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Der Redaktion der SoZ gebührt Dank für die Veröffentlichung von Löwys Artikel Überleben
statt Profit Für eine ökosozialistische Ethik (SoZ 1/03). Im letzten Jahr hat sie mein Buch Die Nachhaltige Gesellschaft eine
kritische Analyse der Systemalternativen besprochen und auch einen Auszug daraus veröffentlicht. Nun sind einige Fragen aufgeworfen und eine neue
Perspektive vorgelegt worden, die für alle Linken und Öko-Aktivisten eine Herausforderung bedeuten müssten. Man darf jetzt von ihnen
verlangen, dass sie sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Die Neukonzipierung des Sozialismus und einer nachhaltigen Gesellschaft muss endlich beginnen.
Ich will hier nicht auf Punkte eingehen, bei denen zwischen Löwys Positionen und denen
von mir große Übereinstimmung besteht, sondern mich darauf beschränken, das zu ergänzen, was er vernachlässigt hat, und seine
Fehler zu korrigieren.
1. Löwys Fehler beginnen schon mit dem Titel. Er hätte heißen
müssen "Überleben statt Wohlstand". Denn auch eine echt sozialistische Gesellschaft, die die ökologische Lektion nicht gelernt
hat, kann durch kurzsichtiges Streben nach immer mehr Wohlstand für das ganze Volk die natürliche Umwelt zerstören. Ein halber Beleg
dafür ist die ehemalige Sowjetunion. Auch der tadellose West-Sozialist Ernest Mandel schrieb in seinem Buch Marxistische Wirtschaftstheorie, im
Sozialismus werden "selbst wenn Reisen mit Flugzeug, Bahn und Bus kostenlos sind … sich Menschen weiterhin ein privates Auto wünschen …
Eine sozialistische Gesellschaft wird solche Wünsche respektieren und … versuchen, sie zu erfüllen."
Diesen wichtigen Punkt hat Löwy nicht verstanden. Darum schreibt er von "der
kapitalistischen Zerstörung und Vergiftung der Biosphäre" und von "der unbegrenzten Expansion des kapitalistischen
Produktivismus", als wäre das alles im Sozialismus undenkbar. Diesen Fehler hat schon Marx begangen. In einem oft zitierten Passus in Bd.I des
Kapitals schreibt er von "der kapitalistischen Agrikultur" und der "kapitalistischen Produktion", die "die Springquellen alles
Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter", obwohl er in demselben Passus auch richtigerweise von "der modernen Agrikultur"
und "der großen Industrie" spricht.
2. Auch der Begriff "Produktivismus" ist nicht passend. In vorindustriellen
Gesellschaften hätte der Produktivismus, wenn es ihn gegeben hätte, nicht soviel ökologischen Schaden anrichten können wie heute.
Sie hatten ja keine Motorsäge. Das Problem begann mit der Benutzung von fossilen Energien, die eine rasante Entwicklung der Produktivkräfte,
sehr viel mehr Produktion mit sehr viel mehr Ressourcenverbrauch und massive Umweltzerstörung ermöglichte. Den Industrialismus und die
industrielle Zivilisation, in welcher politischen Verpackung auch immer, sollten wir also problematisieren.
Nun aber gibt es sowohl unter den Linken als auch unter den Ökoaktivisten die
Vorstellung, dass dank kontinuierlicher technologischer Entwicklung alle oder die meisten Probleme bezüglich der Umweltzerstörung und der
nichterneuerbaren Ressourcen gelöst werden können, so dass der gewohnte Lebensstandard der industrialisierten Welt auch in einer
zukünftigen nachhaltigen Weltwirtschaft ohne große Abstriche möglich sein würde. Stichworte dazu: nachhaltige(s)
Entwicklung/Wachstum, ökologisches Wirtschaftswunder, solare Weltwirtschaft usw. Zum Beispiel schreibt Hermann Scheer in seinem Buch Solare
Weltwirtschaft, Solarenergie könne "die üppigsten Energiebedürfnisse sogar einer sich noch drastisch vermehrenden
Menschenwelt" befriedigen.
Es gibt starke Gründe zu glauben, dass solche Behauptungen bzw. Hoffnungen
unzutreffend bzw. illusorisch sind (siehe mein Buch, Kapitel 4). Löwy aber, der erfreulicherweise den Marxismus "von seinen produktivistischen
Schlacken befreit" sehen möchte und die marxistische, "traditionelle Konzeption der Produktivkräfte einer kritischen Analyse
unterwerfen" will, setzt dennoch seine Hoffnung auf technologische Entwicklung allerdings auf eine, die die Umwelt respektiert und auf
erneuerbare Energien, besonders die Sonnenenergie.
