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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 19

‘Deglobalisierung‘? Und dann?

Walden Bellos neuestes Buch

Walden Bellos neues Buch, Deglobalization: Ideas for a New World Economy, ist ein gut lesbarer Begleiter zu Bellos anderem neuen Buch, The Future in the Balance, eine Sammlung von 20 Essays, die 2001 erschien.
Zu Walden Bellos Terminkalender gehören die Teilnahme an faktisch allen Auseinandersetzungen mit der globalen Machtstruktur, eine Professur an der Universität der Philippinen, eine führende Tätigkeit in einer linken Partei auf den Philippinen und — am wichtigsten vom Standpunkt der internationalen antikapitalistischen Bewegung — die Leitung von Focus on the Global South, einem linken Thinktank, der seine Basis an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok (Thailand) hat.
Bello verkörpert eine lange Geschichte sozialer Mobilisierungen. Vor über einem halben Jahr veröffentlichte die Zeitschrift New Left Review ein Interview mit ihm, das seinen politischen Werdegang schildert, wozu u.a. ein wichtiger Bruch mit der Communist Party of the Philippines (CPP) gehört.
Welches sind die wichtigsten Argumente für eine "Deglobalisierung"? Das Buch beginnt damit, überzeugend darzulegen, dass das bestehende Weltsystem aus verschiedenen Gründen unhaltbar ist. Der Autor schließt das einleitende Kapitel mit einem Hinweis darauf, dass "progressive Antworten unter dem Dach des Prozesses von Porto Alegre zusammenströmen" — wenngleich hier die Argumentation vage wird, besonders in Bezug auf frühere Traditionen von Antikapitalismus.
Analytisch ist Bello von Robert Brenners marxistischen Studien des innerkapitalistischen Wettbewerbs und der daraus resultierenden systemimmanenten Überkapazität und sinkenden Profitabilität beeinflusst. Aber Bello ist zurückhaltend, wenn es darum geht, seinem Antikapitalismus über schüchterne Signale und Schlüsselbegriffe hinaus eine feste Grundlage zu verschaffen. Stattdessen besteht Bellos große Stärke in der außerordentlichen Klarheit seiner weitgehend auf die Institutionen zentrierten Kritik. Das zweite Kapitel untersucht den halbherzigen "Antiimperialismus" von Drittweltregierungen in den 70er Jahren und die anschließende rechte Reaktion, die die meisten Drittweltführer als bloße Lakaien Washingtons zurückließ.
Bellos drittes Kapitel analysiert die Weltbank, den IWF und die Welthandelsorganisation (WTO). Das vierte zeigt, wie diese Organisationen — und der globale Kapitalismus im Allgemeinen — in den späten 90er Jahren in eine Legitimationskrise gerieten. Er demoliert sowohl die aktuellen "Wechselfälle der Reformen" (Kapitel 5) und die wichtigsten bürgerlichen Vorschläge zur zukünftigen Umstrukturierung der globalen Wirtschaftslenkung, die von Kommentatoren gemacht werden, die von den Vereinten Nationen über Vertreter einer Wiederbelebung des Bretton-Woods-Systems bis zu jüngst bekehrten Insidern wie George Soros reichen (Kapitel 6).
Kapitel 7 ist überschrieben: "Die Alternative: Deglobalisierung". Wenngleich das Buch nicht dick ist, ist es schade, dass die konkreten strategischen Optionen der antikapitalistischen Bewegung nur auf 11 Seiten abgehandelt werden, denn sie verdienten eine ausführlichere Darstellung. Bellos Beschreibung — "Ich spreche nicht vom Rückzug aus der Weltökonomie, ich spreche über die Umorientierung unserer Ökonomien von der Produktion für den Export zu einer Produktion für den lokalen Markt" — erinnert daran, wie vor mehr als einem Jahrzehnt der bekannte ägyptische Marxist Samir Amin seine Konzeption von Deglobalisierung beschrieb: "Abkoppeln ist nicht gleichbedeutend mit Autarkie, sondern eher mit der Unterordnung externer Beziehungen unter die Logik der inneren Entwicklung … Abkoppeln impliziert ein auf die ‚Massen‘ bezogenen Inhalt und ist antikapitalistisch im Sinne eines Konflikts mit dem herrschenden Kapitalismus, aber durchdrungen von einer Vielfalt divergierender Interessen."
Aber dies wirft die Frage auf, ob das Problem begrifflich als tief verwurzelte Tendenz zur Kommerzialisierung von allem und jedem unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen zu fassen ist oder als bloßes Phänomen verderblicher Globalisierer und feindseliger, extrem machtvoller Institutionen.
