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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 20

Asiatisches Kino

Mit den geradlinigen Erzählmodellen des westlichen Kinos haben die Produktionen in Fernost meistens nichts am Hut. Drei sehr unterschiedliche Filme aus Japan, Korea und Hongkong, die auf den diesjährigen Berliner Filmfestspielen zu sehen waren, führten einmal mehr vor, dass man seine Geschichte auch in Sprüngen, Volten und Kicks erzählen kann.

Dabei wirkt The Blessing Bell des japanischen Regisseurs Sabu (laut Selbstbeschreibung "der genialste Filmemacher der Welt") nachgerade wie eine Parodie auf die Vorgabe, dass eine Erzählung dem Schema "Und was geschah dann?" zu folgen habe. Sein tragikkomischer Held, der entlassene Fabrikarbeiter Igarashi, folgt 90 Minuten in stoischer Unbeirrbarkeit einer geraden Linie (einer Straßenmarkierung, einem Pfad am Kanal, einer Bordsteinkante), nur um am Ende wieder an seinem Ausgangspunkt anzukommen. Aber so und quasi hinterrücks (das wusste schon der Marionettenspieler Kleist) kann man schließlich ins Paradies gelangen.
Je schnurgerader der Weg ist, den Igarashi durch ein surreales und folglich vollkommen echtes Japan in Zeiten der Wirtschaftskrise zurücklegt, desto unvorhersehbarer stürzen die Schicksalsschläge auf ihn (und um ihn herum) ein. Meistens sind sie tödlich. Die zufälligen Begegnungen, die der konsequent schweigsame Hans im Unglück passiv über sich ergehen lässt — der sterbende Gangster mit Gewissensbissen, der betrogene Ehemann, der zum Mörder wurde, der kranke Geschäftsmann, der nicht einmal sein letztes Geld verschenken kann — lassen sich für ihn am Ende nicht einmal zu einer Geschichte zusammenfassen. Er wird den Weg noch einmal gehen müssen, und vielleicht findet er diesmal eine Erlösung. Die könnte allerdings nur in der Katastrophe liegen.
Sozusagen im Anti-Universum zu Blessing Bell bewegen sich die Hauptfiguren in der koreanischen ProduktionSympathy for Mr.Vengeance (Regie: Park Chan-Uk). Hier gilt: Alle müssen handeln, ständig und frenetisch, und jede ihrer Handlungen hat Konsequenzen, die nicht wiedergutzumachen sind und die stets noch schlimmere Folgen nach sich ziehen. An ein Heimkommen ist nicht zu denken: Alles ist irreversibel. Die Rachegeschichte, die an Schockmomenten und bizarren Einfällen nicht spart (Vorbild sind deutlich die Gewaltexzesse des japanischen Trashfilmers Takashi Miike), bietet weniger eine Handlung als einen kompliziert ineinandergreifenden Mechanismus zum Öffnen verschiedener Höllenkreise. Am Ende steht keine Auflösung, sondern der totale Zusammenbruch.
Hero wiederum steht für die ganze Schönheit und Opulenz des Hongkong-Kinos. Im Stil von Kurosawas Klassiker Rashomon präsentiert dieser Film seine Geschichte (die schon öfters verfilmte Legende vom ersten chinesischen Kaiser und seinem Attentäter) in Rückblenden: verschiedene Versionen einer Story — und welche davon die wahre ist, lässt sich erst am Ende ausmachen.
Die All-Star-Produktion (nie zuvor waren Maggie Cheung, Tony Leung Chiu-Wai und Jet Li gemeinsam auf der Leinwand zu sehen) bietet jedoch weniger philosophische Spekulationen über die "wirkliche" Welt, sondern vor allem wunderschöne Bilder. Regisseur Zhang Yimou scheint sich vorgenommen zu haben, die komprimierte Essenz des Hongkong-Kinos, und vielleicht des Kinos überhaupt, umzusetzen: als ein Spiel von Farben, Bewegungen, Körpern in Aktion. Martial Arts als Musical, Eleganz als Waffe.
Alle Elemente der "Wu xia"-Filme sind vorhanden: die Kostüme, die grandiosen Dekors und die immer heroischen und edlen (und gut angezogenen) Kampfkunsthelden, die übernatürliche Kräfte besitzen, durch die Luft schweben, Energiestrahlen schleudern und selbst Blätter im Wind zum Angriff benutzen können. Das Genre hatte seinen Höhepunkt in den 50ern und 60er Jahren mit den Produktionen der Shaw Studios (z.B. in Come Drink With Me, der ebenfalls auf der Berlinale wiederaufgeführt wurde) und erlebt vor allem seit dem internationalen Erfolg von Tiger and Dragon seine überfällige Renaissance.
Denn längst haben die eleganten Bewegungen und die Choreografie des Kampfes Eingang auch in westliche Produktionsstandards gefunden. So sind etwa auch die Keilereien in Matrix von Yuen-Woo Ping, Hongkongs berühmtesten Martial-Arts-Choreografen, in Szene gesetzt worden.

Dietmar Kammerer

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