SoZ Sozialistische Zeitung |
Drei Monate nach dem Wahlsieg muss der Präsident die ersten Probleme angehen. Angefangen mit der Revolte vieler
Genossen in seiner Partei, die ihn beschuldigen, dieselbe liberale Politik zu betreiben wie sein Vorgänger.
Die Regierungsangestellten sind ganz in Rot gekleidet und sie stoßen Beschimpfungen
gegen die Regierung aus, als sie zum ersten Mal in Brasília vor dem Amtssitz von Luis Inácio Lula da Silva, dem neuen Präsidenten
Brasiliens, strömen. Für Lula, den Ex-Gewerkschafter und Initiator von Massenkämpfen gegen die Multis und die Generäle, ist es gar
kein guter Tag gewesen. An der Spitze der öffentlich Bediensteten einer Gruppe, die traditionell mit der von Lula geführten Arbeiterpartei
(PT) verbunden und im Dachverband CUT gewerkschaftlich organisiert ist standen Babá, Lindberg Farias und Luciana Genro, der radikale
Flügel, der nun immer weniger mit dem Geist des Regierens in der Linken einverstanden ist. Der Zankapfel: die Forderung nach Lohnerhöhungen
und die Abkehr von einem geplanten Gesetz, das das neue System der Pensionen der servidores públicos regeln soll und von den Gewerkschaften
abgelehnt wird.
João Feliciano, der Vorsitzende der CUT, hat bereits mit dem Generalstreik gedroht. Damit
würde Lula zum ersten Mal auf der anderen Seite der Barrikade stehen. Und wenn für Lula die Schwierigkeiten schon mit dem PL-9 (so das
Kürzel für den Gesetzentwurf) begonnen haben, so werden die Dinge sicher nicht besser werden, wenn man anfangen wird, über andere von
der PT angekündigte Maßnahmen zu diskutieren: die Agrarreform, die Verwaltungsreform und die Steuerreform.
Die ersten Schritte der neuen Regierung Lula waren in der Tat eher mühselig. Der mit
der höchsten Stimmenzahl in der Geschichte Brasiliens gewählte Präsident ist nach drei Monaten noch keine Enttäuschung. Aber die
Unzufriedenheit wächst.
Die Flitterwochen mit der Wählerschaft hatten schon begonnen sich abzukühlen,
als der ehemalige Präsident der "BankBoston", Henrique Meirelles, mit dem Segen von George Bush neuer Finanzminister wurde. Zwei Tage
zuvor hatte sich Lula mit der Wirtschaftsdelegation des IWF getroffen, um das im September abgeschlossene Abkommen über eine Darlehen von 30
Milliarden Dollar zu prüfen. Meirelles wurde bei den Wahlen auf der Liste der PSDB, der Partei des scheidenden Präsidenten Fernando Henrique
Cardoso, gewählt.
Das Kommando eines der wichtigsten Ministerien ist im Wesentlichen in den Händen
der "Tukane" verblieben, d.h. in der politischen Koalition, die Brasilien in zwei aufeinander folgenden Legislaturperioden regiert und das Land in
eine tiefe Rezession gestürzt hat.
Die Beziehung zwischen der PT und Meirelles ist dabei nicht jüngeren Datums, sondern
reicht bis 1993 zurück, als Lula das zweite Mal Präsidentschaftskandidat war. Damals organisierte Meirelles für Lula und seine Partei ein
Treffen in den USA mit internationalen Unternehmensvertretern, um eine größere Akzeptanz für Lulas Kandidatur zu erreichen.
Jenseits taktischer Allianzen besteht das Problem faktisch darin, dass sich im wichtigen
Finanzministerium nicht die geringste Kursänderung vollzieht. Meirelles hat den Stab seines Vorgängers Armínio Fraga behalten und setzt
die frühere Politik fort: "Er ist eine Persönlichkeit, die immer den internationalen Finanzinteressen gedient hat; er dient nicht den nationalen
Interessen", sagt ohne Umschweife die Senatorin Heloisa Mercadante, die zu den PT-Rebellen gehört.
Entgegen den Direktiven ihrer Partei hat sich Mercadante auch geweigert, José Sarney
zum Präsidenten des Senats zu wählen. Sie wollte keine Person unterstützen, die von den Militärs gegen Ende der Militärdiktatur
zum Staatspräsidenten gekürt worden war.
Diese Entscheidung kostete ihr ein disziplinarische Rüge. Deshalb agieren die Rebellen
der PT jetzt vorsichtiger. Sie vermeiden die direkte Konfrontation. Bei den Diskussionen über Reformen sind sie bestrebt, die sozialen Organisationen mit
einzubeziehen. Dies ist genau das, was die PT und die Regierung nicht wollen.
Die Nerven sind gespannt. Wenn sich Lula mehrfach in der Öffentlichkeit gut gelaunt
präsentiert, um Einheit und Frieden zu bewahren, so haben andere Führer der Partei bereits eine harte Linie gegen die Abweichler beschlossen. Es
wird bereits von Parteiausschlüssen gesprochen.
"Wir sind keine isolierten Stimmen", antwortet der Abgeordnete Lindberg Farias.
"Die Kritik an der Wirtschaftspolitik kommt nicht nur von 30 Abgeordneten. Es gibt viel mehr Parlamentarier aus den Reihen der Gemäßigten
und immer mehr Minister aus der Regierung selbst, die ihre Skepsis bezüglich des eingeschlagenen Weges nicht verbergen."
Jeden Tag demonstriert eine wachsende Zahl von Ökonomen, Journalisten und
Intellektuellen ihre eigenen Zweifel an den jüngsten politischen Entscheidungen der Regierung. Sie decken auf, dass die Regierung Lula wie ihre
Vorgängerin nicht nur in den ersten drei Monaten die Investitionen im Sozialbereich gekürzt hat, sondern in einigen Ministerien
Haushaltskürzungen von bis zu 90% verwirklicht hat. Auf diese Weise wird die Losung "Drei Mahlzeiten am Tag für alle", mit der Lula
die Wahl gewonnen hat, zu einer Chimäre.
Somit könnte das Klima der Unstimmigkeit, das in der PT herrscht, den Weg zu einer
Spaltung ebnen. Laut der Tageszeitung A Folha de São Paulo sollen sich Führer der PSTU (Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei) und der PT treffen,
um die Schaffung einer neuen Linksformation zu diskutieren. Ziel dieser neuen Koalition soll die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie gegen die
Amerikanische Freihandelszone (ALCA), die Bekräftigung einer Linie des Bruchs mit dem IWF und eine bessere Abstimmung mit den sozialen
Bewegungen sein. Die Idee stammt von José Maria de Almeida (PSTU): "Es wächst das Bedürfnis, eine Partei aufzubauen, die aus
Persönlichkeiten besteht, die sich nicht an die neoliberale Logik verkaufen." Dabei ist an Personen gedacht wie die Führer der
Landlosenbewegung (MST) Pedro Stedile und Gilmar Mauro, die sich für eine Agrarreform einsetzen. Das Projekt befindet sich jedoch noch im
Embryonalzustand, da große Teile der petistas Lula noch eine letzte Chance geben wollen.
Giuseppe Bizzarri, São Paulo