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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 7

Privatisieren — Strangulieren

Zur Bilanz der Privatisierungspolitik in Berlin

Die wirtschaftliche und finanzielle Situation Berlins hat sich seit zwölf Jahren stetig verschlechtert: Hatte Berlin im Jahre 1990 Schulden in Höhe von 18 Milliarden DM, sind es nun 78 Milliarden Mark. Hinzu kommt die 40-Milliarden-Mark-Garantie für Geschäfte der Bankgesellschaft. Etwa 70 Milliarden Mark zusätzlicher Verpflichtungen aus dem Wohnungsbau schlagen jährlich mit rund 3 Milliarden Mark an Zinszahlungen zu Buche.
Seit 1995 verspricht die SPD, sie werde die Finanzen ordnen und die Deckungslücke zwischen Einnahmen und Ausgaben "durch eine kontinuierliche Rückführung der Netto-Neuverschuldung" schließen und so im Rahmen "einer Spar- und Umstrukturierungspolitik aus eigener Kraft und sozial ausgewogen die Handlungsfähigkeit wiederherstellen". Bis zur Konsolidierung würden Verkäufe die Zwischenfinanzierung sichern.
Zunächst sollte das Ziel der Konsolidierung bereits zur Jahrtausendwende erreicht sein, dann 2002, dann 2009 — und nun in unbestimmter Zeit. Die Berliner vermuten Pflaumenpfingsten.
Die Privatisierung ist zum Kernstück der sog. "Sparpolitik" geworden. Für kurze Zeit wurde behauptet, die Verkäufe würden der Überbrückung finanzieller Engpässe dienen, bis man zur "Konsolidierung" gelangt sei.
In Wahrheit stand aber von Anfang an eine ideologische Position hinter der Forderung zu privatisieren. Dieses Konzept, das global angepriesen und umgesetzt wird, beschreibt der bekannteste "Unternehmensberater" Deutschlands, Roland Berger, wie folgt:
"Die hohe Staatsquote in der EU behindert Innovation und Wachstum. Sie lag im Jahre 2001 im EU-Schnitt bei 44,8% (48% in Deutschland) gegenüber 29,6% in den USA. Uns stehen nur 55% unseres Bruttoinlandsprodukts für Innovation und Wachstum zur Verfügung — den Amerikanern 70%. Branchen wie das Bankwesen, Energie, Transport, Wasserversorgung, Abwassermanagement und viele andere sind weitgehend in Staatshand. Durch Privatisierung und Liberalisierung würden sie innovativer und produktiver, könnten schneller wachsen und unsere Bürger bei niedrigeren Preisen besser versorgen. Außerdem führt die hohe Staatsquote in der EU zu einer Wohlstands- und Einkommensumverteilung."
Unmissverständlich wird hier klar, dass die Verkäufe öffentlichen Eigentums das Ziel sind. Dass diese Maßnahmen der Konsolidierung der Staatsfinanzen dienen, wird von Herrn Berger nicht einmal in Erwägung gezogen.
Da noch immer viele Politiker dieser Ideologie glauben entsprechen zu müssen und sie den Bürgern als notwendige Schritte zur Haushaltskonsolidierung darstellen, ist es Zeit, die Erfolge dieser Politik zu überprüfen. Als Erfolge betrachten wir allerdings nicht die "Einkommensumverteilung" zugunsten der von Herrn Berger beratenen Großkapitalisten.
Für uns sind Erfolge nur dann gegeben, wenn sie dem Gemeinwesen dienen.
Die Frage nach dem Ertrag der Verkäufe ist leicht zu beantworten: Es ist der Kaufpreis, den die Privaten an die Staatskasse bezahlt haben. Und der messbare "Gewinn für den Staatshaushalt" liegt im Wegfall von Zinsleistungen, weil man in Höhe dieser Erträge keine Kredite aufnehmen musste.
Von 1996 bis 2001 wurden die öffentlichen Betriebe Bewag, Gasag, die Wasserbetriebe und die GEHAG zu einem (Gesamt-)Preis von 7,9 Milliarden Mark veräußert. Das ergibt bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 5,4% rund 436 Mio. Mark jährlich. 435 Mio. Mark spart der Haushalt jährlich an Zinsen.
Zu den volks- und betriebswirtschaftlichen Gesamtrechnungen gehören allerdings die entgangenen Erträge und der dauerhafte Vermögensverlust für das Gemeinwesen.

