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Das GATS-Abkommen verändert die europäische Bildungslandschaft. An die Stelle von Demokratie rückt
Wettbewerb, statt guter Bildung für alle wird es bald heißen: für alle, die es sich leisten können. Doch wo ist zwischen dem Wust an
Bildungsreformen der Nutzen für den Menschen, dem die Politik verpflichtet ist? Geht es nicht in Wirklichkeit nur darum, "die Chance auf ein
großes Geschäft zu haben", wie EU-Handelskommissar Pascal Lamy die GATS-Verhandlungen beschrieb, für die "wir in den
sauren Apfel beißen müssen"?
Tod der Bildung: Als Ware hat Bildung nichts mehr mit Selbstbestimmung zu tun, nichts mit
Urteilskraft, schon gar nichts mehr mit der Fähigkeit, verantwortlich zu werten und zu handeln. Sie wird zum Gegenteil dessen, was ihre Würde
ausmacht.
Derzeit befinden wir uns an einem Punkt, an dem immer wieder von dringend anstehenden
Veränderungen im Bildungsbereich die Rede ist, auch Politiker nutzen dieses wichtige Thema zu Wahlkampfzwecken, oft ohne jegliche Qualifikation.
Jeder weiß, wovon er spricht, schließlich sind wir alle mal zur Schule gegangen, und wer braucht schon Bildungsexperten?
Selbstständige Schule, Studiengebühren, Schulsponsoring nur wenige
Beispiele, die für den allgemeinen Trend stehen, unser öffentliches Bildungssystem vermeintlich zukunftsfähig zu gestalten. Diese
Zukunftsfähigkeit bedeutet bei näherem Hinsehen allerdings nur eine Abhängigkeit der Lehranstalten von wirtschaftlich orientierten
Unternehmen, denn alle diese Modernisierungsvorschläge laufen darauf hinaus, dass die vormals von staatlicher Seite finanzierte Bildung zu einer von
Konzernen geförderten und somit auch kontrollierten Ausbildung wird. Dass unter solchen Vorzeichen wohl nicht mehr lange von unabhängiger
Lehre und Forschung gesprochen werden kann, liegt auf der Hand.
Der Hang zur Kapitalisierung von Bildung ist nichts Neues; besonders in Ländern wie
den USA, in denen die öffentlichen Bildungseinrichtungen seit etlichen Jahren systematisch kaputtgespart werden, viele Familien enorme Summen
für eine angesehenere private (Hoch-)Schulbildung ihrer Kinder ausgeben müssen, bleibt vielen öffentlichen Schulen in ihrer finanziellen Not
nichts anderes übrig, als Sponsoringverträge mit Konzernen abzuschließen. Welche obskuren Auswüchse das annehmen kann, zeigt ein
Beispiel aus den USA, das für uns, die wir ein primär öffentliches und weitgehend unabhängiges Schulsystem gewohnt sind, besonders
abwegig klingen muss.
Mehr als 12000 US-amerikanische Schulen erhofften sich einen Weg aus ihrer chronischen
Finanzkrise, indem sie Kooperationsverträge mit dem Privatsender Channel One abschlossen, der ihnen die multimediale Ausstattung der Schulen sicherte.
Als Gegenleistung sind die Schulen verpflichtet, den Schülern täglich einen zwölfminütigen TV-Beitrag zu zeigen, der auch zwei
Minuten Werbung enthält. Diese Sendung ist Unterrichtszeit, d.h. dass unentschuldigtes Fehlen genauso geahndet wird, als handle es sich um
regulären Unterricht. Laut Vertrag dürfen die Schüler noch nicht einmal ohne Erlaubnis zur Toilette gehen.
Durch Pilotprojekte wie die "Selbstständige Schule" in NRW oder "Modus 21" in Bayern wird diese Entwicklung auch
hierzulande forciert. Wobei die Bayern diesmal die Ehrlichen sind, da sie auch ganz offiziell ihrem Projekt den Untertitel "Modell Unternehmen Schule im
21.Jahrhundert" geben. Bei der "Selbstständigen Schule", die von Experten auch als "Schule à la Bertelsmann" betitelt
wird, sieht dies anders aus. In einem umfangreichen, aber oberflächlichen Hochglanzwerbeprospekt pries das Bildungsministerium NRW gemeinsam mit
einem angeblich uneigennützigen Partner, der Bertelsmann-Stiftung, die Vorteile größerer Autonomie an, doch ließen sich nur 238 der
7280 allgemeinbildenden Schulen für dieses fragwürdige Projekt gewinnen. Ein großer Erfolg so die Bertelsmann-Stiftung und die
frühere Ministerin Behler; geplant waren jedoch 400 Schulen, und auch die 238 konnten nur mit großer Überredungskunst und
zusätzlichen Vergütungen gewonnen werden.