Zudem plädiert er für einen "solaren Kommunismus", in dem die
"Güter und Dienstleistungen entsprechend dem [traditionellen Marxschen] Prinzip ,jedem nach seinen Bedürfnissen" verteilt
werden, als hätte er noch nicht von den Grenzen des Wachstums gehört. Er denkt an "eine planetare Umverteilung des Reichtums" (im
Titel ist aber von Überleben die Rede). Eigentlich hätte unter Sozialisten längst eine intensive postmarxistische Diskussion über
Bedürfnisse beginnen müssen, vor allem über die Frage, was für Bedürfnisse in welchem Ausmaß in einer nachhaltigen
Welt befriedigt werden können. Sonst könnten in "ökologisch" sozialistischen Köpfen Gedanken geistern wie z.B., dass
man mit Solarwasserstoff betriebene Motorsägen einsetzen könne, um riesige Holzernten aus Wäldern einzufahren, in denen gentechnisch
gezüchtete Bäume schnell wachsen.
3. Wenn man die Bedürfnisfrage ernsthaft angehen will, kann man nicht umhin zu
fragen: Für wieviele Menschen? Dann muss man den Marxismus von noch einem anderen Fehler befreien, vom Nicht-wahrnehmen-
WollendesÜbervölkerungsproblems. Löwy tut das nicht.
4. Löwy schreibt, Marx habe das Bedürfnis, die Umwelt zu schützen, nicht
genügend berücksichtigt. Das stimmt nicht ganz. Sowohl er (siehe Zitat oben) als auch Engels haben genug geschrieben, um ganz deutlich zu
machen, dass sie die Umweltproblematik in ihrer vollen Bedeutung erkannt hatten. Engels schrieb sogar von der Rache der Natur. Dass sie trotzdem parallel dazu
ihren Produktivismus aufrechterhalten konnten, erklärt sich durch ihren Glauben an eine Lösung durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt.
Engels schrieb in Dialektik der Natur: "seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaft ... werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die
entfernteren natürlichen Nachwirkungen ... unserer Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen..."
Dieser Fortschrittsglaube ließ sie auch hoffen, dass die Zunahme des wahren Reichtums,
nämlich der freien Zeit, mit dem Wachstum des materiellen Reichtums Hand in Hand gehen könne. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Heutzutage glauben die Marxisten, sonstige "Ökosozialisten" und Ökokapitalisten, modern und umweltbewusst, an gewaltige Fortschritte
bei umweltfreundlichen Technologien, die es ermöglichen würden, Ökologie und Ökonomie (sprich Wirtschaftswachstum und
Wohlstandsvermehrung) zu versöhnen. Für sie muss die Lösung des Problems eine technologische sein. Man lebt ja in Europa. Löwy
denkt, sein Ziel, egalitäre und planetarische Umverteilung des Reichtums, ist erreichbar "dank eines neuen Paradigmas der
Produktion". Er erklärt den Begriff nicht, aber wenn er damit mehr meint als nur Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien und
erneuerbaren Energien, dann hat er recht. Für mich wäre das eine global verteilte und dezentrale Produktion mit arbeitsintensiven Technologien, die
nicht nur das Problem der Arbeitslosigkeit lösen hilft, sondern auch das Ökologie- und Ressourcenproblem. Denn solche Technologien erfordern viel
weniger Ressourcenverbrauch und verursachen mithin viel weniger Umweltbelastung. Wieviel materieller Reichtum und freie Zeit dann möglich sein
würde, wird von dem erstrebten Lebensstandard abhängen.
5. Ein letzter Kritikpunkt: Wenn Löwy seine humanistische Ethik so anthropozentrisch
auffasst, dass er im Interesse der Menschen sogar die Ausrottung nicht bloß zahlenmäßige Kontrolle einer Spezies, der
Anopheles-Mücke, befürwortet, dann geraten die Tiefenökologen zu Recht in Rage. Denn so könnte man auch im Interesse der
Menschen in Asien und Afrika, deren Zahl ja ständig zunimmt, die Ausrottung der Tiger und Elefanten befürworten.
Saral Sarkar
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