Der Verkauf der Bewag

1997 besaß das Land noch 50,82% der Anteile. Sie wurden an drei Bieter verkauft: Für 970 Mio. Mark erwarb der Konzern Southern Company mit 21,6% die wirtschaftliche Führung; 730 Mio. Mark zahlte die VIAG für 16% der Anteile, 590 Mio. Mark die VEBA für 13% Anteile. Insgesamt erbrachte der Verkauf der Bewag für das Land 2,29 Milliarden Mark.
Die Southern, heute Mirant, versprach, Berlin zum Ausgangspunkt der Expansion eines weltweit agierenden nordamerikanischen Stromkonzerns für Osteuropa zu machen. Im Jahr 2001 zog sich Mirant aber nach Amerika zurück, nicht ohne den "abartig hohen Preis" (so die Konzern-Chefin Marce Foller) von 3,55 Milliarden Mark mitzunehmen, den Vattenfall Europe für ihren Anteil bezahlte. Gekauft hatte Southern für 970 Mio. Mark — investiert keinen Pfennig, denn schon den Anteilskauf finanzierte Southern mit einem Griff in die Bewag-Kasse. Alles, 3,55 Milliarden Mark, war Reingewinn auf Kosten Berlins.
Heute bangt Berlin: Wo wird der neue Eigentümer, Vattenfall Europe, der nun über den Hamburger Energieversorger HEW zu 89% an der Bewag beteiligt ist, seine Großkundenbetreuung ansiedeln? Und bleibt die Bewag tatsächlich auf Dauer als Regionalgesellschaft erhalten und ihr Vermögen im Unternehmen?
Die Zeichen stehen schlecht: Die Anlagen werden heute auf Verschleiß gefahren, bis die Turbinen platt sind. Wenn die Produktion zusammenbricht, macht das nichts. Vattenfall Europe verfügt über ausreichende Mengen an Atomstrom. Das große Ausschlachten kommt. Das Datum steht sogar schon fest: der 31.Januar 2003. Dann wird die Bewag im Staatskonzern Vattenfall aufgehen — mit Trennung von Vermögen und vom Risiko, dem Personal nämlich. Und dann erfolgt zunächst der Verkauf der nicht betriebsnotwendigen Grundstücke der Bewag. Das wird Hunderte von Millionen Euro bringen. Die gehen nach Schweden.
Die Arbeitsplätze hat man bei der Bewag von 9591 (1997) auf 5040 (2002) — also um 47% — abgebaut, 2007 sollen es noch 4350 sein.
Die Kürzung der Instandhaltungsleistungen (siehe oben) bringt dem Konzern Gewinn — Berlin aber den Verlust an mittelständischen Arbeitsplätzen.
Das Vermögen der Bewag wurde ausgeweidet: Um die Dividenden zu erhöhen, wurden 512 Mio. Mark an Rücklagen 1999 auf das Grundkapital (nach dem die Dividende berechnet wird) "umgebucht". Der Gewinn für die Privaten durch diese "Aktion": 228 Mio. Mark — bei unverändertem Ertrag!
Das Land Berlin hat 1996/97 noch 99 Mio. Mark aus der Bewag erhalten. Seit der Privatisierung hat es statt der Dividende nur noch Strieders berühmte Mitspracherechte. Die werden erwartungsgemäß nicht wahrgenommen.
Die Preise der Bewag sind seit der Privatisierung gestiegen: 2001 gegenüber 2000 um 4,1%! Einen Teil davon zahlt das Land Berlin — über die Sozialhilfe.
Die Bilanz: Der Verkauf der Bewag hat 2,29 Mrd. Mark Erlös erbracht, er hat 4550 Menschen direkt und viele weitere mittelbar arbeitslos gemacht. Dafür verzichtet das Land jährlich auf rund 50 Mio. Mark Dividende. Die Verbraucher zahlen mehr, die Steuereinnahmen sinken, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe steigen, Krankenkassen und Sozialsysteme werden zusätzlich belastet.

