergen; überdies unterhalte er Kontakte zum Terrornetzwerk Al Qaeda. Doch Powells "Beweise" basierten allesamt auf anonymen, zum größten Teil obskuren Quellen, bloßen Behauptungen und offensichtlichen Lügen.
Powell behauptete, der Irak habe am 22.Dezember 2002 Material aus dem angeblichen Waffenlager al-Taji weggeschafft. Die Inspektoren freilich konnten in al-Taji keinerlei Anzeichen für derartige Aktivitäten entdecken. Überdies blieb unklar, warum die USA solche Informationen nicht, wozu sie laut UN-Resolution 1441 verpflichtet gewesen wären, schon damals an die UNO-Inspekteure weitergeleitet haben.
Powell behauptete weiter, der Irak verfüge über zwei von drei Komponenten zum Bau einer Atomwaffe und bemühe sich seit 1998, an spaltbares Material (die dritte Komponente) zu kommen, um einen Atomtest durchzuführen. Demgegenüber hatte Mohamed El Baradei, der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), in seinem Bericht vom 27.1. deutlich erklärt, es seien an den kontrollierten Stellen im Irak "keinerlei Anzeichen von nuklearer Aktivität" entdeckt worden. Auch Powells Bemerkung, der Irak sei zum Teil im voraus von den Kontrollen informiert gewesen, wurde von UNO-Chefinspektor Hans Blix in seinem Bericht vom 14.2. zurückgewiesen: "Alle Inspektionen wurden ohne Vorankündigung durchgeführt, und der Zugang wurde fast immer sofort gewährt. In keinem Fall haben wir überzeugende Beweise gesehen, dass die irakische Seite im voraus wusste, dass die Inspektoren kommen würden."
Ausführlich berichtete Powell auch über angebliche mobile Laboratorien zur Herstellung biologischer Kampfstoffe. 18 Lkw sollen entsprechend ausgerüstet worden sein. Ausgesprochen merkwürdig daran ist, dass bisher noch niemand ein solches Labor gesehen hat. Powells Darstellung beruht im Wesentlichen auf den Aussagen von irakischen Überläufern, die teilweise dem Iraqi National Congress nahe stehen, an sich bereits eine problematische Quelle.
Der Mikrobiologe Raymond Zilinskas, selbst ein ehemaliger UN-Waffeninspekteur, erklärte gegenüber der Washington Post vom 6.2., solche mobilen Laboratorien könnten zwar theoretisch funktionieren, würden aber in der Praxis große Probleme aufwerfen, insbesondere wegen der Entstehung enormer Mengen von hochgiftigem Müll. Und Scott Ritter, Waffeninspekteur im Irak von 1991 bis 1998, berichtete Anfang Februar in einem Interview mit der japanischen Nachrichtenagentur Kyoto News, die mobilen Laboratorien seien nur eine Gedankenspielerei der Inspektoren aus den 90er Jahren: "Wir haben uns eines Tages überlegt: ,Wenn wir Iraker wären, wie würden wir die Produktion biologischer Waffen verbergen? Wir würden sie auf Lastkraftwagen laden…‘ Das Problem ist, man sucht etwas, wovon man keinen Anhaltspunkt hat, dass es existiert, aber indem man seine Existenz behauptet, erschafft man seine Existenz."
Ritter kommt zu dem Schluss: "Man kann nicht erwarten, dass die Inspektoren diese 18 Lkw finden werden, diese Lkw existieren nicht."

Irak und Al Qaeda

Zu den absurdesten Passagen in Powells Rede gehören jene, in denen er versucht, eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und dem Terrornetzwerk Al Qaeda herzustellen. Das Verbindungsglied soll die Gruppe Ansar al Islam sein. Diese Konstruktion ist absolut unsinnig, ist doch der Sturz des Regimes in Bagdad das erklärte Ziel dieser Gruppe, die zudem im kurdischen Nordosten des Irak, also außerhalb des Einflussbereichs Saddam Husseins, operiert. Der Führer von Ansar al Islam, Mullah Krekar, lebt ganz legal und unbehelligt in Norwegen. Wenn sich also die irakische Regierung eines Kontakts mit Al Qaeda schuldig gemacht hat, müsste das gleiche auch für die Regierung in Oslo gelten — bisher ist allerdings nicht bekannt, dass die USA im Rahmen ihres "Antiterrorkriegs" planen, auch Norwegen zu bombardieren.
Ein bedeutender Teil der "Beweise", die Powell vorgelegt hat, scheint auf Aussagen von US-Gefangenen aus dem Afghanistankrieg zu basieren. Über die Behandlung dieser Gefangenen berichtete am 27.12.2002 die Washington Post: "Zeitweise werden sie in unangenehmen, schmerzvollen Stellungen gehalten und durch ein 24-stündiges Bombardement mit Licht vom Schlaf abgehalten … Diejenigen, die kooperieren, werden belohnt … Einige, die nicht kooperieren, werden ausländischen Geheimdiensten übergeben … deren Folterpraxis durch die US-Regierung und Menschenrechtsorganisationen dokumentiert ist."
Man kann sich vorstellen, dass diese Gefangenen jede gewünschte Aussage machen, nur um nicht an die Geheimdienste Ägyptens, Saudi-Arabiens oder eines anderen US-Verbündeten ausgeliefert zu werden.

