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"Kein Krieg für Öl", so mahnten weit sichtbar die Transparente. Auch die Sprechchöre
unterstrichen diese aktuelle Forderung. Die Kundgebung vor dem Werkstor von Coca-Cola in Liederbach bei Frankfurt am Main glich einer
Friedensdemonstration mit multikulturellem Charakter. Und dennoch ging es den Beschäftigten an diesem Tag in erster Linie um höhere
Löhne und Gehälter. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hatte in der hessischen Erfrischungsgetränkeindustrie zu
Warnstreiks aufgerufen.
Zwei Tarifverhandlungen waren bereits ergebnislos unterbrochen worden, weil die
Unternehmer eine Entgeltsteigerung mit einer Drei vor dem Komma rundweg abgelehnt hatten. "Sie ritten auf der angeblich schlechten Konjunktur und der
niedrigen Inflationsrate herum", berichtete Jürgen Hinzer, Gewerkschaftssekretär und Streikbeauftragter der NGG Hessen/Rheinland-
Pfalz/Saar. "Gleichzeitig führten sie das Ergebnis im öffentlichen Dienst als Beispiel für einen moderaten Abschluss ins Feld."
In der Tat fällt das 2,4%-Ergebnis bei Ver.di auch anderen Gewerkschaften in diesem
Jahr wohl noch häufiger "auf die Füße". Und auch die Preissteigerung von 1,4% im Jahresdurchschnitt 2002 sowie 1% im Januar
und Februar 2003 ergab wenig Argumentationsspielraum für einen "saftigen" Inflationsausgleich. Auf der anderen Seite hatten die
Unternehmen der Erfrischungsgetränkeindustrie ihren Absatz bei weiter zunehmendem Pro-Kopf-Verbrauch im letzten Jahr insbesondere
über die Discounter kräftig steigern können. Und der Umsatz lag 2002 bundesweit mit insgesamt 8,55 Mio. Euro um 1,4% über
dem des Vorjahrs.
Doch die Wolfsgesetze des Marktes offenbaren sich auch in dieser Branche. Während
die mittelständischen Industriebetriebe durchaus Probleme haben, sich bei immer härteren Wettbewerbsbedingungen zu behaupten, floriert das
Geschäft der großen Konzerne besonders gut: Coca-Cola steigerte 2002 seinen Umsatz weltweit um 12% auf 19,6 Mio. US-Dollar und
erwirtschaftete einen Gewinn von netto 3 Mio. Dollar. Im gleichen Zeitraum konnte der Pepsi-Cola-Konzern mit Europas größtem
Dosenfüllwerk im hessischen Nieder-Roden seinen Umsatz um 7% auf 25 Mio. Dollar erhöhen.
"Insofern gab es nicht nur Kleingeld zu verteilen", so Jürgen Hinzer.
"NGG und Beschäftigte sahen dies ähnlich. Diese gemeinsame Einschätzung brachte jenen Schwung in die Betriebe, der zur
geschlossenen Unterstützung der Warnstreiks führte." Aber auch die Unternehmer, von der breiten Beteiligung an den Aktionen sowohl
überrascht als auch verärgert, halfen nach Kräften mit, die Stimmung in den Betrieben anzuheizen. Zum einen behaupteten sie auf eilends von
ihnen einberufenen Belegschaftsversammlungen und gegenüber den Medien, nicht nur 2,36%, sondern 2,8% angeboten zu haben.
Darüber hinaus versuchten sie die Beteiligung an den Warnstreiks öffentlich
herunterzuspielen. Und die von ihnen inszenierte Unterschriftensammlung zur Annahme des Billigangebots der Unternehmer zerschellte am einheitlichen
Vorgehen der Beschäftigten.
Die dritte Verhandlungsrunde verlief deshalb etwas weniger konziliant und erheblich
turbulenter als die beiden vorhergehenden. Die Tarifkommission der NGG konfrontierte die Gegenseite gleich mit ihren falschen Angaben und entlarvte deren
"Rechenkünste" als gezielte Täuschung der Beschäftigten. Die Unternehmer fühlten sich dadurch zwar ertappt, aber
keineswegs unwohl in ihrer Haut. Das änderte sich allerdings sofort, als draußen der Ruf ertönte: "Ein neuer Tarifvertrag muss her,
sonst geben wir keine Ruhe mehr!" Wie ein Paukenschlag platzte eine Delegation der Belegschaft von Coca-Cola in Liederbach mit weit aufgespanntem
Transparent in den Verhandlungsraum. Fluchtartig verließen die Unternehmer den Saal. "Wer rausgeht, muss irgendwann wieder
reinkommen", meinte der NGG-Gewerkschaftssekretär. "Denn jedes neue Verzögern der Verhandlungen wäre in den Betrieben
als weitere Provokation aufgefasst worden."
Das mussten die Unternehmer so ähnlich gesehen haben. Denn nach ihrer
Rückkehr akzeptierten sie einen Tarifabschluss, gegen den sie sich wochenlang gewehrt hatten: Die Entgelte werden rückwirkend um 3% und das
Urlaubsgeld für 2003 um 3,84% erhöht.
Horst Gobrecht
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