Wasserbetriebe

Die Wasserbetriebe wurden 1999 teilprivatisiert. 51% der Anteile behielt das Land Berlin, der Rest wurde zu gleichen Teilen an die Konzerne Vivendi und RWE verkauft. Der Erlös erbrachte 3,38 Milliarden Mark. Der Teilverkauf der Wasserwerke, des größten kommunalen Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsunternehmens in Europa, wurde damit begründet, dieser Berliner Betrieb verfüge über ein Knowhow, das, durch einen Privaten vermarktet, bis nach China strahlen würde. Jetzt sollen die Wasserwerke auf ihr regionales Kerngeschäft reduziert werden.
Vivendi und RWE sind Konkurrenten, die sich nur in einem einig sind: Eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Schon ein Jahr nach dem Erwerb folgte, was wie ein Ganovenstück anmutet: Mit Bilanzfälschungen erreichte man enorme Gewinnausschüttungen an die Privaten und den öffentlichen Haushalt, obgleich kein Gewinn erzielt wurde. Das Geld war nämlich nicht geflossen.
Damit nicht genug: Die Privaten bekommen vertraglich neben der Rendite einen Gewinnzuschlag von 2% auf das von ihnen eingebrachte Kapital — und zwar 28 Jahre lang. Diese Vereinbarung hatte das Verfassungsgericht Berlin für verfassungswidrig erklärt. Dennoch wurde die sittenwidrig anmutende Rendite gesichert. Das führt zu einer Verzinsung des eingebrachten Kapitals in Höhe von 20%. Diese private Rendite muss erwirtschaftet werden. Und das wird 2003 zur Erhöhung des Wasserpreises um 20—30% führen.
Die wirtschaftlichen Folgekosten des Verkaufs waren verheerend. An den Wasserwerken, die jedes Jahr 1 Milliarde Mark für Instandhaltungen aufwendeten, hingen 10000 außerbetriebliche Arbeitsplätze, zumeist in kleinen regionalen Betrieben, die tatsächlich Berlinerinnen und Berliner beschäftigten — und hier ihre Steuern zahlen. Diese Ausgaben wurden nach der Privatisierung sofort um die Hälfte auf 564 Millionen Mark im Jahre 2000 gekürzt, was den Tod vieler dieser Betriebe bedeutete. Wird die Reduzierung auf das Berliner Kerngeschäft durchgesetzt, wird dieser Kahlschlag den Abbau mindestens weiterer 1300 Arbeitsplätze zur Folge haben.

Die GASAG

Die GASAG wurde im Juni 1998 privatisiert. Berlin besaß zu diesem Zeitpunkt noch 51,2% der Aktien. Sie wurde zum Preis von 1,41 Milliarden Mark an Gaz de France und an die Bewag verkauft. Von den 2568 Arbeitsplätzen 1998 wurden bis heute 1381 Arbeitsplätze (53%) "sozialverträglich" abgebaut. Dadurch entstanden Verluste in Höhe von 558 Mio. Mark. Sie wurden durch die Erhöhung der Gaspreise um 43,7% reingeholt.
Der Versorger Gasag rechnet mit weiter steigenden Preisen. Nach Ablauf der Sozialpläne soll der Gewinn umso lebhafter in die Kassen der Eigentümer sprudeln. Die Mietnebenkosten sind dadurch erheblich und steigen weiter.
Es folgte aber noch ein besonderes Schelmenstück: Im Jahre 2000 verkaufte der Erwerber das Gasnetz für 1,6 Milliarden Mark an eine Münchner Leasinggesellschaft. Da das Gasnetz aber für den Betrieb benötigt wird, leaste es die Gasag von dem Erwerber für zwölf Jahre zurück. Nur damit es niemand überliest: Man kauft vom Land für 1,41 Milliarden Mark und verkauft einen Teil des Erworbenen für 1,6 Milliarden Mark. Wenn der Konzessionsvertrag im Jahre 2008 abläuft, kann die Gasag die Anlagen zurückkaufen — wenn sie dazu finanziell in der Lage ist. Man braucht kein Prophet sein: Das wird teuer — und zwar für Berlin, denn die Stadt kann nicht zulassen, dass die Gasversorgung zusammenbricht. Anette Fugmann-Heesing nannte den Gasag-Verkauf eine "Erfolgsstory"!
[Über die Privatisierung der Bankgesellschaft schrieb die SoZ im April 2002.] Wird auch noch die Sparkasse verkauft (siehe SoZ 11/02), dann verzichtet Berlin zusätzlich auf ein wichtiges Instrument der Finanz-, Wirtschafts-, und Sozialpolitik.
Der Verkauf der Bundesdruckerei hat einen rentablen Betrieb in die Zahlungsunfähigkeit getrieben, 2610 Arbeitsplätze wurden dadurch abgebaut.

