SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 4

Hetze gegen Gewerkschaften

Von der Sozialpartnerschaft zur Brandstiftung

Die jüngsten Angriffe gegen die Gewerkschaften aus den Reihen von CDU und FDP zeigen, dass die Bourgeoisie bei ihrer neoliberalen Offensive gegen die Arbeiterklasse die Gewerkschaften nur noch als Hindernis betrachtet.
Seit Monaten verschärfte sich der Ton zwischen CDU/CSU und FDP einerseits und den Gewerkschaften andererseits. Höhepunkte einer breit angelegten Stimmungsmache gegen die organisierte Gewerkschaftsbewegung waren die Äußerungen des früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden Merz, dass CDU-Leute aus den Gewerkschaften austreten sollten und dass die Macht der Gewerkschaften gebrochen werden müsse, und des FDP-Vorsitzenden Westerwelle, die Gewerkschaften seien eine "Plage für dies Land". Gemeinsamer Tenor der reaktionären Kampagne: "Die Gewerkschaften sind die politischen Bremser", was eine Schuldzuweisung wegen der wachsenden Arbeitslosigkeit sein sollte, und von den Verantwortlichkeiten der Unternehmen für die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ablenken sollte.
Ebenfalls gehörte zu den Vorwürfen, dass der Bundeskanzler und die SPD zu stark an die Gewerkschaften gebunden seien und daher reformunfähig wären. Es ist völlig klar, dass angesichts der krisenhaften Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft, angesichts der Aktienbaisse und des Rückgangs der Steuereinnahmen — alles Elemente, mit denen die Gewerkschaften eher nichts zu tun haben — Sündenböcke gesucht werden. Es scheint nur noch eine wirtschaftspolitische Meinung zugelassen zu sein: die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden, um die Krise zu überwinden.
Steigende Arbeitslosigkeit? Die Macht der Gewerkschaften verhindert eine schnellere Kündigung, deswegen müssen die Unternehmen jeden weiter beschäftigen und stellen keine neuen Leute ein. Entlassungen und Unternehmenszusammenschlüs-se? Die Macht der Gewerkschaften verhindert betriebsnahe Löhne und daher Lohnsenkungen zum Wohle der Arbeitenden. Zu wenig Einzahlungen in die Renten- und Krankenversicherung wegen hoher Arbeitslosigkeit? Dann also Renten runter und Zuzahlungen erhöhen, um die Beiträge zu senken, damit die Lohnnebenkosten sinken und die Unternehmen wieder Spaß an Neueinstellungen haben…
Das ist als Wirtschaftstheorie ein Witz, und jeder einigermaßen vernünftige Mensch spürt das. Aber wie in Krisenzeiten bewährt, wird auf den Schwächsten herumgehackt. Gemeint sind die Rentner und Kranken, die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger — und dann wird schon mal auf die Gewerkschaften verbal eingehauen. Nicht die Arbeitslosigkeit wird bekämpft, sondern die Einkommen der Arbeitslosen nach unten gedrückt. Nicht Entlassungen werden bekämpft, sondern die Renten gesenkt.
Wer auf die immens steigenden Einkommen und Abfindungen der Manager hinweist, auf die Steigerung der Geldvermögen, die nicht besteuert werden, auf die sinkende Steuerbelastung der Unternehmen, der führt eine Neidkampagne. Oder noch schlimmer, wie der hessische Ministerpräsident Koch über den Ver.di-Vorsitzenden Bsirske sagte: wenn man die Namen dieser Ultrareichen nenne, die sich vor Steuern und Abgaben drücken können, das wäre so wie damals, als man den Juden einen Stern umhängte. Diese üble Hetze gegen einen wahrhaftig nicht radikalen Gewerkschaftsvorsitzenden wurde unter den Teppich gekehrt — vor den Landtagswahlen war alles recht. Dabei hätte ein Aufschrei durch die Lande gehen müssen, dass ganz normale gewerkschaftliche und sozialdemokratische Forderungen verglichen werden mit der Ausrottungspolitik der Nazis gegen die Juden.
Gewerkschaftsfunktionäre müssen sich unheimlich missverstanden fühlen. Die "zurückhaltende" Lohnpolitik der letzten Jahre, die Beteiligung am Bündnis für Arbeit, das Eingehen auf die Riester-Rente, die halbherzige Zustimmung zu den Hartz-Reformen: es nützt alles nichts, sie sind die Bremser!
Es geht nicht hauptsächlich darum, Zwickel oder Bsirske in Schutz zu nehmen, sondern die Gewerkschaften gegen diese Angriffe des Kapitals zu mobilisieren. Natürlich steckt eine Strategie dahinter, die für das Kapital immer eine Rolle spielt: Schwächung der Arbeiterbewegung, ihrer Organisationen und Denunzierung der sozialen Sicherungen als Hemmnis der wirtschaftlichen Entwicklung.
Mit "Macht der Gewerkschaften" ist ja nicht das gemeint, was uns immer vorgeführt wird, nämlich die Beteiligung von Funktionären in allen möglichen Gremien und Ausschüssen. Die einzige letztlich wirksame Macht ist die Bewegung der Mitglieder für ihre Rechte und gegen die Verschlechterung ihrer Lage. Das ist das eigentliche Ziel der Polemik der rechten Politiker. Man kann sicher sein, dass dies auch vorbeugendes Sperrfeuer gegen die jetzt eigentlich anstehende Mobilisierung der Gewerkschaften gegen den Regierungskurs von Schröder und Clement war. Ob die angegriffenen Gewerkschafter dies als Chance begreifen, die Mobilisierung zu fördern, ist aber noch sehr fraglich.
Eine Rolle spielt auch die Meinungsumfrage vor einigen Wochen. Einige Zeit nach den Äußerungen von Merz und Westerwelle wurde nach der Macht der "Interessengruppen" gefragt, und es kam heraus, dass für 50% der Einfluss der Gewerkschaften, aber nur für 38% der Einfluss der Unternehmerverbände zu groß sei.
Das kann nicht ganz richtig sein: die Rede von Schröder am 14.März stellte die Verhältnisse gerade: von seinen Reformvorschlägen kam kein einziger von den Gewerkschaften, aber alle von den Unternehmern, unterstützt von der Bundesbank, aus deren Feder Schröder praktisch abgeschrieben hat.
Unabhängig von der Frage, welche Macht "die Gewerkschaften" haben: gegen die Einschnitte in die sozialen Systeme müssen die Beschäftigten, Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentner zusammen neue Macht entfalten, in und neben, mit und ohne die Gewerkschaften.

Rolf Euler

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