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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 15

Nordkorea

Diplomatie des Überlebens

In seinem Buch The Two Koreas: An Contemporary History schildert der ehemalige Journalist der Washington Post Don Oberdorfer die Diskussionen, die in der Clinton-Regierung 1993 geführt wurden, nachdem Nordkorea seinen Rückzug aus dem Atomwaffensperrvertrag verkündet hatte und US-Geheimdienste zur gleichen Zeit von angeblichen Atomwaffenplänen der Regierung in Pjöngjang berichteten.
Die Vorschläge, die die amerikanischen Militärs der neu gewählten Regierung unterbreiteten, liefen dabei alle auf eine drastische Verstärkung des US-amerikanischen Drohpotenzials auf der koreanischen Halbinsel und unmittelbare Kriegsvorbereitungen hinaus. Der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Südkorea, General Gary Luck, schätzte nüchtern die Folgen ein: 100 Milliarden Dollar würde ein solcher Krieg kosten, der Wert der materiellen Zerstörungen würde eine Billion Dollar betragen, und eine Million Menschen würden sterben, darunter 80000—100000 US-Soldaten.
Bis zum Endes des Kalten Krieges hatte der "Große Führer" Kim Il- Sung sehr erfolgreich eine Schaukelpolitik gegenüber den beiden "sozialistischen Bruderländern" UdSSR und China betrieben und es auf diese Art und Weise geschafft, die günstige geostrategische Lage des Landes in materielle Vergünstigungen umzusetzen. Mitte der 80er Jahre noch hatte Moskau Kredite in Höhe von mehreren Milliarden Dollar an Nordkorea gezahlt, teilweise sogar ganze Fabrikanlagen geliefert. China und die UdSSR waren wichtige Lieferanten von Öl und Gas. Mit beiden Ländern bestanden überdies Verträge zur gegenseitigen militärischen Unterstützung.
Infolge dieser Subventionspolitik lag Nordkoreas Pro-Kopf-Einkommen in den 80er Jahren in gleicher Höhe wie das des Südens, in einigen Bereichen, wie etwa der Lebenserwartung und der Alphabetisierungsrate, war der Norden bis 1990 sogar überlegen. Doch ab dieser Zeit begann die nordkoreanische Wirtschaft dramatisch zu schrumpfen. Hatten 1988 die nordkoreanischen Exporte noch 3 Mrd. Dollar betragen, so sanken sie auf 81 Mio. Dollar im Jahr 1996; zwischen 1992 und 1996 reduzierte sich das Bruttosozialprodukt des Landes um die Hälfte.
Im Mai 1991 erklärte der chinesische Premier Li Peng bei einer Reise nach Pjöngjang, sein Land werde für künftige Öllieferungen eine Bezahlung in harten Devisen verlangen, und zwei Jahre später kündigte die russische Regierung unter Jelzin einen Vertrag in Höhe von 4 Mrd. Dollar über die Lieferung zweier Leichtwasserreaktoren. Kurz darauf verließ Moskau auch den Verteidigungspakt, den die Sowjetunion 1961 mit Nordkorea geschlossen hatte.
Dieser Verlust der militärischen Unterstützung durch Russland führte zu einem weiteren Ausbau der nordkoreanischen Armee — mit negativen wirtschaftlichen Folgen: Südkoreanische Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 52% des nordkoreanischen Budgets für Rüstungsausgaben verwendet werden, ein Fünftel der erwachsenen nordkoreanischen Männer soll der Armee angehören. Es war vor diesem Hintergrund zunehmender wirtschaftlicher und politischer Isolation, dass die nordkoreanische Führung im Frühjahr 1993 ankündigte, sich aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückziehen zu wollen.
Die Krise von 1993/94 fand bekanntlich ihr Ende in einer von Ex-Präsident Jimmy Carter ausgehandelten Rahmenvereinbarung (Agreed Framework), die von der amerikanischen Regierung und der neuen nordkoreanischen Führung unter Kim Jong-Il am 21.Oktober 1994 in Genf unterzeichnet wurde. Die Rahmenvereinbarung sah vor, dass die USA bis zum Jahr 2003 zwei Leichtwasserreaktoren mit einer Leistung von jeweils 1000 Megawatt in Nordkorea bauen sollten, um die alten Reaktoren sowjetischer Bauart in Yongbyon zu ersetzen. Ferner sollten Kohle und jährlich 3,3 Mio. Barrel Schweröl geliefert werden, um in der Zwischenzeit Energieausfälle zu vermeiden.
