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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2003, Seite 17

Ein demokratisches System für ganz Palästina

Interview mit Ahmad Saadat (PFLP)

Das im Folgenden auszugsweise wiedergegebene Interview mit Ahmad Saadat, der seit 2001 als Nachfolger des einem israelischen Terroranschlag zum Opfer gefallenen Abu Ali Mustafa Generalsekretär der linken Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) ist, führte Julia Deeg. Saadat ist auch Mitglied des Zentralkomitees der PLO.

Frage: Wofür steht die PFLP?

Ahmad Saadat: Die PFLP ist eine linke demokratische Partei, die auf nationaler Ebene für eine demokratische, menschliche Lösung des arabisch-israelischen Konflikts eintritt, für einen demokratischen Staat in ganz Palästina, dessen politisches System auf der Gleichberechtigung seiner Bürger beruht, einen Staat, frei von religiöser, rassischer und sexueller Diskriminierung. Dies ist das strategische langfristige Ziel, das den Konflikt wirklich beenden, die Ursachen der Gewalt ein für alle Mal beheben und die Gleichberechtigung aller Menschen in Palästina garantieren würde.
Doch weil wir in der PFLP wissen, dass die Machtverhältnisse auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene diese Lösung vorläufig nicht zulassen, sehen wir in einer Lösung auf der Basis internationaler Resolutionen, die die Besatzung der palästinensischen Gebiete von 1967 inkl. Jerusalems beendet und die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts sowie die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge entsprechend der UN-Resolution 194 (von 1949) garantiert, einen ersten Schritt, um dieses strategische Ziel [des binationalen Staates] zu erreichen. Denn damit könnte die Gewalt gestoppt und eine Tür für einen politischen, kulturellen, menschlichen Dialog eröffnet werden, um schließlich ein politisches demokratisches System für ganz Palästina aufzubauen.
Denn eine Separation ist aufgrund der historischen und demografischen Fakten nicht möglich. Andererseits darf keine Lösung erzwungen werden, die das jüdische demografische Problem auf Kosten der Palästinenser oder umgekehrt löst. Dies ist ein kompliziertes Problem, für das nur dann Lösungsansätze entwickelt werden können, wenn die zionistische militärische Besatzung, die unser Volk unterdrückt und seine Weiterentwicklung verhindert und ihm sein politisches Selbstbestimmungsrecht verwehrt, beendet wird.
Auf regionaler Ebene sind wir als Palästinenser Teil einer arabischen Nation, die historische Wurzeln hat und deren Teilung in kleinere Nationalstaaten durch die Kolonialmächte die Bedingungen für die soziale und kulturelle Entwicklung beeinträchtigt hat, und zwar durch die Konzentration der Ressourcen in Teilen, die von reaktionären, geschlossenen, autokratischen Systemen beherrscht werden, die diese Ressourcen verschwenden und ihre Abhängigkeit vom kapitalistischen imperialistischen System vertiefen, während es in anderen Teilen brutale, diktatorische Regime gibt. Diese Regime werden von bürgerlichen Klassen gestützt, die die Rolle des Komplizen eingenommen haben, was ihre Beziehungen mit dem internationalen System und der weltweiten Arbeitsteilung angeht.
Die Logik der Geschichte besagt, dass diese Nation ihren natürlichen Weg zur Einheit gehen wird — genauso wie die europäischen Staaten sich zu einer demokratischen Einheit zusammengeschlossen haben und die Voraussetzungen für ihre Entwicklung durch den demokratischen Kampf geschaffen haben. Wir arbeiten daran, diese Einheit zu erreichen und ein modernes, demokratisches, fortschrittliches arabisches System zu schaffen, eine Art Renaissance der arabischen Nation mit guten Beziehungen zu den anderen Nationen auf der Basis der Gleichberechtigung.
In diesem Sinne sind wir praktisch Teil des Kampfes der Völker dieser Welt und aller fortschrittlichen Kräfte für Frieden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Wir kämpfen für die Begründung einer menschlichen Kultur, die die nationalen Besonderheiten und Interessen respektiert und gleichzeitig an der Konstituierung einer internationalen Gesellschaft mitarbeitet, die frei ist von Krieg, Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung.
Unsere natürliche politische Heimat sind auch alle internationalen Zusammenschlüsse von Kräften, die gegen die imperialistische Globalisierung vorgehen, die auf der Unterdrückung armer Völker, der Zerstörung der Umwelt sowie darauf beruht, für Krieg, Mord und Gewalt den Boden zu bereiten.
In diesem Sinne sind wir auch eine volksnahe Partei, die den Kampf auf der Grundlage der nationalen Befreiung mit dem Ziel des Aufbaus einer sozialen, demokratischen und modernen palästinensischen Zivilgesellschaft führt. Dieses Ziel wollen wir durch die Teilnahme aller Institutionen der Zivilgesellschaft (von Jugend-, Menschenrechts-, Gesundheits-, Landwirtschafts-, Studenten-, Frauenorganisationen und von Gewerkschaften) erreichen. Wir glauben an die freie Wahl der Menschen und an deren politische Verantwortung, die Strategien und Programme des politischen, demokratischen und sozialen Kampfes selbst zu bestimmen.