Daseinsvorsorge erhalten

Die Bilanz der Berliner Privatisierungspolitik ist eine Katastrophe. In keinem einzigen dieser Fälle hat die Privatisierung die versprochenen Vorteile erbracht. "Neue zukunftssichere Arbeitsplätze" wurden versprochen, mindestens sollten die verbleibenden gesichert sein. Nichts davon ist erreicht worden. Nicht die öffentlichen, sondern die privaten Finanzen der beteiligten "Investoren" haben nachhaltige Konsolidierung erfahren.
Bei der Bewag wurden nach der Privatisierung 4550, bei der Gasag 1380 Arbeitsplätze vernichtet. Bei den Wasserwerken wurden direkt und indirekt 6000, bei der Bundesdruckerei 2160 Arbeitsplätze abgebaut. Bei der privatisierten Wohnungsbaugesellschaft GEHAG wurden 200 Beschäftigte eingespart. Die Landesbank Berlin/Girozentrale (Sparkasse) hatte 1996 noch 7130 Beschäftigte, 2001 noch 5781, also 1350 Beschäftigte weniger (—19%). Bei der Bankgesellschaft Berlin sollen bis 2005 insgesamt noch 4000 Arbeitsplätze wegfallen. Bei den Krankenhäusern wurde das Pflegepersonal um rund 6000 verringert.
Insgesamt wurden durch die Politik der Privatisierung mindestens 25000 Arbeitplätze vernichtet, direkt oder indirekt. Der Verlust von Arbeitsplätzen durch Kaufkraftverlust ist in diesen Zahlen nicht enthalten. Der Einzelhandel und das Gaststättengewerbe haben 58000 Arbeitsplätze abgebaut.
Wie stark Frauen von der Politik der Arbeitslosigkeit und sozialen Kürzungen betroffen werden, zeigt der Armutsbericht 2002 des Senats. In Berlin gab es im Jahre 2001 157100 allein erziehende Mütter. Unsichere soziale Verhältnisse und immer teurer werdende Kinderversorgungseinrichtungen haben zur Folge, dass sich Frauen ihren Kinderwunsch versagen. Das führte nach der Wende bis heute zu einem dramatischen Geburtenausfall, damit zu einem permanenten Sterbeüberschuss, Abwanderung von jungen gut ausgebildeten Frauen und sinkender Einwohnerzahl. Das spüren auch jene, die Politik nur mit dem Taschenrechner machen, beim Länderfinanzausgleich (Stadtstaatenprivileg).
Frühere Generationen haben bewusst bestimmte Lebensbereiche dem kapitalistischen Wettbewerb und der Konkurrenz entzogen. Auch kapitalistische Staaten haben erkannt, dass Wasser, Strom, öffentlicher Verkehr, Entsorgung und Gesundheit zu Bereichen gehören, in denen sich die Gesellschaft in die Zwangshaft weniger begibt, wenn sie das Geschäft nicht selbst betreibt. Anderswo wird enteignet oder wie in England rekommunalisiert: Es gab ein Nein zur Privatisierung der Londoner U-Bahn. Die Schweizer haben im September 2002 mit einer Volksabstimmung das "Gesetz über den Strommarkt", das die Privatisierung vorsah, mit großer Mehrheit abgelehnt.
Es war und ist eine Politik gegen sozialdemokratische Prinzipien — ohne Rechtfertigung.

Gerlinde Schermer, Berlin

Gerlinde Schermer ist Sprecherin der SPD-Linken in Berlin. Der Text wurde zuerst im Mieterecho Berlin veröffentlicht.



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