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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 15

"Antiterrorkampf" der EU

Repression gegen sozialen Widerstand

Der sog. Kampf gegen den Terror, der in Europa im verstärkten Maße seit dem 11.September tobt, entwickelt sich zunehmend zu einem Instrument sozialer Überwachung und gesellschaftlicher und rassistischer Repression. Wirklich neu und überraschend ist diese Entwicklung nicht, schließlich können etliche europäische Staaten, allen voran die Bundesrepublik — Stichworte: Parteiverbote, RAF, Antiatomkraftbewegung — eine lange Tradition im Kampf gegen sozialen Widerstand und Proteste aufweisen.
Auch internationale Organisationen führen den "Kampf gegen den Terror" bereits lange auf ihrer Agenda, so die UN seit dem Anschlag auf die israelische Olympia-Mannschaft in München 1972, die G7 mit ihrem 25-Punkte- Programm aus dem Jahre 1998 oder die NATO seit dem Jahr 1999. Eine neue Qualität erhält hingegen die zunehmende Internationalisierung dieser Politik, die sich von der Europäischen Union, über die UNO bis hin zu interregionalen Kooperationen, etwa zwischen den USA und der EU, erstreckt. Bereits im Oktober 2002, ein Jahr nach den Anschlägen von New York und Washington, meldeten 180 Staaten den Beschluss von "Antiterror"maßnahmen an den UN-Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung (CTC).

Reichhaltiges Arsenal

Der nach dem 11.September hierzu von der EU ohne demokratische Kontrolle aufgestellte 64-Punkte-"Fahrplan" führte zu einer enormen Beschleunigung der Entscheidungsverfahren innerhalb der Union. Während nationale Vorbehalte über Jahrzehnte hinweg die Herausbildung einer gemeinsamen Innen- und Justizpolitik bremsten, werden nun "unter dem Druck der Ereignisse" Polizei- und Justizapparate, Grenzüberwachungssysteme und Geheimdienstkooperationen in einer nie gekannten Geschwindigkeit weiter ausgebaut.
Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission enthielt eine Terrorismusdefinition, die bereits "Beschädigungen öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, Infrastruktureinrichtungen, öffentlicher Plätze und von Eigentum (privatem wie öffentlichem)" als unter Umständen terroristische Straftaten nannte. "Akte städtischer Gewalt" wurden — Genua lässt grüßen — ausdrücklich aufgenommen.
Das Ziel der Gruppen sollte hierbei in der "Einschüchterung, grundlegenden Veränderung oder Zerstörung der politischen, ökonomischen oder sozialen Strukturen dieser Länder" liegen. Durch massiven Druck der skandinavischen Länder und der Niederlande wurde zumindest der "Vorsatz" in den Passus eingefügt.
Konkret findet diese Politik ihren Niederschlag in der Übernahme der UN-Liste der "Terrorverdächtigen" im Dezember 2001 und der Aufstellung einer eigenen Liste der EU. Die EU-Liste entstand innerhalb von 17 Tagen: Am 10.Dezember 2001 forderte der Europäische Rat Allgemeine Angelegenheiten die Regierungen auf, bis Jahresende Vorschläge einzureichen; zwischen den Feiertagen wurde die Liste im Umlaufverfahren von den Regierungen beschlossen. Erst im Nachhinein wurde das EU-Parlament "beteiligt", es konnte nicht mehr tun, als eine 27-seitige Liste von zum erheblichen Teil völlig unbekannten Einzelpersonen und Gruppierungen durchzuwinken.
Es liegt auf der Hand , dass in solch einem Zeitraum keine "seriöse" Untersuchung erfolgen kann, die europäische Liste erscheint daher auch als Generalabrechnung der EU-Regierungen mit missliebigen Personen und Organisationen. Nachdem die Bundesregierung jahrelang ohne Erfolg versuchte ein EU-weites PKK-Verbot durchzusetzen, konnte sie die — mittlerweile umbenannte — Organisation zumindest über das europaweite Einfrieren der Geldmittel lähmen. Die niederländische Rechtsregierung beglich ihre Rechnung mit der Communist Party of the Philippines (CPP) und deren im niederländischen Asyl lebenden Berater José María Sison, Spanien setzte die ETA auf die Liste, Irland die IRA.
Deutlich wird, dass vor allem linksgerichtete und/oder separatistische Organisationen erfasst werden. Die Konstruktion, alle Menschen aus der muslimischen Welt unter Generalverdacht zu stellen, an terroristischen Aktionen beteiligt zu sein oder diese zu unterstützen, beinhaltet rassistische Züge, die sich etwa in der Rasterfahndung, dem speziellen Herausfiltern von Daten männlicher Muslime niederschlägt.
Deren Verbindung zum Al-Qaeda-Netzwerk zu beweisen, scheint unmöglich zu sein — jedenfalls verweist die US-Regierung lediglich auf geheime Unterlagen, die aus geheimdienstlichen und ermittlungstechnischen Gründen nicht herausgegeben werden könnten. Die Verbindung zu den genannten Organisationen aus anderen Zusammenhängen herzustellen, erscheint als reine Willkür.
Durch die Überwachung und Speicherung aller Kommunikationsdaten, die die EU- Kommission Ende letzten Jahres vorgeschlagen hat, die Stärkung der Geheimdienste, die Zusammenarbeit zwischen CIA und Europol und zwischen der europäischen Justiz (Eurojust) und US-amerikanischen Behörden werden alle Bereiche und Menschen erfasst, unabhängig davon, ob sie unter die "Terrordefinition" fallen oder nicht.

Rechtsruck

Diese Entwicklung im Bereich "Innen und Justiz" stellt keineswegs ein isoliertes Phänomen dar, vielmehr ist sie Ausdruck eines allgemeinen Rechtsrucks der EU (siehe auch den Beitrag von Klaus Dräger in SoZ 2/2002). Die Grundtendenz ist klar: die neoliberale und kapitalistische Wirtschaftsdoktrin und konservativ-autoritäre Staatsziele, die auf transnationale oder internationale Organisationen übertragen werden, sollen weltweit durchgesetzt werden.
Der permanente "Krieg gegen den Terror" ist auf dem sicherheitspolitisch- militärischen Feld das Vehikel zur Durchsetzung dieser Doktrin. Die Bush-Regierung erteilte ihren Geheimdienstleuten eine "Licence to kill", die sie bemächtigt Verdächtige zu eliminieren.
Durch Auslieferungsabkommen zwischen den USA und der EU, toleriert die Union (indirekt) die Todesstrafe für "Terrorverdächtige". Alte Trennlinien verschwinden: kriminalisiert wird mittlerweile alles, was "fremd" und bedrohlich wirkt (oder wirken soll).
Die seit Jahren, insbesondere seit dem Golfkrieg 1991 und den Kriegen im ehem. Jugoslawien zu verzeichnende Medienpropaganda und -kontrolle ist ein weiteres Glied in dieser Kette, die den Menschen die Alternativlosigkeit dieser Vorgehensweise "verdeutlichen" soll.

Dirk Krüger

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