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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 21

79 qm DDR

Good bye, Lenin, Ost- und Westdeutschland 2003, Regie: Wolfgang Becker, Buch: Wolfgang Becker, Bernd Lichtenberg. Mit Daniel Brühl, Katrin Saß, Chulpan Khamatova u.a. Im Kino seit 13.2.2003

Auferstanden aus Ruinen…" lautet der Anfang der DDR-Nationalhymne. In Good bye, Lenin wird es Wirklichkeit: In einer Wohnung im Osten Berlins steht die DDR wieder auf und existiert ein Jahr länger als im Rest der Welt. Frau Kerner, die sich nach dem Weggang ihres Mannes in den Westen mit dem "Sozialismus" à la DDR gewissermaßen verheiratet hat, fällt beim Anblick ihres Sohnes in den Händen der Volkspolizei ins Koma. Der nämlich schließt sich im Herbst 1989 den Demonstrationen gegen das SED-Regime an, die dann auch insofern "erfolgreich" sind, als dass die SED tatsächlich abtreten muss.
Bekanntermaßen führte der Rücktritt der bürokratischen Pseudosozialisten nicht zum Versuch, eine wirklich sozialistische Gesellschaft zu begründen, sondern zur Restauration des Kapitalismus, zum Anschluss der DDR an die BRD und zu einer Zunahme dumpfer Deutschtümelei, die sich auch schon mal in Pogromen Luft machte.
Nach sechs Monaten kehrt Mutter Kerner ins Leben zurück. Ihr treusorgender Sohn will ihr den Schock ersparen, dass es die DDR nicht mehr gibt. Er unternimmt einiges, um seiner Mutter die Weiterexistenz des "ersten Arbeiter- und Bauernstaats auf deutschem Boden" vorzugaukeln. Er fälscht mit einem Freund, der eine Videokamera besitzt, Sendungen des DDR-Fernsehens wie Aktuelle Kamera und Der schwarze Kanal. Er füllt Westprodukte in Gefäße mit DDR-Etiketten um, die er auf dem Müll findet. Er bezahlt Kinder aus der Nachbarschaft, damit sie der Mutter alte Pionierlieder vorsingen. Als die Mutter dann doch mal in einem unbeaufsichtigten Moment die Wohnung verlässt und allerhand westlich-kapitalistische Dinge draußen vorfindet, gaukelt ihr Sohn ihr vor, dass massenhaft Westdeutsche vor den Unbilden des Kapitalismus ins sozialistische Paradies geflohen seien.
Die Täuschung funktioniert bis zuletzt. Als besonderer Clou wird noch der ehemalige Kosmonaut Jähn zum Nachfolger Honeckers als Staats- und Parteichef ernannt. "Die DDR, die ich meiner Mutter vormachte, wurde immer mehr zu der DDR, wie ich sie mir eigentlich gewünscht hätte." Dieser aus dem Off gesprochene Satz der Hauptfigur Alex ist wohl der Schlüsselsatz des Films. Die Täuschung der Mutter wird zu einer Art unpolitischer Utopie. Alex erschafft sich eine Idealgesellschaft, macht sich aber keine Gedanken um die Umsetzung. Es bleibt bei Tagträumen und Schauspielerei gegenüber der Mutter. Auch im Publikum scheint der Film eine utopische Saite zum Klingen zu bringen. Immerhin ist Good bye, Lenin, der von "Wessis" gemacht wurde, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland der zurzeit erfolgreichste Film. Mit einem Zuschauerschnitt von 2133 Zuschauerinnen und Zuschauern pro Kopie in der ersten Woche lag der Film vor Harry Potter, dem erfolgreichsten Film des vorigen Jahres. Insgesamt sahen 1,34 Millionen Menschen den Film in den ersten zwei Wochen.
Good bye, Lenin ist eine sehr gut gespielte, sowohl heitere als auch melancholische Komödie, bei der das Zugucken einfach Spaß macht. Eine politische Variante der unpolitischen Utopie könnte vielleicht "Welcome, Revolution" heißen. Ob die dann genauso erfolgreich sein würde?

Andreas Bodden

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