Frage: Vor wenigen Monaten hat die EU die PFLP auf die sog. Terrorliste für Gruppen, deren politische Aktivitäten in der EU nicht toleriert werden, gesetzt. Was sind die Gründe und welche Konsequenzen können sich daraus ergeben?

Ahmad Saadat: Ich weiß nicht, mit welchen Maßstäben die EU die Entscheidung getroffen hat, die PFLP auf die schwarze Liste terroristischer Organisationen zu setzen.
Sind es die Prinzipien, wie sie sich in internationalen Gesetzen, in der Erklärung der Menschenrechte und in den Genfer Konventionen niedergeschlagen haben? Wir sehen uns keinesfalls im Widerspruch zu diesen Prinzipien. Ganz im Gegenteil, wir glauben, wir sind in unserer Arbeit sehr im Einklang mit diesen Prinzipien, Gesetzen und Vereinbarungen. Wir haben diese auch immer respektiert in unserem Kampf um Freiheit und kulturelle Identität, obwohl uns seit mehr als 55 Jahren in diesem Kampf extrem unverhältnismäßige Bedingungen aufgezwungen werden, und trotz des erbitterten Vernichtungskriegs und der brutalen Zerstörung, die Israel und seine Kriegsmaschinerie gegen uns führt und betreibt.
Oder ist es eine Antwort auf den Schrei von Präsident Bush: "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns"? — dieser Schrei, der vielleicht bald alle europäischen Staaten und Völker und sogar die Teile des amerikanischen Volkes selbst, die einen Krieg gegen den Irak ablehnen, auf die Liste der "Terror unterstützenden Staaten und Völker" setzen wird?
Oder ist es die israelische Definition, dass, wer immer sich gegen die Besatzung auflehnt, ein Terrorist ist oder bestenfalls den Terror unterstützt?
Ehrlich gesagt sehen wir darin nur Willkür und eine voreingenommene Sicht auf den Konflikt, aber auch einen Abschied von internationalen Prinzipien und Vereinbarungen. Hier wird die verwirrende zionistische Lesart bedient, die Israel als Opfer des Terrors präsentiert, ohne die Fakten und die Listen der Opfer zu überprüfen. Es werden nicht die Kriegsbedingungen überprüft, die den Palästinensern aufgezwungen werden. Nicht, wie viele palästinensische Kinder an den Checkpoints erschossen werden, oder auf den Demonstrationen. Kinder mit Steinen, die die Panzer nicht einmal ankratzen können. Nicht, wie viele Kinder, Frauen und Alte zuhause durch Flugzeug- und Panzerangriffe ermordet werden. Nicht, wie viele politische Aktivisten liquidiert oder verhaftet werden. Denn die zionistische Lesart, die von den USA übernommen wird und die den israelischen Krieg gegen uns als eine Art Selbstverteidigung auffasst, macht sich auch in Europa breit, wenngleich die Politik der EU in der Form etwas anders ist, nicht aber im Inhalt.
Vielleicht wurde die PFLP auf die schwarze Liste der EU gesetzt, weil sie einen rassistischen Minister ermordet hat, der für mehrere Massaker durch die Palmach-Milizen, für die er gearbeitet hatte, verantwortlich war, offen für unsere Vertreibung im Rahmen einer ethnischen Säuberung eintrat und an den Entscheidungen zur Ermordung von Frauen, Kindern und politischen Anführern (u.a. des Genossen Abu Ali Mustafa) beteiligt war. Aber wenn eine Logik besagt, dass, wer eine israelische Persönlichkeit ermordet, vor Gericht gestellt, bestraft und als Terrorist abgestempelt werden soll, wer soll denn dann der Gerechtigkeit wegen oder wenigstens aus Ausgewogenheit diejenigen vor Gericht stellen, die ein ganzes Volk und seine gesamte Führung ausrotten wollen?
Ich möchte an dieser Stelle die EU auffordern, die im Zusammenhang des Konflikts maßgeblichen Fakten noch einmal zu bewerten und dabei die tatsächliche Beschaffenheit unseres Kampfs in Betracht zu ziehen.

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