Kriegsvorbereitungen abgeschlossen

Es fällt schwer, zu glauben, dass auch nur einer der im UN-Sicherheitsrat anwesenden Vertreter der Atommächte und der zeitweise dort geduldeten Staaten ohne Atomwaffenbesitz Powells "Beweise" ernst nehmen konnte. Aber wahrscheinlich versteht man Powells Rede falsch, wenn man glaubt, ihr Ziel sei gewesen zu überzeugen. Vielmehr handelte es sich offensichtlich um die kaum verhüllte Botschaft, dass man nun endlich den Krieg gegen den Irak beginnen wolle.
Es scheint, dass die US-Regierung im Spätsommer 2002 zu dem Entschluss gekommen ist, den Irakkrieg nicht nach dem Vorbild der Afghanistan-Operation, also mit relativ wenigen US-Truppen, einem massiven Bombardement aus der Luft und einheimischen Hilfstruppen am Boden durchzuführen. Stattdessen plante sie eine groß angelegte Invasion und eine längerfristige Besetzung des Irak.
Das bedeutete aber auch, dass das US-Militär mehr Zeit brauchte, um Truppen in ausreichender Zahl in die Region zu bringen. Die Kriegsplaner in Washington hatten daher nichts zu verlieren, als sie sich an die UNO wandten. Im Gegenteil, die Resolution 1441 schien den Drohungen gegen den Irak eine gewisse Legitimation zu geben.
Als willkommener Nebeneffekt bot die UNO-Debatte Washington die Möglichkeit, die EU als potenziellen Konkurrenten in der internationalen Politik zu schwächen. So öffnet auch die nur zwei Tage nach der größten internationalen Friedensdemonstration der Geschichte verabschiedete Erklärung der europäischen Staats- und Regierungschefs de facto den Weg zu einer Unterstützung der US-Kriegsposition.
"Bagdad sollte sich keine Illusionen machen", heißt es da, "es muss sofort und vollständig abrüsten und kooperieren … Das irakische Regime wird allein für die Folgen verantwortlich sein, wenn es fortfährt, den Willen der internationalen Gemeinschaft zu ignorieren." Zugleich wird ein Krieg "als letztes Mittel" nicht mehr ausgeschlossen.
Eine zweite Resolution will die Bush-Regierung zusammen mit ihren Verbündeten Großbritannien und Spanien wahrscheinlich nach den nächsten Inspektorenberichten Anfang bis Mitte März vorlegen. Insbesondere Blair und Aznar brauchen aus innenpolitischen Gründen unbedingt eine solche Resolution, da ihnen klar ist, dass sie für ihre Politik keine Mehrheit haben.
Ein Entwurf für eine solche Resolution wurde von den Regierungen der drei Länder bereits am 23.2. vorgelegt. Parallel hierzu hat die französische Regierung ein Memorandum ausgearbeitet, worin dem Irak konkrete Zielvorgaben gesetzt werden, die innerhalb festgelegter Fristen erfüllt werden sollen.
Auch dieses von Deutschland und Russland unterstützte Memorandum ist natürlich ganz klar eine ultimative Drohung. Auf seiner Grundlage könnte ein Stichtag gesetzt werden, an dem der Sicherheitsrat über Bagdads "Kooperationsbereitschaft" urteilen muss. Sollte dieses Urteil negativ ausfallen, ließe sich dann eine völkerrechtliche Begründung für einen Krieg gegen den Irak konstruieren.
Auch Außenminister Fischer hat Ende Februar vor dem grünen Länderrat die Anwendung von Gewalt gegen den Irak als "allerletztes Mittel" nicht ausgeschlossen. Die FAZ kommentierte dies ganz richtig: "Diese Rhetorik klingt, als wollte man schon mal eine Schuldzuweisung an den Irak vorbereiten, mit der sich dann auch begründen ließe, dass sich Deutschland im Sicherheitsrat … einem harten Vorgehen gegen den Irak nicht gänzlich widersetzte."

Harald Etzbach

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