Auf politischer Ebene sollten die USA zusichern, gegenüber Nordkorea keine Kernwaffen einzusetzen und dies auch nicht anzudrohen. Schließlich sollten Handelsverbindungen und erste Formen diplomatischer Beziehungen eröffnet werden. Im Gegenzug verpflichtete sich Pjöngjang, seine alten Atomkraftwerke zu schließen, verbrauchte Kernbrennstäbe aus dem Land zu schaffen, Mitglied im Atomwaffensperrvertrag zu bleiben und Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu erlauben, nordkoreanische Atomanlagen zu überprüfen.
Mit der Umsetzung der Rahmenvereinbarung, insbesondere dem Bau der versprochenen Leichtwasserreaktoren und der Öl- und Kohlelieferungen, wurde 1995 die neugeschaffene multilaterale Organisation KEDO (Korean Peninsula Energy Development Organization) beauftragt. Ihr gehören neben den USA, Japan und Südkorea vor allem Staaten der EU an. Die japanische Regierung lieferte eine Anschubfinanzierung für KEDO in Höhe von 5,8 Mio. Dollar.
Von den für den Bau der beiden Leichtwasserreaktoren veranschlagten 4 Mrd. bis 4,5 Mrd. Dollar erklärte sich Südkorea im März 1995 bereit, 70% der Kosten zu übernehmen, Japan wollte weitere 20% finanzieren, den Rest sollten verschiedene europäische Staaten übernehmen. Die US-Regierung, obwohl sie die Rahmenvereinbarung ausgehandelt hatte, beteiligte sich nicht an der Finanzierung.
Dieses Verhalten der USA sollte sich als symptomatisch erweisen. So erklärte Clintons Pentagon-Chef William Cohen im April 1997 provokativ, dass auch im Falle einer Wiedervereinigung Koreas US-Truppen auf der Halbinsel stationiert bleiben sollten. Die Umsetzung der Rahmenvereinbarung durch die USA verlief extrem schleppend. Baumaßnahmen für die beiden Leichtwasserreaktoren begannen erst im letzten Jahr, womit der in der Vereinbarung vorgesehene Zeitpunkt der Fertigstellung völlig illusorisch geworden ist.
Experten gehen davon aus, dass die Reaktoren frühestens — wenn überhaupt — Ende des Jahrzehnts ans Netz gehen können. Auch die Normalisierung der politischen Beziehungen — ein mit Blick auf die jahrzehntelange nukleare Bedrohung durch die USA entscheidender Punkt für die Regierung in Pjöngjang — ist in all den Jahren keinen Schritt vorangekommen. Offenbar war man sich in Washington einig, Nordkorea so wenig Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen in der Hoffnung, das Regime werde unter der Last seiner ökonomischen Probleme von selbst zusammenbrechen.
Zugleich wurde der militärische Druck gegenüber Nordkorea verstärkt. 1998 gelang es den USA, die japanische Regierung davon zu überzeugen, sich an einem regionalen Programm zur weltraumgestützten Raketenabwehr (TMD) zu beteiligen. Anlass war der Start einer dreistufigen nordkoreanischen Rakete, mit der aber, wie sich später herausstellte, lediglich ein Satellit ins All gebracht werden sollte. Das nordkoreanische Außenministerium erklärte damals: "Wir haben die USA und Japan niemals dafür kritisiert, dass sie künstliche Satelliten stationiert haben. Wir sind uns darüber im Klaren, dass diese Satelliten zur Spionage in unserem Land benutzt worden sind."
Mit dem Amtsantritt der Bush-Regierung hat sich die Situation erneut verschärft. Nordkorea galt künftig nicht nur als ostasiatischer Teil der von Bush erfundenen "Achse des Bösen", in der Anfang 2002 veröffentlichten Nuclear Posture Review wurde das Land auch als mögliches Ziel eines US-amerikanischen Kernwaffenangriffs genannt. Die Unterbrechung der in der Rahmenvereinbarung zugesicherten Energielieferungen im letzten Herbst war dann offenbar der Punkt, an dem sich das nordkoreanische Regime entschloss, die Wiederinbetriebnahme seines 5-Megawatt-Reaktors in Yongbyon anzukündigen und implizit mit dem Bau von Kernwaffen zu drohen.
Die Politik Nordkoreas ist aber auch nicht ohne die aktuellen Kriegsvorbereitungen gegen den Irak zu erklären. Die nordkoreanische Regierung scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, einer US-amerikanischen Aggression, wie sie jetzt im Irak bevorsteht, nur durch das Ausspielen der nuklearen Karte entgehen zu können. Die Atomwaffendrohung wird so zum Instrument einer Diplomatie des Überlebens.

Harald Etzbach

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