Tatsächlich ist die schwächste mögliche Konzeption von Deglobalisierung Bellos Anregung auf dem Weltsozialforum 2002 zu versuchen, die bestehenden neoliberalen Institutionen auf "lediglich einen weiteren Satz von Akteuren" zu reduzieren, "die mit anderen internationalen Organisationen, Abkommen und regionalen Gruppierungen koexistieren und von ihnen kontrolliert werden. Dazu würden so verschiedene Akteure und Institutionen gehören wie die UN-Konferenz über Handel und Entwicklung, multilaterale Umweltabkommen, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die EU und entstehende Handelsblöcke wie Mercosur in Lateinamerika, die South Asian Association for Regional Cooperation, die Southern African Development Community und ASEAN in Südostasien. Mehr Raum, mehr Flexibilität, mehr Kompromisse — dies sollten die Ziele der südlichen Agenda und der zivilgesellschaftlichen Bemühungen zum Aufbau eines neuen Systems der globalen Wirtschaftslenkung sein."
Jeder, der an lokalen Kämpfen beteiligt ist, bei denen diese Institutionen eine Rolle spielen, weiß, dass sie ein Teil des Problems sind und nicht die Lösung. Daher ist Bello von links scharf kritisiert worden, und zwar aus guten Gründen angesichts einiger Fauxpas in Vergangenheit und Gegenwart:
• Vor vier Jahren befürwortete Bello eine stärkere Rolle für die bestehenden regionalen Entwicklungsbanken zur Lösung der Asienkrise — wenngleich er mittlerweile, nach der anschließenden scharfen Kritik an der Asian Development Bank seitens seines Focus-Kollegen Shalmali Guttal, nicht mehr so enthusiastisch ist.
• Vor zwei Jahren brachte Bello die Idee auf, dass die internationale Linke sich mit den US-Republikanern gegen die Weltbank und den IWF "vereinigen" könnte — was womöglich bloß ein Missgriff in der Wortwahl war (falls er eine bloß taktische Konvergenz meinte), aber was Bände spricht über seine Klarheit in Bezug auf Bündnisse.
• In Deglobalization regt Bello "eine Forderung" an, "die das Potenzial hat, eine breite Front von Menschen zu vereinen, nämlich die nach Umwandlung [des IWF] in ein Forschungsinstitut" (und dies, nachdem Bello nach Ausbruch der Ostasienkrise den IWF wegen seiner Dummheit und Blindheit demontiert hatte).
• Er bemerkt beiläufig, dass die Deglobalisierung mehr "Modelle für Mikrokredite wie die Grameen Bank zur Folge haben wird". Dabei ist er sich vielleicht nicht bewusst, dass das Wall Street Journal Ende 2001 schrieb, dass "Grameen für viele beweist, dass der Kapitalismus ebenso für die Armen funktionieren kann wie für die Reichen", aber dann gezwungen war zuzugeben, wie Grameens jüngste "unglaubliche Verluste" und unmoralische Kontoführungspraktiken die internationale Mikrokreditindustrie "alarmierten" (trotz der nachhaltigeren Schuldeneintreibungsmethoden von Grameen: dem Abbau der Zinndächer von den Häusern von Frauen, die mit ihren Zahlungen im Rückstand waren).
Dies mögen überholte und weitgehend semantische Kritikpunkte sein. Was bspw. Bündnisse betrifft, so haben mittlerweile Bello und Anuradha Mittal — in Future in the Balance — die Führung des US- Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO sowie einige Umweltschützer wegen ihres "faustischen Pakts" mit der fremdenfeindlichen Rechten gebrandmarkt, als China den permanenten Status einer normalen Handelsnation gegenüber den USA erhielt.
Tatsächlich überzeugt mich Bello vollständig mit den militanteren Komponenten der Strategie, v.a. den "Dekonstruktions"techniken zur Schwächung und Entmachtung globaler kapitalistischer Institutionen. Insbesondere sein Plädoyer für die Abschaffung der Weltbank im April 2000 trug am meisten zu einer intellektuellen Stütze der großen Militanz bei, die in damaligen Jahr bei den Protesten in Washington und Prag zutage trat.
Aber gibt es um der Diskussionen innerhalb der Bewegung willen nicht eine umfassendere Weise, das Thema der Deglobalisierung anzugehen, indem man von doppelseitig-reformistischen Vorstellungen von globalisierter Regulation und Strategien utopischer Lokalisierung abkommt? Ist es so schwierig für intellektuelle Führer mit einem Prestige in der Bewegung, wie es Bello hat, sich mit der Vorstellung von sozialistischer Revolution herumzuschlagen?
Alles in allem ist sein Buch wahrscheinlich der beste Kurzführer darüber, was mit dem institutionellen Rahmen der globalen politischen Ökonomie nicht in Ordnung ist. Wir können nur hoffen, dass Bello von den Aktiven weiter nach links gedrängt wird, um als nächstes eine explizit antikapitalistische Entwicklungsstrategie für eine neue Generation radikaler Staaten zu erkunden, die selbst das Produkt der erfolgreichen Dekonstruktion der Machtzentren der Globalisierung sein werden.

Patrick Bond

Patrick Bond lehrt an der Universität von Witwatersrand in Johannesburg (Südafrika).



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