Dass Bertelsmann die Finger nach der deutschen Bildung ausstreckt, wird spätestens seit
Gründung des gemeinnützigen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) deutlich. Diese 1994 von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
und der Bertelsmann-Stiftung gegründete, laut Eigenwerbung weisungsfreie, zwar von einem Privatkonzern finanzierte, jedoch ideologisch von diesem
völlig unabhängige Organisation arbeitet an "Modellen zur Modernisierung der deutschen Hochschulen". Profilbildung und
Wirtschaftlichkeit der Hochschulen, Einführung von allgemeinen Studiengebühren sowie der Wettbewerb unter den Hochschulen das sind
die Arbeitsfelder des CHE, um dem großen Bruder Bertelsmannkonzern die besten Einstiegschancen in den Bildungsmarkt zu bieten.
Laut GATS-Verhandlungen steht der weltweite Einstieg in das durchkapitalisierte
Bildungssystem kurz bevor; er verspricht Großkonzernen ein grandioses Geschäft. Bildungsdienstleister aus aller Welt drängen auf den noch
kaum erschlossenen europäischen Markt, und GATS lädt sie alle ein teilzuhaben. Denn ein gutes öffentliches Bildungssystem wird nach
Abschluss des GATS-Abkommens gar nicht mehr finanzierbar sein, gebietet es den Regierungen doch eine Gleichbehandlung aller Mitbewerber, was
heißt, dass staatliche Subventionen zu gleichen Teilen an staatliche und private Bildungseinrichtungen gegeben werden müssen. Allerdings wird der
Bildungsetat, der seit Jahren regelmäßig gekürzt wird, nicht größer, nur weil plötzlich mehr Schulen aus diesem Topf
finanziert werden müssen.
Zusätzlich zu dieser Finanzspritze aus Steuergeldern haben Privat(hoch-)schulen
natürlich auch die Möglichkeit, ihr Budget durch Erhebung von Schulgeld oder Studiengebühren und mit Hilfe finanzstarker Partner
aufzustocken. Dieses Sponsoring hat seinen Preis. So wäre es möglich, dass in der McDonalds-Universität anstelle der Mensa ein
schickes Fast-Food-Restaurant eingerichtet wird, und bei einer von einem Stromanbieter geförderten Schule können die Risiken der Atomkraft ganz
sang und klanglos vom Unterrichtsplan verschwinden, weil eine staatliche Regulierung der Lehrinhalte laut GATS einen wettbewerbswidrigen Eingriffe in die
Marktwirtschaft darstellt.
Auch der Trend zum Abbau der demokratischen Strukturen wird sich fortsetzen. Bereits vor einigen Jahren wurden den Hochschulsenaten viele
Kompetenzen entzogen, wurden den Rektoren und Dekanen übertragen, womit sich die demokratischen Universitätsstrukturen schrittweise
hierarchischen Strukturen, ähnlich denen in der freien Wirtschaft, nähern. Dasselbe Schicksal droht nun auch den ASten, so zumindest die Vorhaben
der CDU Hessen. Diese plant gemeinsam mit dem konservativen Studierendenverband RCDS und zur großen Freude der FDP, die sich schon seit Jahren
mit den Vertretungen der Studierenden anlegt und ihre Auflösung fordert, die Ersetzung der ASten durch einen studentischen Senatsunterausschuss.
Derzeit ist die Studierendenschaft eine Körperschaft des öffentlichen Rechts; bei einer Umstrukturierung wäre es jedoch ungewiss, welche
Kompetenzen die Studierenden noch erhalten würden. Von diesen Umstrukturierungen sind auch die Fachschaften als Teil der Körperschaft
betroffen, was ihre Abschaffung bedeuten könnte.
Kampflos hingenommen wird diese Entwicklung aber immer seltener. Obwohl in Deutschland
wegen der Ignoranz vieler Medien und, wie man meinen könnte, bewusstem Verschweigen der Vertragsverhandlungen die Informationen über
GATS eher dürftig sind, wird das Abkommen jetzt endlich von Gewerkschaften, ASten, Attac und anderen NGOs zum öffentlichen Thema gemacht.
Anders im europäischen Ausland, wo es bereits massive Proteste gibt. Auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz einigte man sich auf den
13.März 2003 als europaweiten Aktionstag gegen GATS. Auch auf dem European Education Forum vom 18. bis 20.9.03 in Berlin wird GATS eines der
Schwerpunktthemen sein, dort werden auch größere Proteste erwartet, weil zeitgleich und ortsnah die Europäische Bildungsministerkonferenz
tagt.
Claudia Wrobel (LASS-NRW der GEW)
Björn Kietzmann (AStA BUGH Wuppertal)
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